Der Körper als Baustelle

Mit den Möglichkeiten, den eigenen Körper perfekter und schöner machen zu können, wächst auch die Unzufriedenheit - Bei einer Umfrage waren nur zwei Prozent der Frauen mit ihrem Körper einverstanden

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Viele Frauen denken angeblich nach einer britischen Umfrage durchschnittlich alle 15 Minuten, manche auch fast immer, daran, wie sie aussehen, wie ihr Körper im Blick der Anderen, der Männer, der Konkurrentinnen und vor allem im eigenen Blick, erscheint. Die Sorge um die körperliche Erscheinung, um die Wirkung auf einen taxierenden Blick, lässt die Frauen (und, wie nach einer anderen Umfrage auch die Männer: Unzufrieden mit dem Körper) in eine Aufmerksamkeits- und Spiegelwelt eintreten. Selbstbewusstsein ist schließlich nichts anderes, als sich selbst aus dem Blick eines Anderen sehen zu können, aus sich herauszutreten und den Blick des Anderen auf sich selbst einzunehmen. So funktioniert soziale Kontrolle, so setzen sich kollektive Normen durch, so bleibt etwa der Körper solange für die Person fremd, bis er sich an ein kollektives Ideal, auch wenn es nur das einer kleinen Gruppe ist, möglichst weitgehend angenähert hat.

Identisch mit ihrem Körper ist eine Person bestenfalls für kurze Zeit, auch wenn man oft die Ambivalenz beiseite schieben kann, dass man einerseits einen Körper hat, in dem man steckt und den man wie ein Werkzeug instrumentalisieren kann, und dass man verkörpert ist, seinem Körper also, zumindest solange man lebt, nicht entrinnen kann und ihm in vielen Hinsichten ausgeliefert ist.

Manche Religionen setzen darauf, dem Gefängnis des irdischen Körpers wenigstens individuell nach dem Tod oder kollektiv nach der Apokalypse entrinnen zu können, um dann durch diese Erlösung - gelegentlich beschleunigt durch Selbstmordaktionen - ewiges Leben zu gewinnen. Vor allem seit der Entstehung der Technowissenschaften in der Neuzeit wird aber auch die Hoffnung gehegt, mittels Technik den Körper verbessern, das Leben verlängern, Schäden reparieren oder gar einen neuen, perfekteren Körper schaffen zu können. In den letzten Jahrzehnten haben sich erste Ansätze in der Gentechnik, in der Robotik, in der regenerativen Medizin oder in der Prothetik umsetzen lassen, die viel versprechend sind und die Wünsche schüren.

Transhumanisten und manche andere Enthusiasten, die der eigenen Wetware transformieren oder ersetzen wollen, träumen von großen Lösungen, die noch ausstehen. Gleichwohl haben die schon jetzt vorhandenen Möglichkeiten mitsamt der Aussichten zu einer weit verbreiteten Veränderung der Einstellung zum eigenen Körper geführt, den man nicht mehr als gegeben betrachtet, sondern als eine Baustelle. Zwar kann man das „Gebäude“ noch nicht verlassen, aber man kann die Fassaden verändern, manches modernisieren und ergänzen oder natürlich auch reparieren. So ist der chirurgisch mögliche Umbau der Form zu einem idealen Körper vermutlich für die meisten Menschen mittlerweile zu einem allerdings vom Geldbeutel abhängigen und damit die Reichen privilegierenden Traum und Trauma geworden. Der Körper kann nicht mehr nur wie einst verhüllt, geschminkt und mit allen möglichen Mitteln äußerlich gestylt werden, er kann buchstäblich zugeschnitten werden. Es wird ernst. Jetzt geht es nicht mehr um die Erscheinung, sondern um die Modifizierung des Seins. Am Endpunkt wird nach den Organtransplantationen und Implantationen von technischen Systemen, nach der ersten Gesichtstransplantation vielleicht auch, bevor die Daten des nassen Gehirns auf eine andere Festplatte heruntergeladen werden, vielleicht auch eine Transplantation des Kopfes auf einen anderen Körper kommen, wie das bei Affen schon für kurze Zeit gelungen ist.

Wenn das Schicksal aufgehoben ist und Veränderungen möglich sind, wird es schwierig, sich zu bescheiden und mit dem zurechtzukommen, was man in aller Kontingenz biologisch geerbt hat und dem sich vorhergehende Generationen mangels Alternativen und trotz träumerischer Ausflüchte fügen mussten. Der vielleicht letzte Ausdruck, sich auch mit dem körperlichen Geschick zufrieden zu geben, war der Existenzialismus, der noch einmal in einer heroischen Geste das Schicksal und den Zwang, sich in dieses bei aller paradoxalen Freiheit fügen zu müssen, beschworen hat. Jetzt sehen wir nicht nur permanent in der kollektiven (medialen) Öffentlichkeit die begehrten Körper der Prominenten, die sich oft genug schon selbst medikamentös, chirurgisch, ernährungs- und bewegungstechnisch zurichten, sondern merken, dass es keinen Zwang gibt, bei vielen der Körpermerkmale zu bleiben, die wir kraft unserer Geburt erhalten haben – oft nicht als Geschenk empfunden, sondern als Fluch, zumal auch wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass „Schönheit“ nicht nur sozialen, sondern auch beruflichen Erfolg begünstigt. Krank, d.h. zu heilen oder zu reparieren, sind nun auch körperliche Gebrechen, die einen Mangel an Schönheit, also an Attraktivität, darstellen.

Mithin ist es also nicht weiter verwunderlich, wenn in einer Umfrage unter Leserinnen der britischen Frauenzeitschrift Grazia von den 5000 Befragten mit einem Durchschnittsalter von 34 Jahren gerade einmal 2 Prozent angaben, dass sie mit ihrem Körper zufrieden sind. Ein Drittel denkt angeblich „jede Minute“ an ihren Körper, an dem irgendetwas nicht passt. Repräsentativ dürfte die Umfrage allerdings kaum sein, denn Frauenzeitschriften schüren wie ihre Pendants für Männer die Unzufriedenheit mit dem Status quo und sorgen für regelmäßige Erinnerung an zu erbringende Anpassungsleistungen an die vorgeführten oder ausgestellten Modelle oder Leistungsträger. So liest man in Grazia nicht nur von der Unzufriedenheit der Frauen mit ihrem Körper, sondern etwa auch ein „exclusive interview from the woman whose body we all want, Kelly Brook. Kelly says she loves every bit of her body and reveals the secrets of looking good.”

70 Prozent der befragten Frauen hängen denn auch der Hoffnung nach, dass es ihnen mit einem schöneren Körper besser ginge. Dabei spielt natürlich auch das Gewicht eine große Rolle. Schließlich wird körperliche Attraktivität nur durch die Mühen der Disziplin gesichert, wobei möglicherweise die permanente Sorge um den eigenen Körper von der Mühe entlastet, sich als Person zu perfektionieren, zumal hier die Vorbilder weniger einfach und plastisch sind als auf der Ebene der gestaltbaren Körper.

Hinter der Sehnsucht nach Schönheit steht das Leiden, ein tiefes Ungenügen, eine fehlende Selbstsicherheit, die sich über alles zu legen scheint. Der Kult um den schönen, perfekten Körper schafft eine Kultur des Mangels, einer Unzufriedenheit, die sich immer an neuen Einzelheiten entzünden kann. Zufrieden sind die Frauen praktisch mit nichts, einzig an ihren Knöcheln scheint ein wenig mehr als die Hälfte noch einigermaßen Gefallen zu haben. Dafür sind 87 Prozent mit ihren Oberschenkeln unzufrieden, 79 Prozent mit ihren Hüften, 65 Prozent mit ihren Brüsten, ebenso viele mit den Füßen. Auch das Gesicht, die Hände und Finger, die Zähne, die Haare oder der Nacken gefallen mehr als der Hälfte nicht. Und dann altert der Körper auch noch, was dem Hader mit der Erbausstattung die Angst vor der Zukunft und eine permanente Nachjustierung des Aussehens hinzufügt.

Der Schönheitsmarkt wird also boomen, zumindest so lange genügend Menschen vorhanden sind, die das Geld für den Umbau und die Zurichtung des Körpers zu haben. Wenn aber das Aussehen über sozialen und beruflichen Erfolg entscheidet und die weniger schönen oder gar hässlichen Menschen das Nachsehen haben, so öffnet sich eine neue Kluft zwischen arm und reich, die zunehmend von denjenigen, die sich die Perfektionierung ihres Körpers oder auch das Wunschdesign ihrer Nachkommen nicht leisten können, als ungerecht empfunden wird. Wenn der Körper kein Schicksal mehr ist, sondern ein Bauprojekt, dann wachsen mit den individuellen Möglichkeiten auch die sozialen Konflikte. Wer vermeidbare körperliche Mängel hat, zeigt auch so, wie jetzt durch die Kleidung, dass er aus einer niedrigen sozialen Schicht kommt oder ein Loser ist. Der ethnischen und sozialen Diskriminierung folgt damit die körperliche. Müsste man dann das Grundgesetz ergänzen, dass niemand wegen seines Körpers benachteiligt werden soll? Oder andersherum: Dass jeder denselben Zugang zu den Mitteln haben muss, seinen Körper auf den ästhetischen Stand der Zeit zu bringen? Aber vielleicht ist das wachsende Ungenügen an der eigenen Verkörperung auch schon ein Zeichen dafür, dass wir uns allmählich darauf vorbereiten, den mangelhaften biologischen Erstkörper hinter uns zu lassen, um uns einen neuen zu suchen.