Unzufrieden mit dem Körper

Nach Frauen und Mädchen erfasst der Wunsch nach schönheitschirurgischer Aufrüstung mehr und mehr auch Männer und Jungen

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Die Menschen sind unzufrieden mit ihrem Körper. Sie wollen einen schöneren Körper, der sie attraktiver und wahrscheinlich erfolgreicher machen soll. Schließlich sollen schöne Menschen nicht nur eine höhere Aufmerksamkeit und Anerkennung genießen, sondern auch beruflich Vorteile haben. Immer mehr Menschen lassen sich jedenfalls operativ auftunen, und auch der Wunsch nach einer Anpassung des biologischen Körpers an ein ästhetisches Ideal durch Technik erfasst immer jüngere Menschen. Wie eine Umfrage herausgefunden haben will, ist auch eine Mehrzahl der Jungen nicht zufrieden mit ihren Körpern, in denen sie zufällig und alternativenlos als Folge der genetischen Mitgift ihrer Eltern stecken.

Nun ist die Umfrage, die die auf Jugendliche ausgerichtete Promi-Zeitschrift Sneak im Internet gemacht hat, in keiner Weise repräsentativ zu nennen. Die Zeitschrift zieht mit ihrem Themenspektrum und der Kultivierung der Prominenz just jene Jugendlichen an, die als Fans von Prominenten von deren Welt fasziniert sind und vermutlich auch gerne die Aufmerksamkeit und den Erfolg wie diese hätten. Und da ihnen immer die Bilder mit den Körpern und Gesichtern der medialen Prominenz aufgedrängt werden, müssen sie ja wohl irgendeine Verbindung zwischen dem körperlichen Aussehen und dem "Erfolg" der Prominenten aus dem Show-Geschäft herstellen.

Ausnahmen spielen vermutlich keine Rolle, da auch viele Prominente sich zurechtschneiden lassen. Prominenz aus anderen Lagern findet man in einer solchen Zeitschrift eher nicht. Allerdings ist der italienische Ministerpräsident Berlusconi schon als Pionier vorausgeeilt und hat sich einer Schönheitsoperation unterzogen. Bald werden also auch die Schröders, Fischers, Kochs, Stoibers, Westerwelles und Merkels dieser Klasse folgen, um ihre Wahlchancen zu erhöhen, nachdem hier bislang in aller Regel der Faktor Schönheit noch ungenutzt blieb.

Ein schöner Körper als Garant für den Erfolg

Kein Wunder jedenfalls, dass bei der Online-Umfrage der britischen Zeitschrift, an der 2.000 Jungen mit einem Durchschnittsalter von 15 Jahren teilgenommen haben, 80 Prozent sagten, sie seien mit ihrem körperlichen Aussehen nicht zufrieden. Würden sie besser aussehen, würden sie glücklicher sein und mehr Erfolg haben. Das wäre vergleichbar mit der Unzufriedenheit, die es bei Mädchen gibt (die finden ihren Körper teilweise schon mit fünf Jahren nicht richtig proportioniert). 62 Prozent der Jungen mochten ihr Gesicht nicht, 68 Prozent waren unglücklich mit ihren Zähnen, ein Viertel würde sich gerne einer Schönheitsoperation unterziehen. Entsprechend ungenügend fanden sie ihre Väter, obwohl immerhin noch 40 Prozent meinten, sie sähen gut für ihr Alter aus. Aber das müsste man wahrscheinlich schon näher interpretieren.

Durchschnittlich 10 Mal am Tag sehen die Jungen in einen Spiegel, um ihr Aussehen zu überprüfen (und dabei eben fortwährend auf die Mängel zu stoßen). Über die Hälfte findet sich natürlich als Sexualobjekt nicht schön genug. Das allgemeine Vorbild ist der Fußballstar David Beckham (Mystifizierung und Spiritualisierung des David Beckham). Aber da kann man sich immer gleich fragen, ob dessen Aussehen als schön und damit als Vorbild gesehen wird, weil er so prominent ist, oder ob er auch deswegen so prominent und zur globalen Ikone wurde, weil er einem verbreiteten Schönheitsideal entspricht? Michelle Garnett, Chefredakteurin von Sneak, meint: "Jungen vergleichen sich mit berühmten männlichen Rollenvorbildern, die wegen ihres Körpers bekannt sind und von ihrem guten Aussehen profitieren." Und auch wenn diese Vorbilder sich nicht selbst einer Schönheitschirurgie unterzogen haben, werde diese mittlerweile als selbstverständliches Mittel akzeptiert.

Zunächst aber, das interessiert die Zeitschrift und soll die Werbekunden locken, stylt sich die männliche Jugend, die an dieser Umfrage teilgenommen hat, ausgiebig mit konventionellen Mitteln. 65 Minuten brauchen sie angeblich, um sich für einen Abend mit der Erwartung auf ein erotisches Abenteuer zurechtzumachen, aber über eine halbe Stunde benötigen sie auch schon, um sich für die Schule aufzurüsten. Man besprüht sich mit Deodorant, um die lästigen Eigengerüche des Körpers zu überdecken, bringt die Haare mit Gel in die vorgesehene Ordnung oder pflegt die Haut. Das braucht nicht nur Zeit, sondern kostet auch. Viele finden sich auch zu dick und haben schon mehrmals eine Diät versucht.

Der Körper ist ein Gefängnis

Wer den perfekten Körper sucht, will einen Körper, der möglichst vielen Menschen gefällt. Schönheitschirurgien haben daher den paradoxen Trend, dem Einzelnen, der für sich nach einer individuellen Verbesserung sucht, dem Modell einer Massenschönheit anzugleichen. Und dann sieht man unter Prominenten und ihren Adepten, wenn sich diese nicht gleich als Verdopplungen oder Klons umbauen lassen, plötzlich überall ähnliche Gesichter und Körper, abgesaugt, geglättet, begradigt, mit entsprechenden Nasen, wohlgeformten Brüsten oder aufgeblasenen Lippen, aber auch mit ästhetisch korrigierten Genitalorganen. Die Ausnahme wird zur Regel – und dürfte dann womöglich schnell wieder als ästhetisches Vorbild zerfallen, wenn Beckham an jeder Straßenecke auftaucht.

Gleichwohl, auch bei den größten Umbau- und Sanierungsmaßnahmen stecken die Menschen weiterhin ihren Körpern wie in einem Futteral oder einem Gefängnis fest, dem sie nicht ganz entfliehen können und der auch weiterhin durchschlägt. Am weitesten gehen bislang die Menschen, die ihr Geschlecht verändern. Aber das offenbar wachsende Ungenügen mit dem eigenen Körper, den man erhalten hat, weist darauf hin, dass das Schicksal nicht mehr hingenommen wird, wenn es auch anders möglich ist. Allerdings kehrt der Zufall wieder in Form des Risikos zurück, durch die Schönheitsoperation entstellt zu werden. Und man könnte das Problem der Aktualisierung haben, wenn sich Moden und die Prominenten als deren Exempel schnell verändern.

Das Ungenügen am eigenen Körper ist freilich nur eine marktförmig zugeschnittene Variante des alten Problems des Dualismus von Seele/Geist und Körper. Allerdings geht es uns nicht mehr um das Jenseits. Ganz körperlos konnten sich die Menschen wohl nie das Weiterleben in der Ewigkeit des Paradieses oder der Hölle vorstellen. So wurde beispielsweise den christlichen Märtyrern, die einst das Imperium Rom wie jetzt die Selbstmordattentäter Russland oder die USA massenhaft bekämpften, versprochen, dass ihre Körper nach der Himmelfahrt nicht nur wieder hergestellt, sondern auch dem Alter angepasst würden, in dem Jesus gekreuzigt wurde. Im Paradies, so dürfen wir uns das dann vorstellen, gibt es keine entstellten und alten Körper, sondern alle treten im besten Mannes- oder Frauenalter und mit einem normierten Christus-Körper auf.

Wir aber wollen, so scheint es, einen anderen Körper hier auf Erden – und das jetzt. Wir wollen selbst bestimmen, wie er hier und dort auszusehen hat, aber eigentlich auch, dass er dann auch frei von Krankheiten und Alterung bleibt. Eigentlich also wollen die Unzufriedenen, die sich als Gefangene und als etwas Anderes als der Körper, den sie haben, empfinden, einen Körper haben, den sie sich so aussuchen können wie ein Kleidungsstück oder eine Frisur. Möglichst viele Optionen sind erwünscht, auch wenn die Konfektionsware weniger individuell ist als das, was für den einzelnen Menschen zufällig seinen Leib ausmacht. Um den Wünschen wirklich zu entsprechen, müsste eine technische Utopie realisiert werden, die schon lange umgeht. Ebenso wie die immaterielle Seele bei der Geburt in den Körper einfährt und diesen mit dem Tod wieder verlässt, müsste die immaterielle Persönlichkeit auf der Suche nach einer idealen Verkörperung aus dem Gehirn auf einen künstlichen Träger hochgeladen und in eine beliebige Verkörperung mit einem künstlichen Gehirn wieder heruntergeladen werden können.

Allerdings gäbe es dann, falls dies jemals möglich wäre, gleich ein verzwicktes Problem: die individuelle Persönlichkeit, die auf ein anderes Trägermedium abgespeichert werden kann, könnte nicht nur beliebig ihren Körper wechseln, sondern wäre auch beliebig oft reproduzierbar. Damit würde nicht nur der Körper, sondern auch die Persönlichkeit zu einem Massenphänomen. Kopierverbote lassen sich, wie man sehen kann, nur schwer durchsetzen, Einzigartigkeit verschwindet mit dem Original, auch wenn sich die digitale Persönlichkeit möglicherweise durch neue Programme und Plug-Ins wieder individuieren könnte, aber dann auch mitsamt dem Körper mehr und mehr zu einem lizenzierten Produkt würde. Aber egal, ob nur Körper oder auch Persönlichkeit, so dürfte weiter ein bekanntes Prinzip herrschen: Maßgefertigte Produkte sind teuer, was heißt, die meisten Menschen werden sich mit Varianten von Massenware zufrieden geben müssen.