"Der Krieg hat die Partei restlos in eine Sackgasse getrieben"
Seite 3: Eine Demonstration gegen den Krieg? Unmöglich!
- "Der Krieg hat die Partei restlos in eine Sackgasse getrieben"
- Sozialdemokratie in Sackgasse und "nicht mehr schöpferisch"
- Eine Demonstration gegen den Krieg? Unmöglich!
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Ich brachte die Sprache auf die Notwendigkeit einer Arbeiterinnendemonstration. Mögen die Männer ihre Stimme abgegeben haben, die Mütter sollen auch ein Wort mitreden!
"Eine Demonstration? Jetzt? Gegen den Krieg?" Verwunderte, misstrauische Blicke.
"Das ist unmöglich … Wo doch der Kriegszustand herrscht … Die Massen werden es nicht begreifen … "
Mich bedrückt das Bewusstsein, dass die internationale proletarische Solidarität zerbrochen ist. Was soll nun werden?
"Wir könnten wenigstens ein Manifest herausbringen, unsere ablehnende Haltung zum Krieg darin bekunden und an die Solidarität erinnern; wir könnten gegen die Pogrome protestieren, gegen die Gräueltaten, gegen das Wüten des Chauvinismus, könnten nach Frieden rufen."
"Das geht nicht. Die Gleichheit ist beschlagnahmt. Bei Clara Zetkin hat eine Haussuchung stattgefunden. Der Krieg ist eine Tatsache. Daran ändern auch keinerlei Manifeste oder Aufrufe etwas. Alles, was die Frauen jetzt tun können, ist, die Lage der vom Krieg betroffenen Bevölkerung zu erleichtern, Verpflegungsstellen und Lazarette einzurichten, in Hilfsgemeinschaften mitzuarbeiten."
"Das ist aber doch gerade das, was die Bourgeoisie predigt. Sie haben vor, in der Richtung tätig zu sein, wie sie das Rote Kreuz anstrebt."
"Das Rote Kreuz tut jetzt nützliche Dinge", mischte sich B. belehrend in das Gespräch ein. "Jetzt ist nicht die rechte Zeit, um politische Rechnungen zu begleichen. Deutschland muss gerettet werden. Es hat zu viele Feinde und Neider. Sie können Deutschland seine zu raschen wirtschaftlichen Erfolge nicht verzeihen. Wir schließen bewusst vorübergehend einen Waffenstillstand mit der Bourgeoisie. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir uns von unseren Idealen losgesagt hätten. Sie haben ja gesehen, wie wir den Metallarbeiterstreik durchgeführt und gewonnen haben. Mit einzelnen Unternehmern schließen wir keinen Frieden. Doch vor dem Feind muss Deutschland einig sein."
Mathilde W., die noch unlängst zu den Radikalen gehört hatte, suchte mir die "Nützlichkeit" der Arbeit in den sogenannten Damenkomitees mit allen möglichen "Prinzessinnen" und "Gräfinnen" zu beweisen. Die "Prinzessinnen" bekämen dort "Respekt" vor den Arbeiterinnen. Und die Arbeiterinnen lernten in diesen wohltätigen Organisationen, "Eigeninitiative" an den Tag zu legen – was könnte es wohl Besseres geben?! Zugegeben, die Not der Proletarier wachse mit jedem Tag, der Hunger werde täglich schlimmer. Doch die Stadtverwaltung habe bereits ein Hilfsprogramm aufgestellt. Die Soldatenfrauen bekämen mehr Unterstützung, den Familien der Einberufenen seien ihre Wohnungen sicher. Mit einem Wort, das kämpfende Deutschland schaffe sich beinahe ein "sozialistisches Paradies".
"Doch die Arbeiterinnen verlangen schon jetzt Frieden!"
"Ja, sie haben mit dem Krieg nichts im Sinn, doch das kommt daher, weil sie ihn noch nicht begriffen haben. Für den Frieden können wir kämpfen, wenn wir uns gegen einen Einfall der russischen Truppen gesichert haben. Sie dürfen eines nicht vergessen – ein Sieg des Zarismus würde die Zerschlagung der Sozialdemokratie bedeuten." Als ob sie nicht ohnehin schon zerschlagen wäre! So trennten wir uns denn – kühl, ohne einander verstanden zu haben.
Ich will keinen Sieg Russlands! Warum wollen sie eigentlich den Sieg des Kaisers?
Liebknecht machte sich über mich lustig: "Wenn Sie die Niederlage Russlands wünschen, sind Sie eine schlechte Internationalistin! Nicht minder wünschenswert ist eine Niederlage Deutschlands."
Also soll man sich die Niederlage beider wünschen? Nur, wie soll das möglich sein?
31. August. Abends.
Ich bin spät nach Hause gekommen. musste mich für einen Verhafteten einsetzen und habe dann noch einen kranken Genossen besucht.
Ich bin durch den Grunewald gegangen. Er ist jetzt ganz verlassen, wie ausgestorben. Dabei war es ein wundervoller Sommerabend, lau, voller Wohlgerüche.
Ich traf Sofja Borissowna und Karl Liebknecht an. Sofja kommt jetzt oft auf einen Sprung zu uns. Sie sucht gewissermaßen unsere Nähe. Zu den "Patrioten" haben sie keinen Kontakt. Liebknecht sieht erschöpft aus, überanstrengt. Ihm droht die Einberufung.
Unter den Genossen gibt es bereits Gefallene.
Wir sprechen darüber, in welcher Form die Internationale wiedererstehen soll, sprechen von der Zukunft des Antimilitarismus. Mit Kautsky ist es hoffnungslos. Wurm ist "Patriot". Ledebour hält sich vorerst noch. Aber Karl meint, je länger der Krieg dauere, um so weniger nüchterne Köpfe würde es geben.