Der Kurden-Bismarck
Masud Barzani sieht die Zeit für eine vollständige Unabhängigkeit seiner Region gekommen
Masud Barzani, der Präsident des nordirakischen Kurdengebiets, teilte gestern dem US-Fernsehsender CNN mit, dass die Zeit für eine vollständige Unabhängigkeit seiner seit gut 20 Jahren autonomen Region gekommen sei.
Den Grund dafür sieht er weniger in der Region selbst, als in einer Veränderung des Irak, dessen Regierung keine Kontrolle mehr über das Land habe und dessen Armee und Polizei zerfielen. Dieser Zerfall liegt nach Ansicht Barzanis in der Verantwortung des irakischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki und anderer Politiker - und für deren Fehler dürfe man sein Volk nicht "in Geiselhaft nehmen" und ihm eine unsichere Zukunft zumuten. Die Kurden seien nämlich die einzigen, die aus der "Chance", die die Amerikaner den irakischen Volksgruppen 2003 gaben, etwas gemacht hätten.
Barzani gab an, den Wunsch nach vollständiger Selbstbestimmung auch US-Außenminister John Kerry vorzutragen, mit dem er sich heute in der kurdischen Hauptstadt Erbil treffen will. Kerry drängt bislang darauf, dass die staatliche Einheit des Irak gewahrt bleibt und dass Schiiten, Sunniten und Kurden in Bagdad eine gemeinsame Regierung bilden. Mit einer Teilung des Landes hätte ISIL den Worten des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten nach eines ihrer Ziele erreicht (was die Terrorgruppe allerdings anders sieht).
Sollten sich Schiiten und Sunniten in Bagdad tatsächlich einigen, dann wäre Barzani zufolge eine staatliche Unabhängigkeit seiner Kurdenregion nicht mehr unbedingt notwendig. Eine Voraussetzung dafür ist seiner Ansicht nach, dass al-Maliki zurücktritt: Der habe die irakische Armee als Ministerpräsident und Oberster Befehlshaber in Personalunion nicht auf eine Loyalität zum Land, sondern zu sich selbst aufgebaut und "Macht monopolisiert". Die Ergebnisse dieser Politik würden nun sichtbar.
Auf die Frage der CNN-Reporterin Christine Amanpour, ob al-Maliki nach der Einnahme Mosuls die Hilfe der kurdischen Peschmerga-Truppen angefordert habe, antwortete Barzani, der Schiit habe das nicht getan und angebotene Hilfe von kurdischer Seite sogar abgelehnt. Diese Ablehnung könnte damit zu tun haben, dass die von Kurden und Arabern besiedelte und seit zwei Wochen von Peschmerga besetzte Ölregion Kirkuk den Worten Barzanis nach "zweifellos ein Teil Kurdistans" ist. Die in der Verfassung des Irak versprochene und immer wieder verschobene Volksabstimmung darüber will der Kurdenpräsident nun forcieren.
Ob Barzanis sein Ziel eines unabhängigen Kurdistan tatsächlich verwirklichen kann, dürfte nicht zuletzt davon abhängen, wie glaubhaft er vermitteln kann, dass er territorial saturiert ist und keinen Anspruch auf weitere kurdische Siedlungsgebiete erhebt - vor allem im Osten der Türkei. Dass ihm dies gelingt, ist insofern nicht ausgeschlossen, als die Türkei gegen den erklärten Willen Bagdads und der Amerikaner über eine ihrer Pipelines und den Hafen Ceyhan bereits kurdische Ölexporte zulässt.
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