Der Lichtstrahl aus dem Osten

Setzt sich Magna durch, hat bei Opel zukünftig die Russland-Connection das Sagen

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„Beam“, so lautet der Name des Zukunftskonzepts für Opel, mit dem der österreichisch-kanadische Magna-Eigner Frank Stronach die Herzen der deutschen Politik gewinnen konnte (Opelretter in der Kritik). Wenn deutsche Politiker vor die Mikrofone der Journalisten treten, sprechen sie dann auch am liebsten von einer deutsch-österreichisch-kanadischen Kooperation. Das verwundert, sieht das Konzept „Beam“ doch lediglich eine 20%-Beteiligung von Magna vor. Die neuen starken Männer im Hintergrund von Opel sind die russischen Banker der staatlich kontrollierten Sberbank. Zusammen mit dem russischen Automobilproduzenten GAZ sind sie vor allem an der Technologie der Rüsselsheimer interessiert. Ob der Deal mit der Russland-Connection für Opel ein Glücksfall ist, wird sich noch herausstellen. Besonders problematisch könnte sich die Zusammenarbeit für die in den deutschen Werken beschäftigten Opelaner herausstellen. Aber davon will die deutsche Politik nichts wissen.

Sollte das Konzept Stronachs in die Realität umgesetzt werden, so gehören künftig jeweils 35% des Opel-Konzerns der russischen Sberbank und dem amerikanischen Mutterkonzern General Motors – 20% gehen an Magna und 10% sollen der Opel-Belegschaft gehören. Was letztendlich mit den 35% von General Motors passieren wird, ist einstweilen unbekannt.

Opels Mutterkonzern hat Gläubigerschutz beantragt und sollte sich ein zahlungskräftiger Käufer für die Opel-Anteile finden, so könnten die Anteile schnell den Besitzer wechseln. Im Falle einer Zerschlagung des Mutterkonzerns gehen die Opel-Anteile an den Meistbietenden. Mit dem russischen Staat im Rücken könnte die Sberbank auf diese Art und Weise ohne große Probleme künftig die alleinige Macht über den Opel-Konzern erhaltnen. Magna und die Sberbank sind strategische Partner, die nötigen Finanzmittel für die Opel-Übernahme kann aber nur Moskau aufbringen. Der Zulieferkonzern Magna steckt nach einem Auftragseinbruch im letzten Quartal selbst in der Krise.

Sberbank - der tanzende Elefant

Als German Gref im November 2007 sein Amt als Vorstandsvorsitzender der Sberbank antrat, kommentierte er seine Aufgabe mit den launischen Worten „Wir müssen beweisen, dass Elefanten tanzen können!“

Die Sberbank ist ein russischer Gigant. Sie verfügt über eine Marktkapitalisierung von über 21 Mrd. Euro (die Deutsche Bank weist hier 29 Mrd. Euro auf), hat über 20.000 Filialen in Russland und den ehemaligen Sowjetrepubliken, und ihr Umsatz steht für ein Viertel des russischen Bankensektors. 60% der Sberbank gehören der russischen Zentralbank und somit dem Staat.

Die Staatsbeteiligung ist dabei für die Sberbank Segen und Fluch zugleich. Segensreich ist die implizite Staatsgarantie für ihre Einlagen und Kredite. So sog die als sicher geltende Sberbank in den Turbulenzen der Kreditkrise die Ersparnisse der Russen auf wie ein Staubsauger – heute verwaltet sie mehr als die Hälfte aller privaten Spareinlagen des Landes. Ein Fluch für die Bank ist ihre politische Instrumentalisierung. Kreditnehmer, die von keiner privaten Bank neue Kreditlinien bekommen und auf politische Rückendeckung zählen können, werden von der Sberbank per ordre Putin mit frischem Kapital versorgt. Auch der Automobilhersteller GAZ, der im Poker um Opel eine gewichtige Rolle spielt, gehört in diese Kategorie.

So hat sich die Sberbank in den letzten Jahren zu einem Gemischtwarenladen entwickelt und sitzt außerdem auf einem riesigen Portfolio fauler Kredite. Diese Schieflage ist nicht existenzbedrohend, da die russische Zentralbank im Falle eines Falles stets frische Kapitalströme in die Sberbank leiten würde - ihre schiere Größe, das unübersichtliche Kreditportfolio und die lenkende Hand des Staates haben die Bank allerdings schwerfällig gemacht. Ob German Gref dem Elefanten das Tanzen beibringen kann, ist daher sehr fraglich.

GAZ – ohne Opel ein hoffnungsloser Fall

Der Automobilhersteller GAZ (Gorki Automobilwerke) produzierte zu Sowjetzeiten vor allem Lastwagen und Kleintransporter. Im PKW-Sektor deckte GAZ mit den Modellen Wolga und Tschaika das Premium-Segment ab – gefahren von Funktionären und Apparatschiks. Heute ist GAZ zwar immer noch der größte russische Produzent von Bussen und Lastwagen, die PKW-Produktion bereitet dem Unternehmen allerdings zusehends Probleme. Die Neuauflage der Modellreihe Wolga floppte auf dem heimischen Markt. In diesem Jahr konnte GAZ gerade einmal 3.000 Autos verkaufen. Die Bänder in den Werken stehen still und ein Großteil der rund 70.000 Beschäftigten ist bereits in den Urlaub geschickt worden. Dies stellt auch für den Technologiepartner Magna ein Problem dar, der über GAZ den russischen Markt erobern wollte.

GAZ sitzt auf einem Schuldenberg in Höhe von 1,4 Mrd. Dollar – die mit Abstand größte Gläubigerbank ist die Sberbank. Unter marktwirtschaftlichen Prämissen würde GAZ als insolvent gelten. Der russische Staat sieht in dem Unternehmen allerdings einen wichtigen Bestandteil in seiner Strategie, auch auf dem Technologiesektor weltmarktfähige Produkte herzustellen, um sich von der Rohstoffabhängigkeit lösen zu können. Der Automobilsektor gilt dabei als Lieblingskind des russischen Ministerpräsidenten Putin. GAZ ist somit für den Staat zwar nicht zu groß, aber zu wichtig, um fallengelassen zu werden. Mit Rückendeckung durch den Staat ist die Sberbank deshalb angetreten, aus ihrem Problemkreditkunden GAZ einen modernen Automobilhersteller zu machen. Die Technologie aus Rüsselsheim gilt dabei als große Chance.

Oleg Deripaska - der schillernde Oligarch auf Pump

Das Engagement der Sberbank erfreut vor allem einen Mann - Oleg Deripaska, der Oligarch, der noch vor einem Jahr als reichster Mann Russlands galt. Deripaska gilt als aggressivster und risikofreudigster Vertreter der russischen Oligarchie. Wie bei den meisten russischen Oligarchen erinnert auch der Aufstieg von Deripaska eher an den Wilden Osten, als an die Biografie eines „normalen“ Industriekapitäns.

Als die Sowjetunion zusammenbrach, schmiss Deripaska sein Wirtschaftsstudium und betätigte sich als Broker und Spekulant an der Moskauer Warenbörse. Schon früh spezialisierte er sich auf Aluminium. In den rabiaten Zeiten des Umbruchs wurde Aluminium in der Regel zu Niedrigstpreisen aus den Werken an Offshore-Firmen verkauft, die die Waren dann mit horrenden Gewinnen zu Weltmarktpreisen weiterverkauften. Einer der skrupellosesten Spieler auf dem Parkett waren die Brüder Tschernoi, die mit ihrem Unternehmen „Trans World“ nicht nur gigantische Gewinne machten, sondern auch weltweit mit den Gesetzen auf Kriegsfuß standen. Als sich Michail Tschernoi, gegen den wegen Geldwäsche, Erpressung, Kontakten zur Mafia, Rauschgiftschmuggel, Betrugs und Beteiligung an mehreren Todesfällen international ermittelt wurde, Mitte der 90er Jahre nach Israel absetzte, übertrug er seinem Ziehsohn Deripaska seine Geschäfte in Russland. Deripaska erwies sich allerdings als nicht nur sehr gelehrig, sondern auch als undankbar und übernahm - finanziert von seinem Freund Roman Abramowitsch - durch dubiose Finanztricks große Teile von Tschernois Imperium. Gegen Deripaska ist immer noch eine Klage Tschernois in Höhe von 6 Mrd. Dollar anhängig.

Anders als andere „Räuberbarone“ konnte Deripaska während der Säuberung in der Post-Jelzin-Ära seine Schäflein ins Trockene bringen. Dabei nutzte er seine hervorragenden Kontakte zur Politik. Er ist der Schwiegersohn der einflussreichen Tochter Boris Jelzins und gilt als treuer Gefolgsmann Putins. Im letzten Jahrzehnt wurde er mit seinen Beteiligungen im Aluminiumgeschäft zum reichsten Russen – im letzen Jahr wurde sein Vermögen auf 28 Mrd. Dollar geschätzt.

Kaum ein anderer Oligarch hatte seine Unternehmensbeteiligungen allerdings derart auf Pump finanziert wie Deripaska. Für neue Kredite verpfändete er gerne Aktien seiner älteren Beteiligungen. Mit dem rasanten Kursverfall im letzen Jahr wurden somit seine hinterlegten Sicherheiten abgewertet und die Gläubigerbanken sitzen Deripaska derzeit im Rücken. Der Mann, dessen Vermögen heute nur noch auf rund 3 Mrd. Dollar geschätzt wird, steht bei den Banken mit über 20 Mrd. Dollar in der Kreide. Deripaska ist somit eigentlich eher ein Schulden-Milliardär.

Da Deripaskas Unternehmen allerdings von zentraler Bedeutung für die russische Volkswirtschaft sind, und eine Oligarchen-Pleite dieses Ausmaßes Schockwellen aussenden würde, die den russischen Finanzsektor zum Kollabieren bringen könnten, wird Deripaska vom Kreml gestützt. Solange er im Sinne des Kremls handelt, stellt dieser den Fortbestand seines Imperiums sicher.

Die Sberbank hat bereits angekündigt, dass sie die Opel-Anteile nur so lange halten will, bis die Umstrukturierung des westeuropäischen Automobilherstellers abgeschlossen ist. Danach will sie ihre Anteile an einen russischen Investor weiterreichen. Es gilt als sicher, dass dieser Investor der Technologiepartner GAZ sein wird.

Licht im Osten, Schatten im Westen

Der Automobilmarkt in Russland hat viel Potenzial. Während in Westeuropa auf 1.000 Einwohner bis zu 600 Automobile kommen, sind es in Russland gerade einmal nur 190. Ein russischer Automobilhersteller GAZ, der in Technologiepartnerschaft mit Magna unter Lizenz Opel-Fahrzeuge produzieren und vertreiben würde, hätte dank des guten Vertriebsnetzes von GAZ gute Chancen, sich einen großen Teil vom Kuchen zu sichern. Als „russische Wagen“ hätten die Opel-Fahrzeuge zudem Preisvorteile, da bei ihnen keine Importzölle anfielen. GAZ kann von der Zusammenarbeit nur profitieren. Aber was hätte Opel von diesem Deal zu erwarten?

Wer die Kapelle bezahlt, bestimmt, welche Musik gespielt wird. Die Russen hätten beim neuen Opel-Konzern die Führungsrolle und könnten den Konzern nach ihren Vorstellungen umstrukturieren. Im schlimmsten Falle müsste Opel dabei sogar seine Technologien an einen Konkurrenten im Weltmarkt transferieren. Die Arbeitsplätze in der Entwicklung werden davon nicht negativ betroffen sein, da die Rüsselsheimer als kompetent gelten und es für GAZ wenig Sinn machen würde, auf dieses Faustpfand zu verzichten.

Es gilt allerdings als wahrscheinlich, dass den Arbeitern in den deutschen Opel-Werken langfristig eine neue Konkurrenz im Osten entstehen könnte. Warum sollte Opel teuer in Deutschland fertigen, wenn in Russland neue, moderne Fabriken entstanden sind, die günstiger produzieren können? Von all dem will die deutsche Politik allerdings nichts wissen. Stattdessen werden aus wahlkampftaktischen Gründen Milliardenbürgschaften gegeben, damit sich die Sberbank und Magna zu einem Spottpreis die Technologien von Opel kaufen können. Sberbank-Chef German Gref feierte den Entschluss der deutschen Regierung mit der Bemerkung, Russland „[habe] einen der technologisch fortgeschrittensten europäischen Produzenten zu einem beispiellos niedrigen Preis“ erhalten. Ob er auch ein Danktelegramm in die Zentralen der deutschen Volksparteien geschickt hat?