Der Lieblingskandidat der Unterhaltungsindustrie als Justizminister
Obamas Kabinett nimmt Form an
Trotz der Möglichkeit zur Online-Bewerbung auf Change.gov, von der angeblich bereits in den ersten Tagen über 150.000 Amerikaner Gebrauch machten, zeichnen sich im Führungsteam, mit dem Barack Obama regieren will, keine Überraschungen und wenig Wandel ab. Im Gegenteil: Sein Kabinett, das seit Ende letzter Woche deutliche Konturen hat, wird immer klarer von alten Clinton-Leuten und der demokratischen Parteihierarchie dominiert.
Gestern wurde bekannt, dass Timothy Franz Geithner Finanzminister wird. Geithner (dessen Name auch von Amerikanern deutsch ausgesprochen wird) arbeitete bereits unter Bill Clinton im Finanzministerium. 2003 wurde er Präsident der New Yorker Notenbank – ein Posten, der nach dem des Finanzministers und dem des Notenbankchefs als der drittwichtigste in der amerikanischen Finanzwelt gilt. Trotzdem schaffte er es bisher, dass in den amerikanischen Medien kaum ein Schatten der Verantwortlichkeit für die Finanzkrise auf ihn fiel. Der Siebenundvierzigjährige gilt als einer der geistigen Väter des "Rettungsplans" für die amerikanischen Banken und die Versicherung AIG. Angeblich waren die Gerüchte über seine Ernennung am Freitag mit dafür verantwortlich, dass der Dow-Aktienindex nach vorherigen schweren Verlusten wieder deutliche Zugewinne verzeichnete.
Der ebenfalls lange als Finanzminister gehandelte Lawrence Henry Summers, soll nun Direktor des National Economic Council (NEC) werden. Von 1991 bis 1993 war der unter Ronald Reagan in den Wirtschaftsrat berufene Wirtschaftswissenschaftler Chefökonom der Weltbank. Dort unterzeichnete er unter anderem ein Memo von Lant Pritchett, in dem dieser die ökonomische Logik des Exports von Giftmüll in Drittweltländer lobt, weil daraus resultierende Gesundheitsschäden durch die niedrigen örtlichen Einkommen die geringsten wirtschaftlichen Konsequenzen hätten.
1999 wurde Summers Finanzminister unter Bill Clinton. Als Bush 2001 die Präsidentschaft übernahm, wechselte er als Präsident an die Harvard-Universität. Nachdem er dort erst Cornel West nach Princeton gemobbt und später anhand einer (nach Ansicht der Autoren) nicht verstandenen soziologischen Studie öffentlich über die mangelnde genetische Eignung von Frauen für Spitzenposten spekuliert hatte, musste er 2006 seinen Hut nehmen. Ein weiterer Grund dafür war Summers enge Freundschaft mit Andrei Shleifer, einem Ökonomen, der seine Position als Harvard-Berater für die russische Regierung zur heimlichen finanziellen Vorteilsnahme zu nutzen versuchte.
Als NEC-Direktor soll Summer die Maßnahmen zur Eindämmung der Finanzkrise zwischen verschiedenen Stellen koordinieren – darunter auch den am Samstag von Obama bekannt gemachten Plan, zweieinhalb Millionen Arbeitsplätze zu erhalten oder neu zu schaffen, indem die Infrastruktur ausgebaut, Schulen modernisiert und alternative Energiequellen erforscht beziehungsweise erschlossen werden sollen. Ebenfalls für diese Bereiche mit zuständig sein könnte Kathleen Gilligan Sebelius, die Gouverneurin von Kansas, die derzeit als Energie- Erziehungs- oder Arbeitsministerin gehandelt wird.
Das Außenministerium als Ablenkung von der Gesundheitspolitik
Die spektakulärste Entscheidung, nämlich die, Hillary Rodham Clinton den Posten der Außenministerin anzubieten, dürfte auch den Hintergrund haben, die Senatorin au der Arbeit zu einer Gesundheitsreform herauszuhalten – ein Thema, bei dem Obama im Wahlkampf durchaus weniger weitgehende Pläne vertrat als sie. Amerikanische Medien gehen mittlerweile relativ einhellig davon aus, dass Hillary Clinton das Angebot bereits akzeptiert hat und ihr Ehemann Bill die Einkünfte, die er und seine Stiftung in den letzten Jahren bezogen, zu Klärung eventueller Abhängigkeiten offen legen wird. Offiziell soll die Entscheidung nach Thanksgiving bekannt gegeben werden.
Die Clinton-Administration schuf in den 1990er Jahren die Grundlagen für jenen Interventionismus, auf den die Bush-Regierung aufbauen konnte. Bei Bush war es zwar mehr der Vorwand "Sicherheit", als das seit dem Ersten Kreuzzug klassische Argument der "Humanitären Intervention" – aber wie nahe die Außenpolitik der beiden Administrationen beieinander lag, das sah man unter anderem auch daran, dass Hillary Clinton anfangs im Senat stets für den Irakkrieg stimmte. Inwieweit sich Clinton mit Stabschef Rahm Israel Emanuel vertragen wird, bleibt abzuwarten. Emanuel, den Clinton während der Amtszeit ihres Ehemannes angeblich aus dem Weißen Haus werfen lassen wollte, gilt nur bedingt als Anhänger einer Interventionspolitik und als einer der entschiedensten amerikanischen Gegner einer diplomatischen Anerkennung des Kosovo.
Den Posten des Gesundheitsministers übernimmt nun Thomas Andrew Daschle, der ehemalige Sprecher der demokratischen Senatoren. Im Februar veröffentlichte Daschle das Buch "Critical: What We Can Do About the Health-Care Crisis", in dem er die Gründung eines an die US-Notenbank angelehnten Federal Health Board vorschlägt, das die von manchen Arbeitgebern angebotenen privaten Krankenversicherungen subventionieren und regulieren sowie eine öffentliche Versicherung für alle Bürger anbieten soll. Obwohl Daschle nicht als Lobbyist registriert ist, erhält er von der Kanzlei Alston Bird Zahlungen als "Berater". Seine Frau, Linda Daschle, ist eine registrierte Lobbyistin für Baker, Donelson, Bearman, Caldwell & Berkowitz P.C. – ein Unternehmen, dass unter anderem für Klienten aus dem Gesundheitsbereich arbeitet.
Die Mitte letzter Woche als Handelsministerin ins Spiel gebrachte Penny Sue Pritzker dementierte solche Spekulationen mittlerweile. Ihre Ernennung hätte möglicherweise zu Negativschlagzeilen geführt: Sie war als ehemalige Vorstandsvorsitzende der Superior Bank FSB für eine Bankenpleitenaffäre verantwortlich, in deren Rahmen sich ihre Familie nur durch Zahlung von 460 Millionen Dollar an die US-Bundesregierung einer Bestrafung entziehen konnte. Angeblich wurden in der Bank Instrumente wie die Verbriefung von hochriskanten Eigenheimhypotheken zusammen mit Merrill Lynch und Ernst & Young LLP "erfunden". Nun gilt Bill Richardson, der Gouverneur von New Mexico und ehemalige Clinton-Energieminister als einziger und damit sicherer Anwärter auf den Posten.
Als sicher gilt, dass Obama den mit Kabinettsrang ausgestatteten Posten des Direktors des Office of Management and Budget (das die Arbeit der Bundesbehörden koordiniert und kontrolliert) Peter R. Orszag anbieten wird, dem bisherigen Chef des Congressional Budget Office, das ähnliches für den Kongress leistet. Und Orszag wird nach Auskünften aus der demokratischen Partei vom Samstag wahrscheinlich annehmen.
Als informell für die Position des Justizministers nominiert gilt der afroamerikanische Rechtsanwalt Eric Himpton Holder Jr., der aufgrund seiner Positionen zum "Geistígen Eigentum" der Lieblingskandidat der Unterhaltungsindustrie ist. Auch er ist ein alter Clinton-Mann: Zu dessen Amtszeit war er die Nummer zwei im Justizministerium. Allerdings hat Holder angeblich noch die "Sicherheitsüberprüfung" vor sich. Inwieweit hier der Technologieminister ein ausgleichendes Gegengewicht setzen kann, wird wohl auch davon abhängen, wer diesen Posten letztendlich einnimmt. Nach der öffentlichen Absage von Eric Schmidt, der lieber bei Google bleiben will, stiegen die Chancen von Julius Genachowski.
Die besten Chancen auf das Heimatschutzministerium werden Janet Napolitano eingeräumt, der Gouverneurin von Arizona, die Bill Clinton 1993 zur Bundesstaatsanwältin für diesen Staat ernannte. Als Gouverneurin machte sie bei der Bekämpfung von Waldbränden und Überschwemmungen keine ganz so schlechte Figur wie manche ihrer Kollegen. Allerdings betonen Obamas Sprecher im Zusammenhang mit dieser Personalfrage stets, dass noch keine endgültige Entscheidung gefallen sei. Napolitano gilt als Gegnerin des Grenzzauns zu Mexiko, dessen "Undurchlässigkeit" sie für eine Illusion halt, aber gleichzeitig als Befürworterin anderer Maßnahmen zur Begrenzung illegaler Einwanderung, wie etwa der Pflicht für Arbeitgeber, die Sozialversicherungsnummern ihrer Angestellten mit der E-Verify-Datenbank zu prüfen. Eine rechtliche Verantwortlichkeit der Arbeitgeber dafür schränkten die Bürger von Arizona allerdings per Volksabstimmung am 4. November stark ein.
Für den Posten des Nationalen Sicherheitsberaters werden General James Logan Jones jr. und James B. Steinberg gehandelt. Der Erste ist ein mittlerweile pensionierter Karrieresoldat, der zweite ein ehemaliger stellvertretender Sicherheitsberater Bill Clintons. Als weiterhin relativ unklar gilt, wer den Posten des Verteidigungsministers einnehmen wird: Möglich ist, dass der derzeitige Amtsinhaber Robert Gates den Posten für eine Übergangszeit einnehmen könnte.
Damit hätte Obama zum einen seine Ankündigung wahr gemacht, auch Republikaner in sein Kabinett mit aufzunehmen und würde sich zum anderen gegen mögliche Kritik absichern, wenn sich die derzeit verhältnismäßig ruhige Lage im Irak wieder ändert. Als mögliche spätere Nachfolger von Gates, der vor zwei Jahren Donald Rumsfeld ablöste, gelten Richard Jeffrey Danzig, der unter Clinton Marine-Staatssekretär war, der republikanische Patriot-Act-Kritiker Chuck Hagel (der als einer der ersten den Irak- mit dem Vietnamkrieg verglich) und der bisher eher in anderen Bereichen engagierte demokratische Senator Jack Reed aus Rhode Island.