Der Onlinejournalismus ist nach seinen Vertretern besser als sein Ruf

Der erste "Frankfurter Tag des Onlinejournalismus"

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Hat der Onlinejournalismus in Deutschland ein Qualitätsproblem? Nein - zumindest nicht, wenn man die Redaktionen selbst befragt. Vertreter der Branche besprachen beim ersten Frankfurter Tag des Onlinejournalismus Qualität, Zeitdruck und Personalmangel. Gemeinsames Fazit: Nur durch ein eigenes Profil und Zuverlässigkeit kann man im Internetjournalismus gewinnen. Und: Der Internetjournalismus soll besser sein als sein Ruf.

Geladen hatten das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik, der Rundfunkbeauftragten der Evangelischen Kirchen in Deutschland und der Hessische Rundfunk. Über 60 Vertreter von Onlinemedien hatten sich eingefunden, um die gemeinsamen Trends und Lösungsstrategien zu besprechen.

Der Markt ist gesättigt

Lorenz Lorenz-Meyer, der bis 1999 Redakteur bei Spiegel Online war, zeigte am Anfang ein nüchternes Bild der Branche. Zwar haben die großen Online-Redaktionen seit Jahren satte Steigerungen verzeichnet, aber die Online-Studie 2004 von ARD und ZDF zeige, dass eine gewisse Marktsättigung erreicht sei. Teilweise seien die Deutschen des Surfens so überdrüssig geworden, dass sie ihre Zeit wieder lieber vor dem Fernseher verbringen. Die Akzeptanz mobiler Dienste und Bezahlinhalte beschränke sich auf ein Minimum, die meisten Surfer nutzen nur einige wenige Angebote.

Den Onlinemedien selbst sei oft unklar, was ihre eigene Zielsetzung sei, welche Erfolgskriterien sie zu ihrer eigenen Arbeit heranziehen können. So sei das Verhältnis zu den Mutterhäusern oft ungeklärt: die Internetredaktionen fahren oft zweigleisig zwischen einem eigenständigen Profil und der Arbeit als Wurmfortsatz der klassischen Medien. Positiv zu vermerken ist immerhin, dass Nachrichten aus dem Netz nach wie vor sehr gefragt sind.

Einer der Gewinner der Entwicklung ist Spiegel Online. Mit seinen Besucherzahlen lagen die Hamburger an der Spitze von allen anderen vertretenen Redaktionen. Dafür musste sich die Redaktion auch einige Kritik gefallen lassen. So zitierte Lorenz-Meyer eine Meldung, bei der die Hamburger Online-Redakteure ausgerechnet Spiegel-Chef Stefan Aust fälschlicherweise einen lebenslangen Vertrag angedichtet hatten - eine Agenturmeldung war übernommen worden, ohne dass sie im eigenen Haus überprüft worden war. Eine Panne, die Frank Patalong von Spiegel Online nicht nur als peinlich, sondern als schmerzhaft bezeichnete.

Patalong gab Einblicke in die alltägliche Arbeit und die Strategien der Hamburger Redaktion. Im Zweieinhalb-Schicht-Betrieb produzieren 35 fest angestellte Redakteure täglich zirka 80 Artikel, die online gehen. Noch arbeitet die Redaktion defizitär - im kommenden Jahr will man die schwarze Null erreichen. Zirka 30 Millionen Euro hat das Mutterhaus nach Patalong bisher in den Online-Ableger gesteckt. Nach einer Untersuchung von Allensbach hat die Webseite eine wöchentliche Reichweite von 1,6 Millionen Lesern - mehr als die Print-Ausgabe.

Ein Ja zum Boulevard

Spiegel Online bekannte sich klar zu Boulevardthemen, den täglichen Stories zur Witwe Gesell, Britney und Dieter Bohlen, die der Redaktion immer wieder viele Pageviews bescheren. Als Kritik an der eigenen Arbeit wollte Patalong dies jedoch nicht werten: "Sagt das etwas über uns oder über die Leserschaft?" In die gleiche Kerbe schlug Tilman Aretz, der als Geschäftsführer für das Onlineangebot des Nachrichtensenders n-tv verantwortlich ist. Für ihn sind die Boulevard-Themen eine Schnittmenge, von der sich alle Leserkreise angesprochen fühlen. Wer allerdings nur "Schmutz und Schund" liefere, gehe zwangsläufig unter.

"Mit reinen Nachrichten kann man heute nichts gewinnen - die gibt es an jeder Ecke", erklärte Spiegel Online-Chefrakteur Mathias Müller von Blumencron. Auch die Spitzen von WDR Online, FAZ.net und Netzeitung beteuerten unisono, dass Schnelligkeit nicht an erster Stelle stehe und in den Online-Redaktionen nur solider Journalismus praktiziert werde. Der wird aber meist außerhalb der Redaktion praktiziert: Der größte Teil der Artikel der Nachrichtenredaktionen stammt nämlich von Agenturen.

Für eine kurze Kontroverse sorgte Christane Schulzki-Haddouti, als sie in ihrem Referat aufzeigte, auf welchen versteckten Wegen Onlinemedien sich Einnahmen verschaffen - zum Beispiel durch Links auf Partnerprogramme, die für den Leser oft nicht erkennbar in das redaktionelle Angebot integriert sind. Diese Kritik wollten viele Kollegen nicht annehmen, da sie für sich eine strikte Trennung von Werbung und redaktioneller Arbeit in Anspruch nehmen. Doch hier offenbarte sich auch ein blinder Fleck: Viele Redakteure bekommen gar nicht mehr mit, wo und in welcher Form die eigenen Inhalte vermarktet werden und welche Kooperationen die Verlage geschlossen haben.

Einen kritischen Einblick in die Online-Recherche bot Jochen Wegner, Wissenschaftsredakteur beim Münchner Focus. Er zeigte auf, welche Rolle Google in den heutigen Medien inzwischen spielt und welche geradezu magischen Fähigkeiten der Suchmaschine zuweilen angedichtet werden. Allerdings möchte sich Wegner keiner allgemeinen Google-Schelte anschließen: Zwar könne man immer wieder Falschmeldungen im Internet verbreiten, über eine einfache Google-Abfrage könnten jedoch viele Hoaxes als solche enttarnt werden: "Die minimale Fallhöhe einer Recherche ist die Google-Abfrage."

Blick in eine andere Online-Welt: China

Eine andere Dimension bekam die Debatte, als Stefan Niemann, ehemals ARD-Korrespondent in Peking, Einblicke in den Online-Markt in China bot. Er zeichnete ein zwiespältiges Bild: Zwar kann die kommunistische Partei ihr Informationsmonopol angesichts der Möglichkeiten des Internet nicht mehr aufrecht erhalten, andererseits bietet die Staatsmacht gewaltige Anstrengungen auf, um die neue Online-Freiheit so kurz zu halten, wie es eben geht. Inzwischen gibt es über 60 verschiedene Regeln und Gesetze zum Gebrauch des Internets in China. In Internetcafes müssen die Kunden ihre Ausweise registrieren, Logfiles werden gespeichert und von der Polizei überprüft.

Um die Bürger zu kontrollieren wurde ein gewaltiger Zensurapparat aufgebaut, der nicht nur auf Filtertechniken setzt, sondern auch schätzungsweise 30.000 bis 40.000 Internet-Überwacher einsetzt, die missliebige Webseiten sofort aufspüren. Ein anonymer Proxy-Dienst, der ungefilterte Informationen ermöglicht, hat deshalb oft eine Lebensdauer von nur wenigen Minuten. Dennoch konnte Niemann mehrere Fälle schildern, wo durch das Internet Diskussionen in der chinesischen Öffentlichkeit erst ermöglicht wurden und die das Regime in Zugzwang setzte. "Das Netz zersetzt die Informationsmonopole", so das Fazit von Niemann.

Insgesamt bot der erste Tag des Online-Journalismus einen gelungenen Auftakt, wenn auch die Selbstdarstellung die kritische Betrachtung und Diskussion bei weitem überwog. Mit der Veranstaltung wurde eine Möglichkeit des Dialogs innerhalb der Branche eröffnet, der bisher nur wenig praktiziert wurde. Eine Fortsetzung ist wünschenswert.