Der Palm-Kult
Microsoft hat zwar auf die Bezeichnung Palm-PC für seinen PDA verzichtet, aber es geht um mehr als Namen
Ich hatte nie geglaubt, daß ich ein Persönlichkeitstyp sei, der sich einem Kultur anschließen würde. Aber genau dies tat ich. Es handelt sich nicht um einen Persönlichkeitskult, sondern um einen technischen Kult: den Kult des Palm Pilot, eines einfachen tragbaren Computers und Betriebssystems mit einem Anteil von 60 Prozent am Weltmarkt der "persönlichen digitalen Assistenten".
Die meisten religiösen Kulte ziehen die enttäuschten und desillusionierten Mitglieder von etablierteren Religionsgemeinschaften an. Von der Institutionialisierung der Spiritualität entfremdet fliehen sie in kleinere Gruppen, in denen ihre Beziehung zu Gott direkter und das Wesen des Universums entmystifiziert zu sein scheint. Ganz ähnlich stellte sich bei den Mitgliedern meines Kults angesichts der zunehmend unergründlichen Welt der PCs eine Ernüchterung ein. Viele von uns hatten bereits ihre Seele an den Teufel verschachert und den Macintosh für die anscheinend weltweite Kompatibilität von Windows geopfert. Nachdem wir schnell zu Gefangenen eines endlosen Kreislaufs von Upgrades wurden, verwandelten wir uns gegenüber unseren Maschinen in Sklaven. Gewaltige Programme mit Tausenden von Codezeilen verschlangen unsere RAM und unsere Geldbeutel. Sie schienen einfacher zu bedienen zu sein, aber sie brachten vergrößerten die Distanz zwischen und uns und der Arbeitsweise unserer Maschinen. Und je undurchdringlicher sie wurden, desto weniger verstanden wir, was sie ausführten. Wir waren verloren.
Der kleine Palm Pilot, der an Nintendos Gameboy erinnert, ist ein monochromer und wesentlich textbasierter Computer mit bestenfalls zwei Megabyte RAM. Es gibt keine Festplatte oder gar einen Platz für eine Diskette. Man gibt den Text durch Schreiben oder durch das Drücken eines kleinen Bildes auf der Tastatur ein. Aber er ist nicht annähernd so bequem, so ausgestattet oder so ergonomisch wie ein Laptop. Warum also gibt es einen Kult um diese Maschine?
Ich konnte dies selbst nicht nachvollziehen, bis ich mein Demogerät mit meinem riesigen PC verband, so daß es seine Daten mit den Aufzeichnungen und Dateien von diesem "synchronizierte". Mit einem freundlichen Piepser legte der Palm Pilot meinen ganzen Computer auf die Matte, gab die Daten aus und piepste ein Dankeschön. Das war so, als würde man eine Maus beobachten, wie sie einen Elefanten vergewaltigt. Aber noch besser ist, daß das einfache und transparente Betriebssystem des Palm Pilot Tausende von jungen Programmierern dazu ermuntert hat, Programme für ihn zu schreiben, die oft kostenlos verteilt werden.
Wie in den guten alten Zeiten, als die Transparenz von DOS oder des ersten Apple-Systems den gerade beginnenden Programmierern einen leichten Zugang ermöglichte, sind es heute die unabhängigen Programmierer, die den Palm Pilot ausreizen und auf dessen Plattform Web Browser, Gitarrentuner, Wecker und Hunderte von anderen Anwendungen schreiben, die man alle leicht vom Internet, z.B. von www.pilotgear.com oder www.pilotfaq.com, herunterladen kann.
Während des Herunterladens eines EMail-Programms für den Palm Pilot offenbarte sich meiner unmaßgeblichen Wahrnehmung das Wesen des Kultes. Das ganze Programm konnte man in weniger als zwei Sekunden herunterladen. Ich war mir sicher, einen Fehler gemacht zu haben, aber das traf nicht zu. Es war die ganze Software - weniger als ein paar Hundert Kilobytes. Und es leistete, ganz im Vertrauen gesagt, fast genau dasselbe wie die letzte Version des monströsen EMail-Programms von Microsoft, wobei man überdies weniger herumbasteln mußte.
Das war der Augenblick, als es mich erwischt hat: Ich hatte Tausende von Dollar ausgegegeben und viele Stunden Zeit aufgewendet, um eine Monstrosität aufzuziehen und mit den jeweiligen Upgrades auszustatten, die in Wirklichkeit nicht sehr viel mehr für mich leistete als ein kleiner PDA, den man in der Hand halten kann. Sicher, es ist angenehm, eine Tastatur zu haben, und ich schätze einen großen Bildschirm. Aber die Maschine und ihr Betriebssystem sind so sperrig geworden, daß sie nur noch von Spezialisten programmiert werden können. Dazu sind nur noch die Hohepriester in der Lage. Der Palm Pilot machte die Ineffizienz meines PC und den Alptraum, zu dem Windows wurde, kenntlich.
Jetzt wachen Tausende aus demselben Traum auf und bilden Graswurzelgemeinschaften um diese neue und zugängliche Plattform. Und sie besitzen dieselbe Leidenschaft und den gleichen Fanatismus wie die ersten Mac-Fans. Es entsteht eine Bewegung, die das Gutenbergprojekt, eine riesige Sammlung von allgemein bekannten Texten von Aristoteles bis zu H. G. Wells, in Dateien übersetzt, die mit dem Palm kompatibel sind. Viele Web-Designer haben begonnen, ihre Interfaces so zu vereinfachen, daß sie von den primitiven, aber mutigen kleinen Browsers gelesen werden können, die auf dem Pilot laufen. Der Palm Pilot zwingt uns dazu, ganz kurz gesagt, unsere Prioritäten bei Computern und Netzen neu zu setzen. Zumindest was mich betrifft, finde ich das gut.
Aber Microsoft ist sich dieser neuen Bedrohung seiner unstrittigen Herrschaft bewußt und bringt jetzt seine eigene Version eines Palm-Computers auf den Markt. Auch wenn dieser wie ein Palm Pilot aussehen und wirken mag, so ist jetzt die Zeit, wie ich meine, um unsere Grenze abzustecken.
Wenn uns der Erfolgsweg von Microsoft irgendeinen Hinweis gibt, wohin das Unternehmen uns führen will, dann ist wes wohl der, daß sein Eintritt in den Markt von Palm-Computern nur dazu dienen soll, unsere Abhängigkeit vom Windows-System zu verstärken. Was als offene Architektur beginnt, wird irgendwann ebenso dunkel und unzugänglich wie Windows 95 oder 98 werden.
Aber man verliere nicht den Mut. Wenn wir unsere Neigung zum Palm Pilot demonstrieren, wird sich Microsoft unserer Entscheidung unterwerfen müssen. Machen wir uns für Microsofts Kampf gegen die Anschläge auf die Standardisierung bereit. Auch wenn wir verlieren und der Palm Pilot dann durch einen sicherlich bunteren und besser vermarkteten PDA ausgeschaltet worden sein wird, sollten wir diesen kurzen Augenblick in der Geschichte des Computers nicht vergessen, als wirkliche Menschen noch den Code verstanden haben. Und man sollte man im Gedächtnis behalten, daß jeder große Kult durch seine Verfolgung an stärker wird.
Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer
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