Der Putsch in Chile
Die mit Hilfe der US-Regierung in Blut getauchte "Demokratisierung" ließ einen verklärten Mythos der Linken entstehen
Vor dreißig Jahren, am 11. September, kursierten über den Putsch der chilenischen Militärs gegen den demokratische gewählten Präsidenten Salvador Allende zwei Versionen in Deutschland: Die erste, durch zahllose Zeugenaussagen untermauert: die Anhänger Allendes, unter ihnen der Dichter Victor Jara, wurden bestialisch gefoltert, viele umgebracht oder in Massengräbern verscharrt. Die Soldateska trieb ihnen Holzspieße unter die Fingernägel, hängte sie an den Handgelenken mit Gitarrensaiten auf, riss ihnen alle Zähne aus, verbrannte sie mit Kerosin, führte Frauen lebende Ratten in die Vagina ein. Die "Welt" schrieb hingegen am 29.9. 1973: "Jetzt geht es wieder aufwärts." Die "Neue Westfälische Zeitung" jubelte: "Putsch in Chile ist für Banken positiv - in Südamerika kann wieder investiert werden." Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" veröffentlichte am 29.9.eine Anzeige: "Chile - jetzt investieren."
Der CSU-Politiker und spätere Kanzlerkandidat Franz-Josef Strauss schrieb im Bayernkurier: "Angesichts des Chaos, das in Chile geherrscht hat, erhält das Wort Ordnung für die Chilenen plötzlich wieder einen süßen Klang." CDU-Generalsekretär Bruno Heck, zurückgekehrt nach seiner "solidarischen" Reise aus Chile: "Soweit wir Einblick bekommen haben, bemüht sich die Militärregierung in optimalem Umfang um die Gefangenen. Die Verhafteten, die wir ... sprachen, haben sich nicht beklagt." Über die Lage der im Stadion von Santiago gefangenen und gefolterten Chilenen sagte Heck der Süddeutschen Zeitung am 18.10.73: "Das Leben im Stadion ist bei sonnigem Wetter recht angenehm."
Das berühmte Plakat Klaus Staecks brachte die Stimmung aller Menschen, die Folter und Mord für den Profit des Kapitals nicht in Kauf nehmen wollten, auf den Punkt: "Seit Chile wissen wir genauer, was die CDU von Demokratie hält."
Es gibt wohl kaum einen gewaltsamen Regierungswechsel in einem kleinen Land nach dem Zweiten Weltkrieg, der einen so starken politischen Widerhall in Europa gehabt hätte. Auch heute ist das Internet voll mit Websites, die sich dem Putsch iin Chile widmen und auf denen der "große Patriot" Allende posthum verklärt wird.
Militärputsche in südamerikanischen Ländern waren nicht selten. Chiles Nachbarland Bolivien hält den Weltrekord an Staatsstreichen. Und die USA hatten seit Anfang des 19. Jahrhunderts in zahlreichen Staaten Mittelamerikas und der Karibik interveniert. Dass die US-Regierung die Verstaatlichungen Allendes zutiefst verabscheute und den Untergang des Abendlandes fürchtete, weil in Chile eine Unidad Pupular, eine "Volksfront" demokratisch an die Macht gekommen war, ist nichts Neues und würde auch heute nicht überraschen. Die Linke in Europa bekam aber bestätigt, dass die USA trotz des Friedensabkommens in Vietnam nur einen Monat vorher ihre imperialistische Politik nicht ändern wollten.
I don't see why we need to stand by and watch a country go communist because of the irresponsibility of its own people.
Sagte Henry Kissinger, als die Unidad Popular die chilenische Wahl 1970 gewonnen hatte. Es ging also ums Prinzip. Die chilenische Rechte schreckte selbst vor Mord, Attentaten und anderen kriminellen Akten - tatkräftig von den USA gefördert - nicht zurück, um einen Präsidenten zu stürzen, dem zu Beginn seiner Amtszeit die große Mehrheit der Bevölkerung begeistert zujubelte. Der "Miami Herald" überschrieb 1993 einen Artikel: "Wie wir die älteste Demokratie in Südamerika zerstörten und eine friedliebende Nation in ein Schlachthaus verwandelten."
l in 10 chance perhaps, but save Chile!; worth spending; not concerned; no involvement of embassy; $10,000,00 available, more if necessary; full-time job--best men we have; game plan; make the economy scream; 48 hours for plan of action.
Handschriftliche Notiz des CIA-Chefs von einem Gespräch mit US-Präsident Nixon am 15. September 1970, aus dem das Projekt FUBELT entstand
Wenig bekannt ist, dass die Beziehungen Deutschlands zu Chile schon in den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts prägend für die politische Kultur des Landes war. In Chile saß eine Kolonie deutscher Einwanderer, die fanatisch dem Nationalsozialismus huldigte. Víctor Farías hat zahlreiche Dokumente über den "langen Schatten der Nazis über Chile" veröffentlicht.
Aber nicht nur in den konservativen Regierungen, sondern auch in der Regierung der Frente Popular haben die Nazis unerwartete Verbündete gefunden. So zum Beispiel beweisen die Akten, daß mindestens zwei sozialistische Minister (auch Marmaduke Grove, der Gründer dieser Partei) und verschiedene andere Minister, im Zusammenhang mit Waffeneinkäufen polnischer Beutewaffen von der Wehrmacht standen. ...
Die erste Nazi-Partei in Chile wurde von einem Divisionsgeneral schon 1932 gegründet, also vor der Machtergreifung Hitlers in Deutschland. ... Der General Wilhelm Faupel organisierte von seinem Ibero-Amerikanischen Institut aus die Infiltration der Streitkräfte mittels einer militärwissenschaftlichen Zeitschrift von hohem Niveau in spanischer Sprache: "Ejército-Marina-Aviación". Sie wurde in allen Kasernen von den entsprechenden Offizieren und in Verbindung mit der NSDAP-Landesgruppe in Chile verteilt. Einer der Lehrenden, die das militärwissenschaftliche Material für Vorträge in der Kriegsakademie einsetzten, war der damals noch junge Offizier Augusto Pinochet.
Simon Wiesenthal versucht 1972, den linken Präsidenten Salvador Allende zu überzeugen, den Nazi-Kriegsverbrecher und "Vergasungsspezialisten" Walter Rauff auszuliefern - Allende weigerte sich, obwohl ihm bekannt war, dass Rauff für die direkte Ermordung von mindestens 100.000 Menschen, darunter Frauen und Kinder, verantwortlich war und obwohl Chile 1948 internationale Verträgen ratifiziert hatte, die eindeutig besagten, dass "in Fällen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit die internationale Rechtsprechung der nationalen übergeordnet ist und keiner Verjährung unterliegt".
Auch die chilenische Linke war nicht das, wofür sie in Europa gehalten wurde. Victor Farìas, ehemaliger Anhänger der Unidad Popular und politisch verfolgter Emigrant, hat 15 Jahre geforscht und das noch vorhandene Material gesichtet. In seinem Dokumentenband "La izquierda chilena" (1969-1973) räumt er mit vielen Legenden über die an der Volksfront beteiligten Parteien auf: Allendes "Partido Socialista", die KP, die Radikale Partei sowie die christlichen Linksgruppen MAPU und Izquierda Cristiana und der castristischen Bewegung MIR, die die Regierung "kritisch" unterstützte.
Nicht wenige der Schriftstücke waren einst geheim gestempelt oder nur zum internen Gebrauch bestimmt. Dazu zählen etwa Moskauer und Ostberliner Akten, doch beispielsweise auch ein offizielles internes Dokument des christlichen [!] MAPU um 1971-72, in dessen "Technik der Massenaktion" betiteltem Teil praktische Anleitungen (mit Illustrationen) zum Gebrauch von Messern, Knüppeln und Schleudern gegeben werden, um tödliche Verletzungen zu bewirken.
Der Putsch in Chile vor 30 Jahren hat sich in der mündlichen Überlieferung des mitteleuropäischen linken Milieus zu einer Pop-Ikone verselbständigt, die eine moralisch wertvolle Parabel erzählt, wie soziale Gerechtigkeit in der "Dritten Welt" zu erlangen sei. Chile eignete sich damals gut als Ausrede gegen den Vorwurf, die realsozialistische und sonstige Linke wolle mit der Macht aus den Gewehrläufen an die Macht kommen - à la Sturm auf das russische Winterpalais. Allende war der Gegenbeweis: "Seht her, wir können auch anders." Aber die Amerikaner verhinderten einen demokratischen Sozialismus. Und nur deshalb wurde er zum positiven Mythos.
Der Salvador Allende der oral history ist ein charismatischer und revolutionärer Held, unschuldig von den Bösen zu Tode gebracht, die von noch finstereren Mächten, selbstredend die USA, gesteuert wurden. Diese von vom Revolutionskitsch à la Che Guevara umrahmte Allende eignet sich als Symbol für die politisch durchaus zutreffende Aussage, dass das Kapital, wenn es dem Profit dient, über Leichen geht und dass unter der dünnen demokratischen Firnis rechtskonservative Politiker auch in Deutschland die Folter oder die Sympathie dafür lauern.
Das letzte Lied von Victor Jara, die letzte Rede (1,4 MB) Allendes oder die Hommage des chilenischen Literaturnobelpreisträgers Pablo Neruda an Allende jagen jedem gelernten Linken einen Schauer der Ergriffenheit über den Rücken (den Autor inklusive). Und wer "Venceremos" von Inti Illimani nicht zumindest mitsummen kann, hat kein Herz oder war in den siebziger Jahren in der CDU oder noch nicht geboren.
Der historische Allende war ein linkspopulistischer Caudillo, der sich weigerte, Nazi-Kriegsverbrecher auszuliefern, von Ökonomie nicht viel Ahnung hatte und an den völkischen Patriotismus seiner Landsleute appellierte. Er hätte sich mit Hugo Chavez, dem heutigen venezolanischen Präsidenten, blendend verstanden. Er hätte gegen die permanenten Menschenrechtsverletzungen Fidel Castros nicht protestiert und würde den Untergang des realen Sozialismus bedauern. Wie alle Helden der Popkultur starb er zu früh, um eine Chance zu haben, seinen Ruf zu ruinieren. Salvador Allende als politische Ikone wirkt jedoch positiver, als es der echte je vermocht hätte.
Un pueblo unido, jamás será vencido!.
Ein geeintes Volk wird niemals besiegt werden. Auf paschtunisch oder arabisch hört sich das blöd an, und jeder denkende Mensch würde sich auch wegen der historisch unstrittig falschen Aussage schaudernd abwenden. Aber während einer Party deutscher Altlinker ist es als musikalisches Schmankerl kaum zu toppen, wenn es um politisch korrektes Karaoke geht.