Der Rechte Sektor und die "nationale Revolution"

Präsidentschaftskandidat Jarosch hat das Programm der Rechtsnationalen vorgestellt, eine seltsame Mischung aus Wirtschaftsliberalismus, Aufrüstung und Überwindung des alten Systems

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Dmitri Jarosch, der Chef des Rechten Sektors, tritt als Präsidentschaftskandidat auf, die Organisation, ein Zusammenschluss militanter rechtsnationalistischer Gruppierungen, hat sich als Partei konstituiert. Der Rechte Sektor, einflussreich während der Maidan-Proteste geworden, will damit aber nicht zu einer normalen Partei werden, sondern eine militante Bewegung und damit anders bleiben. Die gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei dienen nun als eine Art Ursprungsmythos. Anfang Februar wollte Jarosch allerdings noch nicht in ein demokratisches System integriert werden. "Wir sind keine Politiker", sagte er der Time: "Wir sind Soldaten der nationalen Revolution." Und er versicherte, der Rechte Sektor hätte genug Waffen, um die Ukraine gegen die "internen Besatzer" zu verteidigen.

Dmitri Jarosch stellt sein Programm vor. Video des Rechten Sektors

Damit soll nicht nur die kämpferische Aufstellung und das Spiel mit den Waffen gerade in Zeiten des Konflikts mit Russland und prorussischen Strömungen in der Ukraine aufrechterhalten werden, sondern man will damit auch den Anschluss an die Maidan-Bewegung halten, die vielfach nicht nur das alte Parteien- und Machtsystem unter Janukowitsch ablehnen, sondern insgesamt skeptisch gegenüber der Parteiendemokratie und auch die alten Politiker ist, die im Zuge des Regierungssturzes an die Macht gekommen sind. Zur Erinnerung: Auf Druck der rechten Gruppierungen wurde das Abkommen mit Janukowitsch gekippt, die Regierungsvertreter mussten vom Maidan akzeptiert werden.

Der Rechte Sektor hat zwar dazu aufgerufen, mit anderen Gruppen vor Ostern den Maidan zu säubern und den Müll beiseite zu schaffen. Der Maidan sei für viele eine zweite Heimat geworden, Sauberkeit sei wichtig und gehört irgendwie zur Meinungsfreiheit. Die Barrikaden will man aber nicht abbauen. Heute wird zu einer Mahnwache vor dem Obersten Gericht aufgerufen, wo eine außerordentliche Versammlung der Richter stattfindet. Die seien Teil des Janukowitsch-Systems. Der Rechte Sektor fürchtet, dass Parlament ein Gesetz zur Säuberung der Gerichte nicht billigen wird.

Mit dem Journalisten Yegor Sobolev sitzt ein Vertreter der Maidan-Bewegung auch dem Lustrationskomitee vor, das geschaffen wurde, um das System der Politik und der Rechtsprechung zu säubern. Die Idee sei sehr populär, sagte Sobolev am Freitag, und werde von der Bevölkerung unterstützt. Man müsse Lustration eher als "Filter" denn als "Strafe" verstehen. Vorgeschlagen wird von ihm, Janukowitsch und seine engsten Vertrauten lebenslag von der Übernahme politischer Funktionen auszuschließen und das gesamte juristische System von oben nach unten zu säubern. Auch alle höheren Beamten im Verwaltungsapparat, im Militär und bei der Polizei, die unter Janukowitsch im Amt waren oder die etwas mit dem "sowjetischen KGB-System" zu tun haben, sollen ersetzt werden. Es soll sich nach ihm um Tausende handeln.

Jarosch hat während der Maidan-Proteste eng mit dem "Kommandeur des Maidan" Andrew Parubiy zusammengearbeitet. Parubiy hatte die Vorläuferpartei der rechtsextremen und nationalistischen Swoboda mitbegründet, ist aber 2012 Mitglied der Vaterlandspartei geworden und fungiert seit dem Sturz der Janukowitsch-Regierung als Vorsitzender des einflussreichen Nationalrats für Sicherheit und Verteidigung. Jarosch und Parubiy verfolgen ähnliche politische Ziele. Parubiy machte letzte Woche deutlich, dass die Präsidentschaftskandidaten sich bei Themen wie der Nationalen Sicherheit zurückhalten sollen. Wer des Separatismus befürworte, verstoße gegen die Verfassung. Nach ihm werden einige Kandidaten versuchen, mit ausländischen Kräften die Ukraine zu destabilisieren. Solche Bestrebungen werde man entschlossen unterdrücken und bestrafen.

Auch Vizepremier Vitaliy Yarema erklärte am Freitag, man werde alles tun, um eine Wiederholung dessen zu verhindern, was auf der Krim geschehen. Angeblich würden separatistische Bestrebungen mit Milliarden von US-Dollar finanziert, die Janukowitsch und andere der Ukraine entzogen hätten. Die Sorge dürfte berechtigt sein, die Gefahr ist, dass die russischsprachige und prorussische Bevölkerung der Verfolgung und Diskriminierung ausgesetzt werden könnte.

Tatsächlich verschärfen sich in der Ostukraine bereits die Auseinandersetzungen. So ist es in Charkiv, Donezk und Luhansk zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und prorussischen Demonstranten gekommen, die ein Referendum fordern. In Charkiv sollen auch Mitglieder des Rechten Sektors mitgemischt haben, die dann unter dem Schutz der Polizei fliehen mussten, nachdem sie angeblich eine Demonstration angegriffen hatten. Wie weit die Demonstrationen gesteuert oder russische Agenten/Provokateure beteiligt sind, ist schwierig zu beurteilen. Für die ukrainische Regierung bezahlt der Kreml die Demonstranten und soll das Krim-Szenario wiederholt werden. Angeblich soll in Luhansk eine Gruppe aufgetreten sein, die sich "Russischer Sektor" nennt.

Waffen für alle und Schutz des Genpools der Ukrainer

Am letzten Freitag trat Jarosch vor die Presse und erläuterte das Programm des Rechten Sektors, um seine Präsidentschaftskandidatur zu erklären. Chancen dürfte er wohl nicht haben, bei einer Umfrage hatten gerade einmal etwa mehr als 1 Prozent für ihn gestimmt. Offenbar neigen Menschen trotz der Rolle des Rechten Sektors bei der Maidan-Bewegung eher zu den etwas weniger militanten Rechten von der Swoboda-Partei, zu Julia Timoschenko von der Vaterlandspartei, vor allem aber zum Oligarchen Poroschenko, der die Maidan-Bewegung zwar unterstützt hat und nach Europa orientiert ist, aber auch wie Timoschenko im alten politischen System verwurzelt ist.

Bild von der Facebook-Seite des Rechten Sektors

Janosch erklärte erneut, dass er und seine Mitkämpfer nie gewöhnliche Politiker sein würden. Sie seien nicht an Macht interessiert. Ihre primäre Mission sei es gewesen, die "inländische Besetzung" der Ukraine zu vertreiben. Das sei gelungen. Nun gehe es um die Verteidigung gegen Russland und gegen Umsturzversuche und separatistische Bestrebungen in der Ukraine sowie um eine "revolutionäre Veränderung" der ganzen Gesellschaft. Auch Jarosch tritt für eine umfassende Lustration vor allem bei den Justiz- und Strafverfolgungsbehörden ein und ein Ende der Korruption ein. Er werde dafür sorgen, "dass die nationale Revolution zu einem siegreichen Ende kommt", so dass nicht wie 2005 nur die politischen Akteure ausgetauscht werden und alles beim Alten bleibt. Das Hauptziel sei es, so heißt es im Programm, die ukrainische nationale Revolution zu vollenden und "die kriminellen oligarchischen Modelle zu zerstören". Geschaffen werden soll ein "sozial orientierter Staat mit einer effizienten Marktökonomie und einer vollständig neuen Machtstruktur". Man wende sich der europäischen Kultur zu und bekämpfe den "Neokolonialismus des Kreml".

Wenig verwunderlich ist für Jarosch die Aufrüstung vorrangig. Die Ausgaben für die Armee sollen verdreifacht werden, die Ukraine will er wieder zur Atommacht machen. Die Kooperation mit den USA und Großbritannien als Garanten für die Sicherheit und Integrität soll verbessert werden. Erst einmal soll aber eine volle Mobilisierung starten und eine Berufswehr, eine Nationalgarde und eine territoriale Miliz geschaffen werden, letzteres vermutlich für die militanten Mitglieder des Rechten Sektors, die nicht in die Armee und in die Nationalgarde wollen. Wichtig ist Jarosch auch der "Schutz des ukrainischen Informationsraums", was heißt, Verbot aller anti-ukrainischer Sender. Zerstört werden soll das Geheimdienstnetzwerk in der Ukraine, alle Formen des Separatismus sollen beseitigt werden. Um die Ordnung im Land zu etablieren, will der Rechte Sektor das Recht eines jeden Bürgers einführen, Schusswaffen zu besitzen. Es sollen lokale Polizeibehörden und gewählte Sheriffs eingeführt und überhaupt die staatliche Macht dezentralisiert werden. Nach der Säuberung soll das Justizsystem unabhängig werden.

Offenbar verträgt sich Nationalismus gut mit Marktliberalismus. Jarosch will zwar einen starken Sicherheitsapparat, aber sonst einen schmalen Staat. Zweidrittel der Staatsangestellten sollen entlassen und verstärkt e-governance eingeführt werden. Der Einfluss des Staates auf die Wirtschaft soll reduziert werden. Dazu passt auch, dass Jarosch die Steuern senken und vereinfachen. Es soll nur noch drei Steuerarten geben: eine Einkommenssteuer von 10 Prozent, eine Unternehmenssteuer von 7 Prozent und eine Wertpapier- oder Investitionssteuer von 5 Prozent.

Wie damit alle Wünsche finanziert werden sollen, bleibt unbeantwortet. Vielleicht durch die Veränderung des umlage- in ein kapitalfinanziertes Rentensystem, die Betonung auf Selbstverantwortung der Menschen oder die Einführung eines profitorientierten Medizinsystems und einer Krankenversicherung, vermutlich privat. Jarosch will natürlich das Land modernisieren, die Wissenschaft und das Internet fördern, eine weltbeste Ausbildung bis zum Abschluss der Sekundärstufe kostenlos anbieten. Die jungen Menschen sollen viel Sport und "patriotische Bildung" genießen. Der Umweltschutz soll mit staatlichen Geldern auch die Wälder, Flüsse und Seen der Ukraine wiederherstellen, um damit (?) den "Genpool des ukrainisches Volkes" zu schützen.