"Der Schlüssel liegt darin, als erster zu lügen"

Ray McGovern. Foto: Public Domain

Interview mit dem vormaligen CIA-Analysten und Friedensaktivisten Ray McGovern

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Raymond McGovern, Jahrgang 1939, verbrachte 27 Jahre in der CIA. Er war für die Beobachtung der Sowjetunion zuständig und berichtete in den 1980er Jahren persönlich dem Präsidenten im Weißen Haus. Heute ist der Ex-Geheimdienstler ein erbitterter Gegner verlogener Kriegstreiberei und legte sich mit Bush junior, Donald Rumsfeld und Hillary Clinton an. Sein Komitee "Veteran Intelligence Professionals for Sanity (VIPS)" liefert regelmäßig ungebetene Kommentare zur Sicherheitspolitik und organisiert die jährliche Verleihung des Sam Adams Awards. Heute spricht er auf der Veranstaltung Kein Drohnenkrieg in der Pfalz. Im Telepolis-Interview bedauert McGovern sein Schweigen während des Vietnamkriegs.

Sie sind 1963 in die CIA in einer Zeit eingetreten, als die CIA einen schweren Stand hatte. Warum haben Sie sich für die CIA entschieden?

Ray McGovern: Die Fordham University, an der ich 1961 einen B.A. und 1962 einen M.A.-Degree in Russlandstudien gemacht hatte, bot ein exzellentes Programm in Russlandstudien an. Während meines Grundstudiums habe ich auch beim Reserve Officers Training Corps (R.O.T.C.) studiert, war im Juni 1961 als 2nd Lt. anerkannt und diente für zwei Jahre als Army Infantry/Intelligence Officer. Es war eine sehr angespannte Zeit in den Beziehungen zwischen den USA und der UdSSR. Als John F. Kennedy 1961 Präsident wurde, hatte er berühmtermaßen aufgefordert: "Frag nicht, was dein Land für dich tun kann, frag, was du für dein Land tun kannst."

Mit der Expertise, die ich in russischer Sprache, Literatur, Geschichte und Politik hatte, schien es mir, dass ich meinem Land etwas Ungewöhnliches anbieten konnte, nachdem ich meinen Militärdienst abgeleistet hatte. Die substantiierte Gelegenheit zur Analyse, die mir das Central Intelligence Agency’s Intelligence Directorate anbot, war eine aussichtsreiche Gelegenheit, um mit meinen Kenntnissen über Russland und russische Angelegenheiten mitzuwirken.

Man sagte mir, diese Arbeit sei einzigartig in zweierlei Hinsicht. Erstens hätte ich Zugriff auf alle Informationen, die die US-Regierung über sowjetische Auslandspolitik gesammelt hatte, inklusive Geheimdienstwissen von unseren eigenen Agenten und der technischen Aufklärung; und zweitens wäre ich verantwortlich für die Analyse des gesamten Materials und den Analyse-Bericht ohne Furcht oder Bevorzugung an den Präsidenten der Vereinigten Staaten. Mit anderen Worten: Wir Analysten hatten keine keine andere Agenda, als die Wahrheit direkt dem Präsidenten zu berichten. Wir mussten nicht dem Militär zustimmen, dass die Russen zehn Fuß hoch seien. Und wir mussten nicht unsere Ergebnisse maßschneidern, dass die Politik des Außenministeriums gut aussah.

Ray McGovern. Foto: Public Domain

An meinem ersten Tag im neuen CIA Hauptquartier sah ich das in die Wand der Eingangshalle eingravierte Bibel-Zitat: "Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen." Ich sagte zu mir selber: "Wenn dies wahr ist (soll kein Wortspiel sein), dann wird dies ein guter Arbeitsplatz sein." Und das war er. So war es, bis William Casey und sein Lehrling Robert Gates begannen, die stichhaltigen Geheimdienstinformationen Caseys Sicht anzupassen, dass Russen unter jedem Stein wären, etwa an Orten wie Nicaragua, Angola, Granada, Cuba, Mexico - überall. So war es, bis das Directorate of Intelligence (die Analyse-Abteilung) sich korrumpieren ließ - nahezu irreparabel.

Analysten wurden danach befördert, wie sehr sie ihre Segel nach dem vorherrschenden Wind von Casey und Reagan richten konnten, nicht nach ihren Kenntnissen beispielsweise über die Russen. Seriöse, substantiierte Analyse über Russland wusste beispielsweise, dass die Russen (bildlich gesprochen) nur 5 Fuß und 9 Inches groß waren - und schrumpften. Doch Casey und Gates (der früher für mich arbeitete, als ich in den 1970er Leiter der Abteilung für sowjetischen Auslandspolitik war) bestanden darauf, dass diese 10 Fuß hoch seien, und beförderten solche, die ihm bestätigten, sie seien tatsächlich so groß!

Es bedarf einer Generation, um eine Institution zu korrumpieren und das Einstellen von formbaren Managern ist ein klassischer Weg, um dies zu erreichen. Das Ergebnis: 21 Jahre später waren diese von Casey und geschaffenen biegsamen Manager in der Lage, "weapons of mass destruction" und operative Verbindungen zwischen Saddam Husseins Irak und al-Qaida zu finden, mit dem Ziel, einen Angriffskrieg gegen den Irak zu "rechtfertigen"- den unehrenhaftesten und desaströsesten außenpolitischen Schritt in der Geschichte unseres Landes. Niemand wurde dafür verantwortlich gemacht. So wird es dann wieder geschehen.

Whistleblowing

Ihre Arbeit bestand in der Analyse des sowjetischen Einflusses in Vietnam. Wie wichtig waren die Russen in diesem Konflikt wirklich?

Ray McGovern: Als die Russen sicher waren, dass Ho Chi Minh der Sieger in Südvietnam wird (und nicht damit rechneten, dass die USA dieselben Fehler wie die Franzosen machen würden), entschied Moskau, dass es sicher sei, in den Vietnamkrieg in sehr begrenzter Weise einzutreten (meist mit SAM-Raketen), so dass man Ruhm für den unausweichlichen kommunistischen Sieg im Süden erwerben könne. Moskaus damalige primäre Beschäftigung war der Kampf mit China um die Führung der internationalen kommunistischen Bewegung. Die Chinesen stellten die Russen als revisionistische kommunistische Feiglinge dar.

Mit einer übermäßigen Furcht vor einem existierenden kommunistischen Monolith (tatsächlich gingen die Russen und Chinesen einander an die Kehle) versanken sich die Vereinigten Staaten im Sumpf. Dummerweise überzeugte der frühere Botschafter Averill Harriman Präsident Johnson, dass die Russen dazu überredet werden könnten, "ihren Einfluss in Hanoi" zu nutzen, um Ho Chi Minh zum Nachlassen und Aufhören zu bewegen, oder wenigstens zu etwas geringerem als dem totalen Sieg. Doch die Russen hatten buchstäblich keinen Einfluss in Hanoi, nachdem sie Ho Chi Minh auf der Genfer Konferenz von 1954 verkauft hatten.

Es war meine Aufgabe, diese unwillkommene Nachricht Harriman und Lyndon B. Johnson zu vermitteln. Ich versuchte es, doch sie hörten nicht. Also entschied ich mich für einen kritischen Artikel in einer öffentlichen Publikation. Diese erschien in der Mai/Juni-Ausgabe 1967 von "Problems of Communism" mit dem Titel "Hanoi and Moscow".

Etwas später erfuhr ich von einer "smoking gun", einem offiziell geschriebenen Beweis einer schockierenden Verlogenheit der US-Militärführung in Saigon in einer Schlüsselangelegenheit, aber ich hatte nicht die Courage, ein Whistleblower zu werden. Daher muss ich mit dem Gedanken leben, hätte ich die Courage einer Chelsea [Bradley] Manning oder eines Edward Snowden in dieser Zeit gehabt [August 1967], dann hätte die Zahl der getöteten Vietnamesen "nur" 1,5 Millionen und die der getöteten US-Soldaten nicht mehr als 25.000 betragen können - anstatt drei Millionen und 58.000. Ich habe darüber an einigen Stellen geschrieben, die ich gerade nicht zur Hand habe. Wenn Sie Interesse daran haben, lassen Sie es mich wissen. Dazu gehört beispielsweise der Artikel How the Truth Can Save Lives.

Bevor ich es vergesse, die Sam Adams Associates for Integrity in Intelligence (SAAII) vergeben jährlich einen Preis im Andenken an Sam. Sie finden hierzu Informationen unter samadamsaward.ch.

Wenn unabhängige Websites wie WikiLeaks oder etwa Consortiumnews.com 43 Jahre früher existiert hätten, wäre ich der Gelegenheit vielleicht gewachsen gewesen und hätte dabei geholfen, 25.000 US-Soldaten und einer Million Vietnamesen das Leben zu retten, indem ich die Lügen aufgedeckt hätte, die in nur einem SECRET/EYES ONLY-Cable aus Saigon enthalten waren.

Ich muss das sagen, weil es mich krank machte, das offizielle Washington und die schwanzwedelnden Corporate Media bei der Herkulesaufgabe zu sehen, die Aufmerksamkeit von der Gewalt abzulenken und in Afghanistan zu täuschen, wie es in Tausenden von U.S.-Army-Dokumenten reflektiert wird, in dem sie auf die Botschafter schießen — auf WikiLeaks und Pvt. Bradley Manning. Nach all dem unterschiedslosen Tod und der Zerstörung nach nahezu neun Jahren des Kriegs, ist die Heuchelei allzu durchsichtig, wenn WikiLeaks und der angebliche Leaker Manning ihr Leben riskieren müssen, um die Wahrheit zu enthüllen.

Überdies plagt mich noch immer ein schlechtes Gewissen dafür, was ich nicht tat, um Fakten zum Vietnamkrieg aufzudecken, die Menschenleben hätten retten können.

Diese bedauerliche, aber wahre Geschichte erzähle ich in der Hoffnung, dass andere unter ähnlichen Umständen heute mehr Mut beweisen, als ich 1967 aufbrachte, und dafür alle Vorteile der inzwischen unglaublichen Fortschritte in der Technologie nutzen.

Viele meiner Kollegen des Junior Officer Trainee Program der CIA kamen in den frühen 1960ern nach Washington, inspiriert von Präsident John Kennedys Rede zur Amtseinführung, in welcher er uns dazu aufforderte, uns selbst zu fragen, was wir für das Land tun könnten. Das klingt heutzutage kitschig, nehme ich an; ich denke, dass Sie mir das einfach glauben müssen. Es wird nicht exakt Camelot gewesen sein, aber der Geist und das Ambiente waren frisch - und gut.

Unter denen, die Kennedys Aufruf zwingend fanden, war Sam Adams, ein junger früherer Marineoffizier, der das Harvard College besucht hatte. Nach der Navy versuchte es Sam mit der Harvard Law School, fand dies jedoch langweilig. Stattdessen entschied er nach sich nach Washington zu gehen, um in die CIA als Officer Trainee einzutreten und Abenteuer zu erleben. Er bekam mehr als seinen Anteil an Abenteuer.

Sam war einer der hellsten und engagiertesten unter uns. Sehr früh in seiner Karriere fand er einen spannenden wie wichtigen Bericht - den über die Liquidierung vietnamesischer kommunistischer Kräfte, die früh in diesem Krieg erfolgte. Er übernahm die Aufgabe mit ungewöhnlichem Einfallsreichtum und erwies sich schnell als perfekter Analyst. Reichlich gestützt auf erbeutete Dokumente, bestätigt von allen möglichen Quellen, schloss Adams 1967, dass doppelt so viele Kommunisten (etwa 600.000) in Südvietnam unter Waffen standen, als das US-Militär zugeben wollte.

Heuchelei in Saigon

Beim Besuch in Saigon erfuhr Adams 1967 von Army-Analysten, dass ihr kommandierender General William Westmoreland einen künstlichen Deckel auf die offizielle Army-Zahl legte, statt Fragen zum "Fortschritt" des Kriegs zu riskieren. Kommt Ihnen das bekannt vor?

Es war ein Zusammenprall der Kulturen, mit Army-Geheimdienstanalysten, die Generälen salutierten, die politisch diktierten Befehlen folgten, und Sam entsetzte diese konsequente Verlogenheit. Von Zeit zu Zeit hatte ich Lunch mit Sam und erfuhr von dem gewaltigen Widerstand, auf den er beim Versuch stieß, die Wahrheit ans Licht zu bringen.

Eines Tages hatte ich beim Essen Ende August 1967 Mitleid mit Sam und fragte ihn, was möglicherweise General Westmorelands Motiv sein könne, den Feind nur halb so stark erscheinen zu lassen, als er es aktuell war. Sam gab mir die Antwort, die er von den Pferdemäulern in Saigon hatte.

Adams erzählte mir, dass in einem Cable vom 20.08.1967 Westmorelands Deputy, General Creighton Abrams, die Gründe für die Täuschung darlegte. Abrams schrieb, dass die neuen, höheren Zahlen (entsprechend Sams Zahl, die von allen Geheimdiensten gestützt wurde außer vom Army-Geheimdienst, der die befohlene Position vertrat) "in einem scharfen Kontrast zur aktuellen Gesamtstärke von 299.000" stehe, die der Presse genannt wurde.

Abrams betonte: "Wir haben über die letzten Monate ein Bild des Erfolgs projiziert." Und er gab zu bedenken, dass dann, wenn die höheren Zahlen öffentlich würden, "alle verfügbaren Vorbehalte und Erklärungen die Presse nicht von fehlerhaften oder düsteren Schlüssen abhalten würden".

Kein weiterer Beweis war mehr erforderlich für die Tatsache, dass die höchsten Kommandeure der U.S.-Army logen, um einen "Fortschritt" im Krieg zu simulieren.

Ebenso bedauerlich wie die Grobheit und Gefühllosigkeit von Abrams Cable wurde zunehmend klar, dass die Vorgesetzten sich nicht für Sam einsetzen, sondern stattdessen auf die frisierten Zahlen der Army zurückgreifen würden. Leider war es das auch, was sie taten.

CIA-Direktor Richard Helms, der es als seine primäre Pflicht ansah, nahezu engstirnig die Agency zu "schützen", gab den Ton an. Er erzählte seinen Untergebenen, dass er seine Pflicht nicht ausfüllen könnte, wenn er es zulasse, dass sich die Agency in einen hitzigen Streit mit der U.S.-Army über ein Schlüsselthema in Kriegszeiten hineinziehen lasse.

Meine Hoffnung ist, dass mit dem guten Beispiel von Manning, Snowden und den Drohnen-Piloten, die ihren Dienst quittierten und gegenüber Präsident Obama protestierten, weil die Drohnentötungen mehr und mehr Terroristen verursachen, einer oder mehrere Patrioten, welche die inneren Abläufe der Satelliten-Relaisstation in Ramstein kennen, hervorkommen und zu Whistleblower werden.

Dann würde die deutschen Bundesregierung nicht mehr vorgeben können, dass sie nicht wüsste, welch essentielle Rolle die Satelliten-Relaisstation spielt, ohne die es in dieser Sorte Krieg nicht geht, der einen endlosen Strom an echten Terroristen erzeugt.

So - zurück in Vietnam - die kurze Antwort zu ihrer substantiellen Frage: Ich habe den sowjetischen Einfluss in Vietnam studiert; ich erkannte, dassdie Sowjets buchstäblich nichts mit Ho Chi Minh zu tun hatten.

Und schlimmer noch, die irreführende Wahrnehmung, dass die Sowjets unsere Kastanien aus dem Feuer holen würden (oder dies täten, wenn sie könnten), diente dazu, "smarte Leute" um Lyndon B. Johnson davon abzuhalten, die Wahrheit zu erkennen und diesen fehlgeleiteten Krieg Jahre vorher zu beenden.

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