Der Schwarm

Heuschrecken am Alexanderplatz - die "Berliner Zeitung" setzt sich zur Wehr

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So etwas hat es in der deutschen Presselandschaft noch nicht gegeben: In einer beispiellosen Aktion setzt sich seit gestern die Belegschaft der "Berliner Zeitung" in offenem Kampf gegen den offenbar drohenden Verkauf des hauseigenen Verlages an die britische Investorengruppe "3i" unter David Montgomery zur Wehr.

Vor dem Verlagsgebäude wurde demonstriert, Mitarbeiter sammelten Unterschriften. Und BLZ-Chefredakteur Uwe Vorkötter wandte sich in der gestrigen Ausgabe in einem aufsehenerregenden Brief "In eigener Sache" direkt an Leser und Öffentlichkeit: "In der Tat ist zu befürchten, dass die Transaktion, falls sie zu Stande kommt, der Berliner Zeitung und den anderen Produkten des Hauses Schaden zufügen könnte," schreibt Vorkötter, spricht von "Beunruhigung und Besorgnis" und folgert:

Unsere Angelegenheit ist die Zukunft der Berliner Zeitung. Ich rate dringend davon ab, sie David Montgomery anzuvertrauen. ... Mein Eindruck: Der Mann verfügt bestenfalls über rudimentäre Kenntnisse der deutschen Zeitungslandschaft.

"No Sir" titelte gestern auch das gleichfalls zum "Berliner Verlag" gehörige Boulevardblatt "Berliner Kurier" auf seiner Titelseite und druckte ein auf den Kopf gestelltes Bild von Montgomery mit der Bemerkung: "Sie kriegen unsere Zeitung nicht, und wenn Sie sich auf den Kopf stellen." Unterstützt wurden sie von der Mediengewerkschaft "ver.di". Montgomery reagierte umgekehrt in einer "persönlichen Erklärung" sofort auf die Proteste: Er werde ein "langfristig orientierter, strategischer Investor" sein:

Wir schätzen den deutschen Zeitungsmarkt und seine Kultur ... und fühlen uns den höchsten journalistischen Standards, der Beibehaltung redaktioneller Integrität und gutem Management verpflichtet.

Es gebe keine Pläne, Teile des Unternehmens zu verkaufen. Der Berliner Verlag solle als "Plattform für weitere mögliche Akquisitionen" in Deutschland dienen. Die "Berliner Zeitung" solle als Qualitätstitel nach dem Vorbild des britischen "Guardian" weiterentwickelt werden.

Profilierung durch Radikalsparkurs

Gerade britische Qualitätszeitungen gehören allerdings zu den schärften Kritikern Montgomerys. So nannte ihn der "Observer" den "meistgehassten Manager im britischen Journalismus". Der 57jährige nordirische Protestant Montgomery, von dem privat nur bekannt ist, dass er in dritter Ehe verheiratet ist, und sich seit Jahren für die Sache der königstreuen Ulster-Unionisten einsetzt, besitzt ein düsteres Image, "gilt als eiskalter Manager" (FAZ) und steht seit 1992 an der Spitze der "Mirror Group" und profilierte sich durch einen einseitig ökonomisch orientierten Radikalsparkurs und Entlassung vieler Redakteure.

Genau hier setzt Vorkötters Argumentation an:

Maximierung der Rendite ist nicht das Ziel unserer Arbeit. Wir haben publizistische Ambitionen, die gleichwertig neben dem wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens stehen. Wir erheben den Anspruch, jeden Tag die führende Zeitung der Hauptstadt herauszubringen; wir haben uns auf den Weg gemacht, die erste wirklich gesamtdeutsche Zeitung zu werden ... Journalismus auf diesem Niveau kostet Geld und erfordert Investitionen. Es steht zu befürchten, dass wir Abstriche am Angebot der Berliner Zeitung und an ihrem publizistischen Profil machen müssten, falls die Finanzinvestoren tatsächlich unsere Gesellschafter würden.

Zutreffende Sätze, die weit über diesen Einzelfall hinaus den Kern der bundesdeutschen Informationskultur und des schleichenden Strukturwandels der Öffentlichkeit in demokratischen Gesellschaften berühren. Information, Reportage und Meinungen in niveauvoller, seriöser Form sind eben nicht Waren wie jede andere. Und fast jede Ware - vgl. den jüngsten Fleischskandal - unterliegt strengen Qualitätskontrollen - die Presse aber nicht. Doch wem die Pressefreiheit am Herzen liegt, und die Wirtschaftsfreiheit nicht über alles geht, dem kann das Schicksal der "Berliner Zeitung" nicht gleichgültig sein.

Vorkötter nannte auch die Namen derer, die das Geschäft finanzieren sollen: Commerzbank und Barclays Bank. Zugleich ist sein Beitrag Zeichen einer bemerkenswerten persönlichen Kehrtwende: Noch im April hatte er zum Beispiel in einem Kommentar zur möglichen Einführung von Mindestlöhnen noch ganz im Sinne der Macht des neoliberal-Faktischen die Gegenposition eingenommen und argumentiert:

Man ignoriert die Tatsache, dass die Welt anders funktioniert. Der Versuch, einen Mindestlohn in Deutschland politisch festzulegen, ist ungefähr so aussichtsreich wie der Versuch, die Zeit stillstehen zu lassen.

Solche Fatalismen könnte man jetzt auch gegen Vorkötter lesen. Doch nun hat er seine Redaktion voll hinter sich. "Toll wie der sich für uns einsetzt", sagte eine Redakteurin. "Das hätten viele gar nicht geglaubt. Immerhin hätte er sich persönlich über Beteiligungen locker eine Finca verdienen können."

Tatsächlich scheint es aber auch jenseits inhaltlicher Gegenpositionen auf den ersten Blick schwer verständlich, warum der Besitzer des "Berliner Verlag", die Stuttgarter Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck, unbedingt an "3i" verkaufen möchte. Zwar ist der Verlag aus kartellrechtlichen Gründen zum Verkauf der zuletzt profitablen auflagenstärksten Berliner Tageszeitung gezwungen. Doch gibt es noch andere Interessenten, allen voran der Kölner Verleger Alfred Neven DuMont. "Für uns wäre das eine schöne Ergänzung des Portfolios", wird er im "Spiegel" zitiert. DuMont soll auch bereit sein, den Kaufpreis von etwa 150 bis 160 Millionen Euro zu bezahlen.

"Die schlachten uns, um den Tagesspiegel zu retten"

Seine Logik würde ein Verkauf an die Briten für Holtzbrinck allerdings gerade unter der bedrohlichen Zerschlagungsperspektive haben: Denn dann würde man sich und der zweiten hauseigenen Zeitung, dem "Tagesspiegel" keinen Konkurrenten einhandeln. Der Verkauf wäre also das, was man neudeutsch "Marktbereinigung" nennt. Genau das ist der Verdacht in der BLZ-Redaktion: "Die schlachten uns, um den Tagesspiegel zu retten."

Die Proteste der Belegschaft dürften dem seriösen Bild des "Zeit"- und "Handelsblatt"-Verlages Holtzbrinck schon jetzt einige Kratzer verpassen. Ein Verkauf an Montgomery bedeutete ein echtes Imageproblem. Denn damit würde zum ersten Mal ein Hedge-Fond Zugriff auf eine bedeutende deutsche Tageszeitung erhalten und dadurch die Chance, das bewährte Muster des Ausschlachtens - kaufen, sparen, entlassen, zerschlagen, aufteilen, einzeln verkaufen - nun auch auf den Printbereich zu übertragen. Im Privatfernsehen sind die Folgen bereits zu besichtigen: Auch Multimilliardär Haim Saban wollte lange bei SAT1 bleiben und verabschiedete sich doch schon wieder mit hohen Gewinnen. Von der Verantwortung eines Verlegers bleibt da nichts übrig. Denn, wie Vorkötter schreibt: "Finanzinvestoren agieren kurzfristig"