Der Ständige Internationale Strafgerichtshof wird kommen

Derzeit fehlt allerdings neben der politischen Unterstützung sogar noch die Anschubfinanzierung für das ambitionierte Projekt, das einschneidend das Völkerrecht verändert

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Die UNO lud zum feierlichen Empfang und die Nichtregierungsorganisationen freuten sich über ihren großen Erfolg. Seitdem am Donnerstag den 11. April 10 weitere Ratifikationsurkunden für den Ständigen Internationalen Strafgerichtshof (ICC) hinterlegt wurden und damit insgesamt 66 Staaten das Statut rechtswirksam akzeptiert haben, ist ein neues Kapitel im internationalen Recht aufgeschlagen worden.

Das 1998 verabschiedete Rom Statut, in dem festgeschrieben ist, wie das Gericht organisiert und für welche Straftaten es zuständig sein soll, tritt nun definitiv zum 1. Juli 2002 in Kraft. Damit wird eine Idee verwirklicht, die nach den Verbrechen der deutschen Nationalsozialisten aufkam: Es wird ein ständiges internationales Strafgericht geben, das schwerste Verstöße gegen Menschenrechte verfolgen und dabei insbesondere auch Täter in den höchsten Etagen von Politik und Militär zur Verantwortung ziehen soll.

Die Umsetzung dieser Idee hat auch Auswirkungen auf das Völkerrecht insgesamt: In der traditionellen Vorstellung ist internationales Recht nämlich Staatenrecht, in dem Individuen und nicht staatlich organisierte gesellschaftliche Gruppen keine Rolle spielen. Der Trend seit Anfang der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts, der auch Individuen zunehmend Einflussmöglichkeiten auf der Ebene des internationalen Rechts gibt, wird mit dem neuen Gerichtshof verfestigt, das Individuen diesmal allerdings vor allem eine Pflicht auferlegt: die Einhaltung internationalen Rechts wird damit auch zu einer Angelegenheit von Einzelnen, die für Verstöße zur Verantwortung gezogen werden können.

Wegen der Finanzschwierigkeiten wurde ein Spendenkonto eingerichtet

Bis der neubegründete Gerichtshof arbeitsfähig ist, wird allerdings noch einmal ein gutes Jahr vergehen - derzeit fehlt sogar das Geld für die Anschubfinanzierung dieses Großprojekts, die UNO hat deshalb vorsorglich ein Spendenkonto eingerichtet. Aber es mangelt nicht nur an Geld. Trotzdem knapp die Hälfte der 139 Staaten, die das Statut unterzeichneten, nun auch die Ratifikationsurkunden unterschrieben haben, ist die politische Unterstützung für das ehrgeizige Projekt noch schwach. Zwar engagiert sich die Europäische Union mit Vehemenz für den ICC, aber weder Japan, noch die VR China, die Russische Förderation, Indien, Pakistan oder ein nahöstlicher Staat (außer Jordanien) hat das Rom Statut ratifiziert.

Gravierend ist vor allem, dass die USA, die auch keinen Diplomaten zur t zur Feier des Inkrafttretens des Statuts geschickt hatten, den geplanten Strafgerichtshof ins Abseits manövrieren könnten. Die Bush-Administration erwägt in diesem Zusammenhang einen in der Geschichte des Völkerrechts, aber auch einen in der Geschichte der USA einmaligen Schritt: Die USA sollen nicht nur die Ratifikation verweigern, sondern auch die Unterschrift unter das Statut, die die Clinton-Administration im Dezember 2000 geleistet hat, zurückziehen. Und damit freie Hand gewinnen, offen gegen den Ständigen Internationalen Strafgerichtshof auftreten zu können (Die US-Regierung erwägt die Zurücknahme der Unterschrift).

Für den ICC schafft die geringe Unterstützung, die er von den großen, militärisch aktiven Mächten erhält beachtliche Probleme. Denn im Vergleich zu dem vom UN-Sicherheitsrat als Zwangsmaßnahme zur Herstellung von Frieden eingerichtete Internationale Ad-Hoc-Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien , sind seine Möglichkeiten ein Verfahren einzuleiten begrenzt. Damit ist fraglich, ob der ICC in relevanten Konflikten die schweren Verbrechen, die er verfolgen soll, überhaupt anklagen darf. Voraussetzung dafür ist, dass mindestens der Staat, auf dessen Boden die Straftaten begangen wurden, das Statut ratifiziert oder die Gerichtsbarkeit des ICC anerkannt hat, oder dass der Täter aus einem Vertragstaat stammt. Das heißt, dass Angehörige der US-Streitkräfte grundsätzlich durchaus vor dem ICC angeklagt werden könnten, obwohl die USA keine Vertragspartei des Statuts sind.

Allerdings haben Kongressabgeordnete am Donnerstag 11.4.2002 eine Initiative gestartet, deren Ziel es ist, dass bei künftigen Friedenstruppen, die vom UN-Sicherheitsrat entsandt werden, die US-Soldaten, die Teil dieser Einheiten sind, ausdrücklich von der Strafgerichtsbarkeit des ICC ausgenommen sein sollen. Bei der Erneuerung des Mandats für die UN-Friedenstruppen für Bosnien, die im Juni anstehen, wird dieses Anliegen wohl zum ersten mal auf den Verhandlungstisch gebracht werden.

Der Internationale Strafgerichtshof hat praktisch keine Macht

Schaut man auf die Krisenregionen der Welt, stellt man zudem fest, dass hier zumindest in absehbarer Zeit die Durchführung von Verfahren vor dem ICC kaum zulässig sein dürften. Weder für Tschetschenien noch für Afghanistan, nicht für die besetzten palästinensischen Gebiete und auch nicht fürs Kaschmir oder für Albanien könnte der ICC derzeit seine Zuständigkeit reklamieren, weil die Staaten, auf deren Territorien Kriegsverbrechen begangen werden, das Staut nicht unterzeichnet haben. Zwar bietet das Rom Statut die Möglichkeit, dass der UN-Sicherheitsrat dem Chefankläger des ICC die Kompetenz für ein Verfahren zuweist, so lange die USA aber strikt gegen den Strafgerichtshof opponieren und ein Vetorecht im Sicherheitsrat haben, ist das kaum vorstellbar.

Selbst wenn der ICC aber die Möglichkeit hat, ein Verfahren zu führen, weil die Verbrechen auf dem Territorium eines Vertragsstaates begangen worden sind, kommt er lediglich subsidiär zum Zuge. Würde ein Nationalstaat für sich in Anspruch nehmen, den Straftäter verfolgen zu wollen, und hätte er nach seiner Rechtsordnung auch die Kompetenz dazu, muss der ICC zurückstecken. Außerdem darf auch der UN-Sicherheitsrat die Ermittlungen des Chefanklägers des ICC für eine Dauer von 12 Monaten aussetzen - diese Aussetzung kann wiederholt werden. Die Gefahr ist mithin groß, dass der ICC ein ähnliches Schicksal erleidet wie der Internationale Seegerichtshof, der 1996 eingerichtet wurde und dessen 21 Richter bislang unter anderem wegen enger Zuständigkeitsregelungen lediglich neun Verfahren eröffnen konnten

Aber auch wenn diese Probleme bewältigt werden können, hat der ICC eine schwierige Strecke vor sich. Denn anders als ein nationales Gericht hat die internationale Institution keine Polizei, auf deren Ermittlungstätigkeiten sie zurückgreifen könnte. Sie verfügt auch über keine sonstigen Machtmittel, die helfen könnten, ihre Ansprüche durchzusetzen. Ob die Vertrag-Staaten und andere Staaten, die von Verfahren betroffen sein könnten, ihren Verpflichtungen zur Kooperation nachkommen, die sie nach internationalem Recht haben, ist ungewiss. Das Beispiel der Ad-Hoc-Kriegsverbrechertribunale weckt hier eher Zweifel. Ohne das größtenteils von den NATO-Staaten gestellte Militär wären die meisten Angeklagten nie nach Den Haag überstellt worden. Diese Kooperation hatte aber stets ihren Preis. Als ICTY-Chefanklägerin del Ponte überlegte, ob sie eine Anklage wegen Verstößen gegen das Kriegsrecht erheben sollte, die die NATO-Truppen im Krieg gegen Jugoslawien 1999 begangen hatten, wurde erheblicher diplomatischer Druck auf sie ausgeübt. Schließlich wurden schließlich nicht einmal offiziell Ermittlungen gegen die NATO eingeleitet. Mit wem hätte das Gericht auch für die Ermittlungen oder gar nach einer solchen Anklage noch kooperieren sollen?

Da der ICC aus Kapazitätsgründen nur ausgewählte Fälle von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder schwere Kriegsverbrechen verhandeln kann, wird es auch hier schwierig sein, Unabhängigkeit zu wahren. Gelingen kann das überhaupt nur, wenn die Auswahl, die der Ankläger künftig trifft, nachvollziehbar und überzeugend ist. Mit herkömmlichen strafrechtlichen Idealen, zu denen eine umfassende Verfolgung aller Straftaten gehört, hat dieses Vorgehen allerdings dennoch wenig zu tun. Das ist deswegen problematisch, weil der ICC ein Strafgerichtshof ist, vor dem Individuen zur Verantwortung gezogen werden. Exemplarische Bestrafungen, zu denen es deswegen kommen wird, sind mit den Vorstellungen eines westlichen Strafrechts, das auf individuelle Schuld reagiert, aber nur schwer zu vereinbaren.

Angesichts der Schwere dieser Verbrechen wird zudem nicht nur die Unschuldsvermutung ein geringeres Gewicht haben, als im klassischen Strafprozess vor nationalen Gerichten. Bei der Abwägung von Schutzrechten für Angeklagte und Verfolgungsinteresse der Opfer und der Öffentlichkeit drohen auch letztere zunehmend größeres Gewicht zu bekommen. Die Verfahren sollen zügig und effizient sein, und auch die Vorstellung, dass ein des Völkermords Beschuldigter wegen Verfahrenshindernissen den Gerichtssaal als freier Mann verlassen könnte, ist schwer erträglich. Aber genau diese Zumutungen muss die Weltöffentlichkeit lernen zu ertragen, soll die Verwirklichung der modernen Idee der internationalen Strafgerichtsbarkeit nicht dazu führen, dass ein archaisches Vergeltungsstrafrecht wieder zu Rang und Würde kommt.