Der Traum vom Überfliegen

Rolf Scholz: Der Fall Daidalos und Ikaros, auf dem Flughafen "Otto Lilienthal" (Tegel). Bild: Jochen Teufel / CC-BY-SA-3.0

Der Verkehr der Stadt von Morgen bringt einige voran, andere nicht

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"Flieg nicht zu hoch!" Ikarus missachtete den Rat seines Vaters. Im technischen Zeitalter wäre das eine Regelverletzung, doch die Regeln können auch an Ausnahmen angepasst werden. Über dem Erdboden und unterhalb der Korridore regulärer Passagiermaschinen ist noch Luft im Raum. Den nutzt die chinesische Passagierdrohne Ehang 184, die ihren Jungfernflug bereits hinter sich hat. Der Passagier gibt auf dem Onboard-Tablet das Ziel ein, den Rest erledigt die Drohne. Ihre Reichweite ist ideal für Pendler, und der Pendelverkehr zwischen Stadt und Suburbia nimmt bekanntlich wieder zu. In der Erprobung sind bereits Mehrsitzer.

Ob nun mit menschlicher Nutzlast oder im Outdoor-Spielzeugformat, Drohnen beflügeln die Phantasie zweifach: einmal in ihrer militärisch-aggressiven Verwendung zu gezieltem Töten, zum anderen in ihrem sanften, friedlichen Schweben in Traumflughöhe. Als Verkehrsmittel im urbanen Raum sind sie untauglich.

Diese Rechnung machte Torsten Fleischer auf einem Workshop des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung auf. Sollten Passagierdrohnen in einem nennenswerten Umfang den Pendlerverkehr entlasten, würden in einer Großstadt ca. 140-160 Landeplätze benötigt. Durch vor- und nachgelagerte Wege würde der Zeitvorteil gegenüber üblichen Verkehren wettgemacht. Von den Kosten des individuellen Luftverkehrs ganz zu schweigen.

Der Traum vom Überfliegen (15 Bilder)

Passagierdrohne "Ehang 184" auf der Consumer Electronics Show 2016, Las Vegas. Bild: Ben Smith / CC-BY-2.0

Die Zahlen verweisen auf ein tiefersitzendes Problem. Solche Luft-, aber ebenso Landfahrzeuge werden von kleinen Technikergruppen wie solitäre Einzeller entwickelt. Als Ikonen der Technik enthalten sie das Versprechen auf die Lösung sozialer und infrastruktureller Probleme, von denen sie gerade losgelöst sind. Aus den Designstudios kommen Spielzeuge im 1:1-Maßstab. Fleischer erläuterte, dass der individuelle Flugverkehr nicht vom Fluggerät her zu denken, sondern als ein Instrument einer Soziotechnik zu begreifen ist, die sich kritisch mit Alltagspraktiken wie der Bodeninfrastruktur, Besitz- und Betriebsmodellen sowie Nutzbarkeitserwartungen auseinandersetzen muss, um etwas zur künftigen Entwicklung dieser Strukturen beitragen zu können.

Das Design, die Handhabung und der Antrieb solcher Vehikel mögen noch so fortschrittlich dünken - sie bleiben doch merkwürdig ahistorisch und abstrakt in ihrer Isolation von den sozialen Bedingungen der industriellen Produktion, der Produktion des Raumes (Henri Lefebvre1) und der Nutzung desselben. Sie verdrängen die Umgebung, in der sie sich bewegen. Zwar stellen große Unternehmen auch Infrastruktur-Analysen an, doch haben diese Alibi-Charakter. Aus den Analysen werden Smart-City-Designs gebastelt, die sich bis zu Simcity nachempfundenen Spielzeugstädten versteigen. Räumliche Segregationen reicher und armer Bevölkerungsteile, die eigentliche Ursache von Verkehrsproblemen in Mega-Cities, werden überblendet.

Die Weiterentwicklung des motorisierten Individualverkehrs dreht sich im Kreis

Die Gefährte des motorisierten Individualverkehrs entstammen dem Kutschenzeitalter. Daran ändert auch autonomes Fahren nichts. Die Straßenräume und damit Städte bleiben autogerecht.

Schon um 1900 kamen Visionen eines individuellen Luftverkehrs auf, und um 1940 bastelte Jess Dixon ein fliegendes Auto, besser: Motorradkopter. Die jeweils kühnste Fassung eines technischen Designs mobilisiert - auch heute - nichts als vergangene Zukünfte. Die Weiterentwicklung des motorisierten Individualverkehrs dreht sich im Kreis. "Triumph der Technik ist kein Traum, der trügt", schrieb der Dichter Karl Henckell.

Senkrechtstarter Montgolfière, 1783. Bild: Public Domain

Die Automobilindustrie weiß trotz aller Propaganda, dass Elektro-Antriebe auf absehbare Zeit ein verschwindend kleines Marktsegment bleiben werden. Solange sich an dieser Proportion nichts ändert, bleibt der Verdacht, dass die CO2-neutralen Pkw zum Greenwashing eines nicht ganz so sauberen Industriezweiges dienen. Von der anderen Seite wird die Gefühlslandschaft des Käufers automobiler Massenware von Formel-1-Rennen in die Zange genommen. Das Verwegene anschauen, um dann Stangenware zu kaufen.

Private Automobile stehen 23 Stunden des Tages still. Wenn sie denn fahren, sind noch die Stauzeiten abzuziehen. Durch autonome Fahrzeuge können die Verkehrsflüsse optimiert werden. Die Spurbreite der Straßen kann verringert werden. Carsharing, das auf der Trennung von Besitz und Nutzung eines Wagens beruht, ist ein pragmatisches Konzept zur besseren Auslastung der Pkw und Verringerung der Parkplätze. Es ist geeignet für automatisiertes Fahren.

Das Versprechen auf Platz- und Zeitgewinn wird jedoch wie bei so vielen industriellen Erfindungen durch den Rebound-Effekt zunichte gemacht. Gruppen, die bisher vom Führen eines Fahrzeugs ausgeschlossen waren, können nun auf das Auto umsteigen. Entscheidend ist jedoch der städtebauliche Aspekt.

Das gesteigerte Mobilitätsangebot könnte eine neue Suburbanisierungswelle auslösen. Die Differenz von Stadt und Land verschwindet. Auch das hat es bereits gegeben. Die "Motorisierung" der Gesellschaft hatte in den 70er Jahren einen Boom von Geschäftszentren an der Peripherie ausgelöst, und der Boom zog umgekehrt ein erhöhtes Aufkommen an Individualverkehr nach sich.

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