Der Ukraine-Krieg als Trojanisches Pferd für die Energiewende?

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Frieren für die Ukraine? Eine "Call in"-Debatte im Deutschlandfunk und Zitate aus den Höreranrufen zur Sache

Moral kostet nichts. Wenn man aber für das gute Gewissen auch mehr oder weniger tief ins eigene Portemonnaie greifen muss, sieht es schnell anders aus. Dann muss man sich das moralische Pathos auch leisten können. Und aus der politischen Frage wird auch eine soziale Frage.

In der Ukraine wird zwar zurzeit angeblich vor allem die Freiheit verteidigt. Nicht zuletzt wird an Don und Dnjepr aber auch über die Zukunft der Energiewende entschieden. Manche grünen Weltverbesserer sehen jetzt in den dramatischen Ereignissen die Chance, mithilfe des Kriegsdrucks erst recht ihre energiepolitische Agenda schnell durchzusetzen.

Nord Stream 2 sofort öffnen!

Laut neuester Umfrage des ZDF-Politbarometer vom vergangenen Freitag sind 55 Prozent für einen Komplett-Boykott russischer Energielieferungen, auch wenn dies mit höheren Kosten für deutsche Bürger verbunden ist. 39 Prozent sind dagegen.

Die am Montagmorgen zum Auftakt der Sendung Kontrovers im Deutschlandfunk (DLF) zitierten Hörerstimmen gaben dann ein etwas anderes Bild ab: "Ich plädiere dafür, 'Nord Stream 2' sofort zu öffnen und in Betrieb zu nehmen, um unsere Energieversorgung zu sichern", sagte ein Hörer, eine zweite Hörerin betonte: "Russland hat einen längeren Atem."

Eine dritte Hörerstimme machte auf den wenig beachteten Zeit-Faktor aufmerksam und auf die Ungleichzeitigkeit zwischen Opfern der Deutschen und Folgen für Russland: "Die Auswirkungen werden uns unmittelbar treffen, der Krieg aber wird weiterlaufen."

Andere Hörer brachten das Gesamttableau der deutschen Energieversorgung ins Spiel: "Wir sollten die Atommeiler für eine Übergangszeit weiter nutzen. Kein Industrieland außer Deutschland steigt gleichzeitig aus der Energieversorgung aus Kohle und Atomstrom aus."

Mit dem Rechenschieber Putin besiegen

Welcher Sektor unseres Energiebedarfs eignet sich fürs Sparen eigentlich am besten? Einerseits dürfte es nicht unkompliziert sein, im Haushalt Heizkosten einzusparen. Viel einfacher umzusetzen wäre ein Tempolimit auf deutschen Straßen. Höchsttempo 130 oder gar 100 auf Autobahnen, 40 auf Landstraßen, 20 in der Stadt würde nicht nur Kraftstoff in erheblichem Umfang einsparen, es würde auch den erwünschten Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel, Fahrrad oder gar die eigenen Füße befördern.

Man könnte sogar, wie während der Ölkrise vor knapp 50 Jahren, an die Einführung autofreier Tage denken.

Andererseits machen die Heizkosten alleine gegenüber Strom und Treibstoff 71 Prozent der Energiekosten privater Haushalte aus. Hier bringt das Sparen also höhere Effekte.

So häufen sich derzeit die guten Ratschläge: "Wenn der Regler auf 5 aufgedreht ist, dann heizt die Heizung in Raum auf bis zu 28 Grad hoch." Fenster kippen sei schlecht, besser kurz öffnen. "Das Kippen scheint eine deutsche Eigenart zu sein."

Ein Grad weniger Wohnungstemperatur bringe 6 Prozent Einsparung. Eine konstante Raumtemperatur unter 20 Grad spare 25 Prozent Heizkosten. Im Schlafzimmer genügten 16 Grad. (Alle Zitate und Informationen sind der DLF-Sendung "Umwelt und Verbraucher" vom Montag entnommen.

Wann drohen in Deutschland Lieferengpässe und Massenarbeitslosigkeit?

Die Diskussion um die deutsche Energiepolitik kann schnell zu einem beruhigenden Feigenblatt werden: Darin geht es dann nur darum, was die Politik tun könnte, sollte, dürfte... Aber nicht um die realen Effekte solcher Entscheidungen, etwa die Frage, ob Wirtschafts-Sanktionen tatsächlich die Politik einer Regierung beeinflussen können. Manches spricht dafür, dass Sanktionen eher den Menschen schaden.

Eine DLF-Hörerin meldete sich in der oben genannten Sendung gar mit dem Kommentar: "Sanktionen gehören weltweit geächtet. Kein Land hat das Recht, über ein anderes Land Sanktionen zu verhängen."

Wirtschafts- und Energieminister Robert Habeck machte bereits am Sonntag bei Anne Will sehr klar deutlich, dass Sanktionen keineswegs sämtliche Wirtschafts-, Handels- und Finanzbeziehungen mit Russland einschließen, und diese auch nicht einschließen sollen: Es gebe beispielsweise weiterhin deutsche Dialysestationen, vor allem aber importiere die Bundesrepublik weiterhin große Getreidemengen aus Russland.

Ein schneller Totalabbruch von Handelsbeziehungen werde umgekehrt zu "Lieferengpässen" und "Massenarbeitslosigkeit" führen, so Habeck. Die Benzin- und Energiepreise würden in Deutschland in jedem Fall mittelfristig steigen.

Nicht zu übersehen ist, dass damit sehr schnell aus der Not vollzogen wird, was ohnehin seit längerem Teil der mittelfristigen grünen Energie-Agenda ist: Die Preise für fossile Energie und den Autoverkehr im Besonderen zu verteuern, um mit sanftem Druck zum Umstieg zu motivieren.

Grünes "Nudging" statt der von Gegnern der Grünen gern heraufbeschworenen grünen Öko-Diktatur. Der Ukraine-Krieg wurde aber auch hier zum Trojanisches Pferd für die Energiewende, indem er vorgeschobene und halbwahre Begründungen und vermeintliche Sachzwänge liefert, wo eigentlich nur die erwünschten Prozesse forciert werden.

Lisa Badum für "Bündnis 90/Die Grünen" Obfrau des Bundestags-Ausschusses Klimaschutz und Energie beschrieb in "Kontrovers" Putin als "Drogenhändler", von dem man nichts mehr kaufen dürfe. Wenn dieses Bild stimmen sollte, dann geht es in Deutschland aber derzeit gerade nicht darum, mit einer Entziehungskur zu beginnen, sondern nur darum, den Dealer zu wechseln.

Die Freundschaftsbeziehung zu einer orientalischen Despotie wird durch die nächste abgelöst, und lupenreine Autokratien wie Saudi-Arabien und Katar dürfen sich die Hände reiben.

"Medienbeobachtung" - unter diesem Reihentitel erscheinen hier in loser Folge Notizen aus der Welt der Medien, aktuelle Beobachtungen, Analysen und Kritiken von Rüdiger Suchsland. Eine Art "Die letzten Tage von Pompeji - Seelenruhe in der Informationsgesellschaft".