"Der Versuch, Unrecht aufzudecken, wird vereitelt"
Seite 3: Medien und Demokratie: Wer nicht fragt, bleibt dumm …
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Ihre von Papst Bonifatius VIII. entlehnte Überzeugung "wer schweigt, stimmt zu", die Sie als Titel für Ihr 2022 erschienenes Buch zur Coronakrise gewählt haben, soll wohl bedeuten, dass Sie lieber einmal zu viel den Mund aufmachen als zu wenig.
Ulrike Guérot: Ich bin noch aus der Sesamstraße-Generation: Wer nicht fragt, bleibt dumm ... (lacht)
Tatsächlich zeigen Sie auch keine Scheu, mit Menschen in Kontakt zu treten, die bereits in Ungnade gefallen sind, weil sie der Mehrheitsmeinung oder den Schilderungen von Experten widersprechen – beispielsweise Apolut von Ken Jebsen, dessen Vorläuferportal KenFM vom Berliner Verfassungsschutz als "Verdachtsfall" geführt wurde.
Ulrike Guérot: Mit der Ausgrenzung beginnt die Erosion der Demokratie. Es kann in einer offenen Gesellschaft prinzipiell keine Themen geben, für die jemand ausgegrenzt werden muss, wenn wir an den herrschaftsfreien Diskurs von Habermas denken.
Dann zählt immer nur das bessere Argument, keine Ausgrenzung, und keine Moralisierung. Und die meist wenigen wirklichen Krakeeler kann man dann getrost ignorieren. Aber wir bewegen uns meiner Meinung nach derzeit in Richtung einer geschlossenen Gemeinschaft, die zunehmend über das Bekenntnis zur richtigen Moral und nicht dem Bekenntnis zur freien Rede funktioniert.
Wie meinen Sie das?
Ulrike Guérot: Sich nicht mehr trauen zu sagen, was man denkt – wie es offensichtlich inzwischen eine Mehrheit der Bevölkerung empfindet – ist schon Teil der demokratischen Erosion. Niemand redet gerne, wenn er Ausgrenzung oder Sanktionen fürchten muss.
Die sogenannte "Kontaktschuld" ist Teil dieser Einschüchterung und Ausgrenzung. Ich habe von Anfang an gesagt, ich spreche mit allen, von der Weltwoche über Nachdenkseiten bis Apolut – und es gibt keinen Grund, das nicht zu tun. Einfach, weil ich daran gemessen werden will, was ich sage – und nicht, wem. Ich habe schon in der Zeit vor Corona den gleichen Europa-Vortrag bei der deutschen Verdi und bei der polnischen PiS gemacht: so muss es sein.
Nun wurde eine Verengung des Meinungskorridors allerdings schon vor Corona beklagt. "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen" ist nicht 2020, sondern 2015. Gibt es das Phänomen Guérot erst seit Corona?
Ulrike Guérot: Nein, da haben Sie recht. Der Begriff "Lügenpresse" stammt zum Beispiel aus der Pegida-Bewegung und die Einengung der Diskurskorridore beziehungsweise die Polarisierung der politischen Debatten ist ein Phänomen, das ich persönlich seit der Bankenkrise ("faule Griechen") verstärkt wahrnehme und das ich in Zusammenhang mit der fortschreitenden Digitalisierung der Medien bringe.
Auch 2015 gab es in der Flüchtlingskrise ein moralisches "Refugees welcome", gegen das nicht anzukommen war. Wer kritische Fragen über die Machbarkeit der Flüchtlingspolitik stellte, war immer gleich "rechts" oder ein "Nazi". Das fand ich damals schon problematisch.
Legitime Kritik muss immer erlaubt sein, man darf sie nicht rechten Parteien überlassen, mit der Folge, die Kritik dann nicht ernst nehmen müssen, weil sie "von rechts" kommt. Das ist heute durchgehend das Muster.
Warum ist Ihr Fall also eine Ausnahme?
Ulrike Guérot: Ist er ja nicht, wiewohl jeder Fall anders ist. Es gibt andere "Phänomene", zum Teil schon weit vor mir: Sarrazin, Tellkamp oder auch Maaßen. Und viele andere Professoren, die jetzt zeitgleich mit mir ausgegrenzt werden, beispielsweise Patrick Baab aus Kiel, Michael Meyen von der LMU München oder Susanne Schröter von der Goethe-Universität Frankfurt.
Das Phänomen scheint sich eher zu erweitern, in verschiedenen sensiblen Themen (Gender, Klima, Migration, Islam, Ukraine) kommen gleichsam "neue Gesichter der Ausgrenzung" hinzu – so, als wenn es in deutschen Debatten inzwischen eine riesengroße Sortiermaschine gäbe: die Guten in Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Eine offene Gesellschaft sollte so aber nicht funktionieren, zumal diese ganzen Zuordnungen zugleich lächerlich, zufällig und willkürlich sind.
Wo sehen Sie sich falsch zugeordnet?
Ulrike Guérot: Man hat mich zum Beispiel als "gefährlichste Frau Deutschlands" tituliert – das ist doch lächerlich, denn ich habe keine Macht – oder als "rechts" geframed. Mich, die ich während der Bankenkrise vor fünfzehn Jahren noch "sozialistisch" genannt wurde, weil ich eine europäische Arbeitslosenversicherung gefordert hatte. Diese Zuordnungen sind also beliebig. Aber damit soll ein bestimmtes Bild von mir in der Öffentlichkeit erzeugt werden, und zwar eins, das auf die Zerstörung meiner Glaubwürdigkeit zielt.
Einige attestieren mir einen charismatischen Charakter. Und dann habe ich als Europa-Expertin noch eine gewisse Autorität. Damit kann man viele Leute erreichen. Vielleicht ist das für einige "gefährlich".
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