"Der Versuch, Unrecht aufzudecken, wird vereitelt"

Seite 2: Ulrike Guérot: Rückkehr zur Uni Bonn denkbar?

Die Frage, die sich bei allen Fällen stellt, die vor dem Arbeitsgericht landen: Wollen Sie überhaupt dahin zurück, wo Sie nicht willkommen sind?

Ulrike Guérot:Ich würde prinzipiell gerne an die Universität Bonn zurück, vor allem, weil die Professur für Europapolitik dort verbunden ist mit der Ko-Direktion des [Europa-Forschungszentrums] Centre Ernst Robert Curtius (Cerc). Das hat mich sehr gereizt. Deswegen bin ich ja überhaupt aus Wien nach Bonn, für eine normale Professur wäre ich wahrscheinlich nicht gekommen.

Natürlich gibt es da inzwischen viel verbrannte Erde und toxischen Boden. Und die Studenten sind ja anscheinend auch dagegen, dass ich zurückkomme – was ich schade finde, denn ich unterrichte sehr gerne und allen bisherigen Evaluierungen zufolge offensichtlich auch gut. Lassen wir also das Gericht und die Zukunft entscheiden, ob es ggf. eine Mediation geben könnte.

Wie könnte die aussehen?

Ulrike Guérot: Am besten wäre es doch, man könnte im Hörsaal oder Seminar meine Bücher diskutieren? Wieder auf die sachliche Ebene zu kommen, das wäre doch das Vernünftigste? Ich hoffe, das Gericht davon überzeugen zu können, dass die Vorwürfe, die gegen mich erhoben wurden, in einem bestimmten politischen Kontext hochgejazzt wurden und diese mithin entkräften zu können. Wenn die Universität Bonn sich dann trotzdem noch von mir trennen will, müssten wir darüber diskutieren.

Ich fände das schade, denn in meinem Buch "Endspiel Europa", aufgrund dessen sich die Universität am 30. Oktober 2022 von mir distanziert hat, sind ja m.E. wichtige Ideen, eigentlich ein ganzes Forschungsprogramm zum Thema Europäische Demokratie, European Citizenship beziehungsweise wie man Europa geostrategisch neu denken müsste.

Europa jenseits der paradigmatischen Annahmen des 20. Jahrhunderts neu zu denken, sollte ja genau die Aufgabe des Cerc sein, das steht sogar auf der Webseite. Wenn ein Buch dann aber zu solchen Reaktionen führt, dann ist die Uni kein Denkraum mehr für mich.

Der Untertitel Ihres neuen Buches lautet "Demokratie im Treibsand". Was zieht die Demokratie nach unten?

Ulrike Guérot: Im ersten Drittel geht es um das "Phänomen Guérot". Der Begriff geht zurück auf die wunderbare Gabriele Gysi, die mir auf dem Höhepunkt der Verleumdungen und Shitstorms gesagt hat: "Ab jetzt geht es nicht mehr um dich persönlich. Es geht um ein gesellschaftliches Phänomen, das zufällig deinen Namen trägt."

Die Gesellschaft braucht eine Projektionsfläche, um ihren Freiheitsgrad zu verhandeln. Das hat mich emotional gerettet, immer wenn es schlimm wurde. In den beiden anderen Dritteln des Buches geht es dann um eine "Demokratie im Treibsand", also eine Demokratie, in der deren Grundfesten – Meinungsfreiheit, Gewaltenteilung oder Rechtsstaatlichkeit – ins Rutschen gekommen sind, genauer: um den Topos der "simulativen Demokratie", wie sie Ingolfur Blühdorn schon in einem Suhrkamp-Buch von 2015 beschreibt. Je mehr unsere demokratischen Strukturen de facto zerfallen, desto mehr müssen wir Demokratie simulieren. Je mehr Rechte man verliert, desto mehr braucht es die Inszenierung davon.

Wie sieht die aus?

Ulrike Guérot: Ich denke da zum Beispiel an die große Bürgerbefragung zur Zukunft Europas, unter dem Banner "Partizipative Demokratie". Das war eine Antwort auf das "Aufbegehren der Straße", Pegida, Gelbwesten und Co. In dem Moment, wo zunehmend Unmut über die technokratischen Strukturen der EU geäußert wurde, hat man die Bürger nach ihren Wünschen zur Zukunft Europas befragt. Prinzipiell eine hervorragende Idee.

Die Vorschläge, die dabei herausgekommen sind – etwa gleiche Rechte beziehungsweise gleiche Behandlung europäischer Bürger, zum Beispiel auch beim Zugang zu Sozialleistungen oder im Gesundheitssystem – sind tatsächlich interessant und progressiv. Sie zeigen eindeutig ein Desiderat nach einem anderen Europa jenseits der EU. Passiert ist aber nichts.

Der EU-Rat hat die Forderungen der Bürgerkonferenz im Wesentlichen abgebügelt. Dann aber ist Partizipation nicht mehr als ein Ablenkungsmanöver – eben eine Simulation, ohne eine Verbindung zu wirklicher Handlungsmacht.

Wenn Sie sagen, unsere demokratischen Strukturen bröckeln: worauf beziehen Sie sich dann?

Ulrike Guérot: Nun, es wurden Grundfesten von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie verformt. Die Gerichtsbarkeit hat sich nicht gegen einen übergriffigen Staat gestellt und die Bürger in ihren Freiheitsrechten geschützt, sondern sie hat die übergriffigen Maßnahmen des Staates legitimiert – und sie tut das bis heute.

Inwiefern?

Ulrike Guérot: Alle Maßnahmen etwa des Infektionsschutzgesetzes werden bis heute ex post legitimiert, obgleich inzwischen empirisch belegt ist, dass sie unverhältnismäßig und teilweise unnötig waren. Es wäre dringend notwendig, diese Verformungen von Rechtsstaatlichkeit wieder zu begradigen, allein schon, damit ein derartiger Eingriff in Grundrechte nicht wieder passieren kann.

Aber das geschieht nicht. Wie weit es mit der Unabhängigkeit der Gerichte her ist, sehen Sie am Beispiel der Soldatenimpfung. Da wird sich entgegen der Beweislage nur an den Verlautbarungen vom RKI orientiert, das heißt, die Gerichte bedienen sich der Informationen der Exekutive, um die Politik der Exekutive zu rechtfertigen.

Ferner hatte wir eine gleichförmige Medienlandschaft und – siehe z.B. die Twitter-Files – eine nachweisliche Einengung der Diskurskorridore, wenn nicht gar Zensur, also eine Aufkündigung des Meinungspluralismus, der "vierten Säule" der Demokratie.

Wir haben während Corona auch die Gewaltenteilung eingeengt und den Spielraum des Parlamentes begrenzt, dazu den Minderheitenschutz zum Beispiel gegenüber den Ungeimpften ohne plausiblen wissenschaftlichen Grund sträflich vernachlässigt, es wurde also auf staatliche Anordnung ausgegrenzt und genötigt. Kurz: Medien, Gerichtsbarkeit, das Parlament, Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit sind alle im Treibsand gelandet.

Welche Staatsform haben wir Ihrer Meinung nach, wenn die Demokratie vollständig im Treibsand versinkt? Was wartet auf dem Grund? Und vor allem: Was ist, wenn die Mehrheit Ihre Sorgen nicht teilt?

Ulrike Guérot: Ich sehe auch, dass die Mehrheit der Bevölkerung zumindest noch nicht nach Aufarbeitung ruft. Wir haben zwei Möglichkeiten, auf die Entwicklung zu blicken: Der Corona-Untersuchungsausschuss wurde bisher im Parlament abgelehnt.

Die Regierungsmehrheit hat also demokratisch entschieden, dass keine Aufarbeitung stattfinden soll. Das ist zunächst völlig legitim, aber der Entscheidung hängt das Geschmäckle an, dass hier Unrecht und Fehler vertuscht werden sollen, und das politische System nicht zur Selbstkorrektur fähig ist.

Das aber ist das zentrale Kriterium einer Demokratie, nämlich die Aufklärung und Korrektur nicht-statthafter Dinge. Vertuscht werden Dinge normalerweise nur in nicht-demokratischen Systemen. Die zentrale Frage ist ja: kann man den Verantwortlichen Vorsatz unterstellen?

Kann man denn?

Ulrike Guérot: Wahrscheinlich nicht. Das aber wäre ein Grund mehr, eine vernünftige Aufarbeitung zuzulassen, ohne gleich an Sanktionen oder Bestrafung zu denken. Schließlich hat eine große Mehrheit die Politik zu diesen Maßnahmen gedrängt, viele haben von der Krise profitiert, es gab Mitläufer und viel Konformitätsdruck.

Man kann also nicht die Politik verantwortlich machen, letztlich hat eine ganze Gesellschaft die Contenance verloren, und viele haben mitgemacht bei Ausgrenzung, Denunziantentum, Impfpropaganda, staatlicher Nötigung oder dabei, Demonstrationen und kritische Stimmen als "rechts" zu framen.

Eine Gesellschaft aber kann man nicht bestrafen. Trotzdem sollte die Gesellschaft hinschauen, anstatt zu verdrängen, und Lehren aus den Geschehnissen ziehen, damit ein solcher Ausnahmezustand nicht noch einmal passiert.

Wenn, wie Giorgio Agamben sagen würde, das "geltende, aber bedeutungslose Recht", also absurdeste Regelungen um ihrer selbst willen eingehalten werden, dann sind wir als Gesellschaft in einem gefährlichen Zustand der Willkür. Und alle mündigen Bürger müssten dann eigentlich an Hannah Arendt denken: "Kein hat das Recht, zu gehorchen."

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