Der Wahnsinn hat Strategie
Ursachen des Versagens der Deutschen Bahn AG
Die Kritik an den Leistungen der Deutschen Bahn entzündet sich meist an Verspätungen und Zugausfällen. Das Versagen in Technik und Organisation, das täglich auf dem Rücken von Millionen Pendlern und frustrierten Mitarbeitern ausgetragen wird, ist jedoch kein Unfall, sondern Ausdruck einer millionenteuren Change Management Strategie - dies ist das Ergebnis eines Blickes auf die Leitbilder eines Unternehmens, das sich völlig von der Realität eines lokalen Dienstleisters entfernt hat.
Unbemerkt von der Öffentlichkeit, hat sich die Deutsche Bahn AG längst einen neuen Namen gegeben: "DB Konzern". Dieser wird durch die drei Worte Mobility- Networks - Logistics ergänzt, die auch das neue Logo bilden.
Derartige Umfirmierungen sind meist Folge eines Change-Management-Prozesses, den entweder profilierungswütige Manager oder aber deren Studienkameraden an einer der Businessschools gerne als ABM-Massnahme für Führungskräfte verordnen. Eine der Beratungsfirmen des Konzerns ist die in Mainz ansässige CPO Managements Consultants. Diese bietet in ihrem Leistungsspektrum auch ein so genanntes "Performance Management"an, in dem das Führen mit Zielen eine tragende Rolle spielt.
Mitarbeiter haben das Recht, die Unternehmensziele zu erfahren
Das ist durchaus einsichtig, denn, wenn Mitarbeiter nicht wissen, wohin ihre tägliche Reise gehen soll, könnten sie das Falsche produzieren oder anbieten. Zitat der CPO-Berater: "Die Praxis in Unternehmen zeigt jedoch, dass die Mitarbeiter häufig nicht die Ziele des Unternehmens kennen."
Der DB Konzern hat diese Schwierigkeit erkannt. In einem wahrscheinlich jahrelang in unzähligen Workshops zum final rollout developten Unternehmensleitbild können nun Lokführer, Schaffner und Servicemitarbeiter endlich erfahren, welchen Zielen sie dienen:
Die unfreiwillige Komik dieses Textes ergibt sich allerdings erst, wenn man weiß, dass hier von der Deutschen Bahn AG die Rede ist, nicht von einer internationalen Luftspedition. Unter 1.4 können wir erfahren: "Wir haben in unseren Geschäften international führende Marktpositionen erreicht."
Diese Aussage kann wohl so nicht stimmen. Nationale Eisenbahngesellschaften halten allenfalls national führende Marktpositionen, allerdings können sie diese nicht "erreichen", denn mangels Alternativen haben sie diese bereits inne. Die Deutsche Bahn wirbt zwar damit, dass sie auch einige Busse in Holland in Betrieb hat, aber sich als international führend im Bahnverkehr zu bezeichnen, ist Unsinn: Keines unserer Nachbarländer, die erfolgreiche eigene Eisenbahnen betreiben, läßt die Deutsche Bahn AG an ihre Netze und Bahnhöfe. Die Schweizer buchen gar täglich Sonderzüge ab Zürich, damit zumindest ihren Kunden der ständige Ausfall der die Schweiz durchquerenden deutschen Pannenzüge erspart bleibt.
Aufbruch ins Weltall
Das Hauptziel der DB Mobility Networks Logistics, wie wir sie ab jetzt auch in Anerkennung der Leistung des Change Managements nennen sollten: "Wir werden das weltweit führende Mobilitäts- und Logistikunternehmen."
Ein derartiges Ziel für schienenbetriebene Dienste fand sich zuletzt in Emile Zolas Roman "Das Geld". Dort gründete der Spekulant Saccard eine Eisenbahngesellschaft, die Paris mit Bagdad, Kalkutta und Tunis verbinden sollte. Nach kurzem Höhenflug durch Eigenkäufe ging sie spektakulär bankrott. Selbst die nach allen Eisenbahnaktienchrashs verbliebene, exzellent gemanagte SNCF kann nicht einen Meter Marktanteil jenseits ihrer Grenze erobern.
Um dieses ambitionierte, aber möglicherweise als "absurd" zu bezeichnende Ziel zu befördern, benötigt die DBMNL - so klingt es besser - hochqualifiziertes Personal. Dieses wird im eigenen Portal mehrsprachig rekrutiert. Bereits beim ersten Klick können sich die Bewerber einen Eindruck davon verschaffen, welche Leistung sie bringen müssen, wenn sie beim Benchmarkleader anheuern möchten:
"Nicht verfügbar" als Unternehmensziel?
Die DB Mobility Networks Logistics, jeder Fahrgast weiß es, ist nicht mehr in der Lage, auch nur einfachste und elementarste Dienste kontinuierlich und mit akzeptabler Fehlerquote zu erbringen: "Pünktliche, saubere und klimatisierte Züge. Saubere und beheizte Umsteigepunkte mit Sitzplätzen, formerly known as 'Bahnhöfe'. Verständliche Fahrpreise. Auskunft und Reklamation." Hat ein Kunde ein Abo und Bahncard, wird er an mindestens sechs verschiedene Servicecenter verwiesen, die welchselseitig ihre Unzuständigkeit betonen. E-Mails werden in der Regel überhaupt nicht beantwortet. Bei einem Totalausfall gibt es 37 Euro Entschädigung, für die man etwa 3 Monate Korrespondenz benötigt.
Das erste Unterziel 2.1 - "Wir gestalten unsere Führungsposition" - besteht in einer dramatischen Verkennung der Realität. Es gibt keinen Experten, keinen Redakteur, keinen Leserbriefschreiber in Deutschland, der der DBMNL eine "Führungsposition" in irgendeinem, einem Wettbewerb unterworfenen Feld des Personenverkehrs zuschreiben würde. Was es nicht gibt, kann man auch nicht gestalten. Wie muss es den Mitarbeitern in den desolaten Zügen zumute sein, wenn sie diese Ziele lesen?
Auch die Schweizer Bundesbahnen (SBB) haben ein Unternehmensleitbild. Es liest sich bescheiden so:
Es fällt auf, dass im Leitbild gleich zwei Mal die Kunden vorkommen. Sie sollen sich "unterwegs zuhause" fühlen, wünscht sich die wohl erfolgreichste Eisenbahngesellschaft der Welt. Nur durch Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Sauberkeit, so die eidgenössischen Bundesbahner, können sie diese Kundenorientierung beweisen.
Im Leitbild der Deutschen Bahn AG dagegen steht nicht der Kunde, sondern das Unternehmen im Vordergrund. Die pünktliche, zuverlässige und saubere Beförderung von Fahrgästen taucht gar als Ziel überhaupt nicht mehr auf. Wie kann man da der Bahn und ihren Mitarbeitern noch Vorwürfe machen? Sie verfolgen doch nur die von ihrer Führung und deren Beratern vorgegebenen Ziele. Da Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Sauberkeit aber gar keine vom Management als sinnvoll erachtete Ziele sind, müßten Mitarbeiter mit einer Rüge rechnen, wenn sie ihren Dienst Zielen widmen, die die Führung als unwichtig und sogar unternehmensschädlich identifiziert - und deshalb schlicht eliminiert hat.
Der im ersten Halbjahr 2012 ausgewiesene Gewinn der Deutschen Bahn AG ist nur möglich gewesen, weil die AG vom Verkehrsministerium angewiesen wurde, ein "profitabler Marktführer" zu werden. Das wurde erreicht. Die Vorstände haben nicht Schelte, sondern einen Millionenbonus verdient.