Der deutsche Reiseweltmeister stottert
Die Deutschen zählten bis zum Coronaausbruch als Reiseweltmeister. Inzwischen sind sie hin- und hergerissen zwischen Fernweh und Quarantäneangst
Hat man bei der Finanzkrise den Deutschen die Angst vor einem Verlust ihrer Sparguthaben mit einer einschlägigen Erklärung der Kanzlerin zu nehmen versucht und auch 2015 mit der Aussage "Wir schaffen das" Optimismus an den Tag gelegt, so ist man derzeit vor dem Hintergrund der föderalen Verantwortlichkeit deutlich weniger einig und zielstrebig.
Und dabei besteht derzeit wohl das größte Risiko darin, dass man sich in Aktionismus verzettelt, nur um möglichst schnell auf die Situation zurückfallen zu können, die vor Corona herrschte. Dabei besteht allerdings auf der anderen Seite das nicht unbeträchtliche Risiko, dass man die Pandemievorsorge schnell wieder aus den Augen verliert. Es gab ja schon seit dem letzten Jahrzehnt Pandemiepläne, die in den Schubladen liegen blieben.
Die Deutschen wollen wieder raus
Die Urlaubswünsche der Deutschen übersteigen die verfügbaren Kapazitäten hierzulande besonders unter den Hygienevoraussetzungen der Coronaverordnungen der einzelnen Bundesländer schon deutlich und so scharren sie mit den Hufen und beginnen inzwischen wieder mit der Buchung von Auslandsreisen. Verunsichert über die weitere Entwicklung der Corona-Pandemie wird dann darauf vom bei manchen Veranstaltern bestehenden kostenlosen Stornierungsrecht Gebrauch gemacht, um zwei Tage später nachzufragen, ob man die Stornierung auch wieder stornieren könne.
Dass sich die aktuellen Reisewarnungen für die insgesamt 194 Länder dieser Erde in ziemlich kurzem Abstand ändern, macht die Situation jetzt weder für die Reisenden, noch für die Reiseveranstalter wirklich einfacher. Dass die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten ihre jeweiligen Reisewarnungen offensichtlich nicht untereinander abstimmen, wozu sie aufgrund aktueller Verträge auch nicht verpflichtet sind, zieht jedoch für die Veranstalter das Problem nach sich, dass sie bei Gruppenreisen nach Teilnehmern aus einzelnen Ländern sortieren müssen, was im Zweifelsfall dann dazu führt, dass die einzelnen Gruppen zu klein werden und die Reisen abgesagt werden müssen.
Risikobegrenzung für die Reisenden
Die Zeiten, als der Staat für seine Bürger im Sinne einer Nanny entscheidet, schienen vorüber. Die noch immer bestehende Unsicherheit im Zusammenhang mit der Übertragung des aktuellen Coronavirus und die jeweils persönlichen Voraussetzungen wie Blutgruppe, Alter oder Vorerkrankungen hat viele der ehemals eifrigen Reisenden stark verunsicherten.
Wer seine Reiserisiken jetzt begrenzen will, kann einerseits eine Pauschalreise im Reisebüro buchen, wo er einen direkten Ansprechpartner hat und aufgrund der gesetzlichen Rahmenbedingungen vor vielen denkbaren Risiken geschützt ist. Er sollte jedoch im Zweifelsfall auch die richtige Auslandsreisekrankenversicherung wählen.
Während die gesetzliche Krankenversicherung inzwischen die akut benötigten Leistungen innerhalb der EU bezahlt, sollte man bei einer darüber hinaus geltenden Auslandsreisekrankenversicherung die angebotenen Policen sehr sorgfältig durchsehen. Nicht jede Versicherung bietet im Falle einer Erkrankung in der Folge einer Pandemie eine sichere Rückholung an, was gerade bei Reisen in Länder wichtig wird, deren Gesundheitssystem eher schlecht ausgeprägt ist oder in welchen die Kommunikation mit dem medizinischen Personal nur rudimentär erfolgen kann.
Neben den Reisewarnungen aus Berlin müssen auch die Einreisebedingungen der einzelnen Zielländer beachtet werden. So haben die Balearen eine Maskenpflicht eingeführt. Nur für Pools, Strände, Bars, Cafés und Restaurants gelten Ausnahmeregelungen.
Was viele Menschen, die wieder verreisen wollen, derzeit besonders hinderlich ist, ist die Tatsache, dass sie bei der Rückkehr aus einem Land außerhalb der EU in Deutschland einer zweiwöchigen Quarantäne unterliegen, was ihnen ihr Arbeitgeber möglicherweise vom Urlaubsanspruch abzieht und das örtliche Gesundheitsamt kontaktieren müssen. Dieses Vorgehen empfiehlt zumindest das Bundesinnenministerium. Die konkrete Entscheidung über eine Quarantänepflicht liegt jedoch bei den einzelnen Bundesländern und zuständig dafür sind die jeweiligen Gesundheitsämter.
Die Mär von den Rückholungen durch die Bundesregierung
Als Außenminister Maas im Zusammenhang mit den Rückholaktionen der Bundesregierung ankündigte, dass er eine solche Aktion kein zweites Mal durchführen werde, entstand der Eindruck, dass die Bundesregierung alle Auslandsurlauber zurückgeholt habe, was keinesfalls den Tatsachen entspricht.
Die Pauschalreisenden wurden von den jeweiligen Reiseveranstaltern auf deren Kosten zurückgeholt. Die Rückholaktion der Bundesregierung betraf nur im Ausland Beschäftigte (Expats), Studenten und Flugreisende, die ihre Flüge extra gebucht hatten und welche man jetzt mit einer 50-prozentigen Beteiligung an den Kosten zur Kasse bittet.
Die Ankündigung, künftig eine solche Rückholung nicht mehr organisieren zu wollen, steht in deutlichem Gegensatz zu den oben erwähnten Zusicherungen im Zusammenhang mit der Finanzkrise. Der fehlende Hinweis auf die abgesicherte Fürsorgepflicht der Reiseveranstalter ist nicht gerade zweckdienlich.
Die weltweite Lage bleibt weiter unübersichtlich
Das Leben bleibt risikobehaftet. Man sollte dem interessierten Reisenden jedoch auch künftig zutrauen, dass er die Risiken abschätzen kann oder sich auf die Abschätzungen eines Reiseveranstalters verlassen darf. Während sich das Reisen in die USA oder Brasilien aufgrund der aktuellen hohen Neuinfektionszahlen verbietet oder die Einreise aktuell gar nicht zulässig ist, gibt es auch Länder wie Japan, Neuseeland oder dem Indischen Ozean, in welchen das Infektionsrisiko für Gruppenreisenden derzeit überschaubar erscheint.
Dennoch werden auch diese vom Auswärtigen Amt pauschal in der Reisewarnung berücksichtigt. Das Auswärtige Amt verfügt derzeit über mehr als 12.000 Mitarbeiter. Auch wenn davon nur gut 3.000 in der Berliner Zentrale arbeiten und ein knappes Drittel mit "Vorzimmer-, Schreib- und Telefondienst" beschäftigt ist, sollte die Personalstärke ausreichen, um die Reisewarnungen zumindest mit den anderen EU-Staaten abzustimmen.
Neue länderspezifische Risiken
Die NZZ meldete am 10. Juli 2020: "Die chinesische Botschaft in Kasachstan warnt laut einer Meldung der Nachrichtenagentur Reuters am Donnerstag (9. 7.) vor dem Ausbruch einer noch heftigeren Lungenkrankheit als Covid-19. In einer Erklärung der Botschaft vom späten Donnerstag (9. 7.) ist die Rede von einer 'signifikanten Zunahme' der Fälle in den Städten Atyrau, Aktobe und Shymkent seit Mitte Juni. 'Die Mortalitätsrate der Krankheit ist viel höher als die der Lungenentzündung durch das neuartige Coronavirus', heißt es weiter. Die staatliche Nachrichtenagentur Kazinform berichtete in der ersten Juli-Woche, dass die Zahl der Lungenentzündungen im Juni im Vergleich zum Vorjahr um das 2,2-Fache zugenommen habe."
So zeigt sich, dass der Pandemievorsorge künftig eine größere Bedeutung zugemessen werden muss, als dies bislang unter dem Primat der Wirtschaftlichkeitsüberlegungen im Gesundheitsbereich geschehen ist. Dass jetzt alle zuhause bleiben und nicht mehr verreisen, ist nur für Menschen eine Lösung, die sich wehmütig an die Reiseverbote der ehemaligen DDR erinnern.