Der erste Mehrzeller genetisch erfasst

Ein kleiner Wurm macht Karriere

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Britische und amerikanische Wissenschaftler haben nach 15-jähriger Arbeit erstmals das gesamte Genom eines Mehrzellers vollständig erfaßt. Die Zeitschrift Science spricht von einem "neuen Zeitalter der Biologie" und präsentiert den Bericht auf der Titelseite.

C. elegans

Es ist ein kleiner und unscheinbarer Wurm, der dadurch in die öffentliche Aufmerksamkeit fällt. Caenorhabditis elegans, der etwa einen Millimeter groß wird, aus etwa 1000 Zellen besteht und im Boden oder zwischen verrottenden Pflanzen lebt, aber hat bereits eine eigene Homepage, auf der jetzt die auf sechs Chromosome verteilten 19000 Gene veröffentlicht wurden. Allerdings sei C. elegans, auch wenn er sich von den Menschen sehr zu unterscheiden scheint, uns erstaunlich ähnlich aufgebaut, wie die Wissenschaftler sagen. Wie bei den Menschen entwickelt er sich von einem Embryo zu einem Erwachsenen, und er hat einen Verdauungstrakt, Nerven, Muskeln, Haut: 40 Prozent seiner Gene sind mit den unsrigen eng verwandt.

"Sie sind wie Miniaturmenschen", schwärmt John Sulston, der Direktor des Sanger Centre in Cambridge, an dem die Gensequenzierung zusammen mit dem amerikanischen Genome Sequencing Centre in St. Louis mit der Unterstützung des Medical Research Council und dem National Institute of Health durchgeführt wurde. Die Gene etwa, die der Wurm zum Aufbau der Muskeln benötigt, sind dieselben wie bei uns. Wenn man also das Genom des Wurms mit dem der Menschen vergleicht, so kann man verwandte Gene finden und herausbekommen, welche Funktion sie besitzen. Daraus wiederum könnten sich die genetischen Ursachen von Krankheiten und Behinderungen erkennen lassen. Die vollständige Genkartierung, so die Forscher des Sanger Centre, stellt den Wissenschaftlern auf der ganzen Welt wertvolle Informationen zur Verfügung, um den menschlichen Körper im Zustand der Gesundheit und der Krankheit zu untersuchen, was beispielsweise zu neuen Therapiemöglichkeiten führen kann. "Wir können jetzt Fragen stellen und beantworten", so Robert Waterston vom Genome Sequencing Centre, "die wir uns früher nicht einmal ausdenken konnten."

Noch aber ist das menschliche Genom nicht vollständig kartiert. Man erwartet, daß das ebenfalls weltweit gemeinschaftlich durchgeführte Human Genome Project bis zum Jahr 2003 abgeschlossen sein wird, bei dem das Sanger Centre gleichfalls eine wichtige Rolle spielt. Anstatt der nur 19000 Gene des Wurms enthält das menschliche Genom etwa 100000 Gene. 15 Jahre sind eine lange Zeit für die Kartierung des Wurmgenoms. Zu Beginn des Unternehmens ging das alles noch ziemlich langsam vor sich, aber mit den neuen Sequenziermaschinen läßt sich heute die Kartierung der Gene sehr viel schneller vornehmen. Das Internet ist für die Genforscher übrigens ein wichtiges Arbeitsinstrument, um gemeinsam auf die Daten zugreifen zu können. Wenn neue Sequenzen kartiert wurden, kamen sie gleich auf die Website. Noch ist das also ein kooperatives Unternehmen, dessen Ergebnisse allen Wissenschaftlern zugute kommt.