Der erste Sex im Internet - ein Schwindel?

Wahrheit in der Zeit des Internet und der Aufmerksamkeitsökonomie

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Our First (Anal) Sex: Veröffentlichung des Intimen. Our Fist Love - Wahrscheinlich nicht das letzte Mal. Trotzdem für Telepolis abschließende Bemerkungen.

Jetzt berichten die Medien einmütig, nachdem die Internet Entertainment Group (IEG), die Sex im Web anbietet und durch den Vertrieb des Sexvideos von Pamela Anderson und Tommy Lee bekannt wurde, letzten Freitag verkündete, daß sie jede Unterstützung von OurFirstTime.com eingestellt habe und an ihrer Stelle eine "Erklärung" plazierte, daß alles ein "Hoax", eine Täuschung gewesen sei. IEG selbst bekennt, sie würde ja gerne Geschäfte machen, weswegen sie die Site auch als Werbung für sich hosten und mit ihrem Angebot verlinken wollte, aber zu den Kunden sei man doch ehrlich: "IEG hat niemals und wird niemals die Öffentlichkeit und ihre Kunden täuschen. Wenn IEG ein Ereignis ankündigt, dann kann man sicher sein, daß die Mitarbeiter die damit zusammenhängenden Themen und Parteien sorgfältig überprüft haben. Dann, und nur dann, wird das Ereignis stattfinden. Wenn keine Katastrophe eintritt oder kein Gerichtsbeschluß dies verhindert, werden alle angekündigten Ereignisse so stattfinden, wie sie von IEG angekündigt wurden." Zumindest scheint die Welt also noch bei den Porno-Anbietern zu stimmen, die ihre Kunden zufriedenstellen wollen.

Anfänglich sei man von der Idee von Ken Tipton begeistert gewesen, schließlich habe dieser viel Geld und Aufmerksamkeit versprochen. Obgleich auf der ursprünglichen Site gestanden hat, daß Our First Time ein nicht-kommerzielles Unternehmen sei, hätten sich, so selbst ernanntes "Wunderkind" Seth Warshavsky von IEG, Tipton und sein Rechtsanwalt Mark Vega darum bemüht, für die Show am angekündigten Tag der Entjungferung über Kreditkarten von den Besuchern 5 Dollar zu verlangen. Sie wollten "Millionen Dollar aus den Taschen der hart arbeitenden Zuschauer der ganzen Welt als Zugangsgebühr stehlen" - und das auch noch im Namen von Orson Welles. Tipton habe sich auch Oscar Welles genannt und sei schließlich mit der Wahrheit herausgerückt, daß "diese weltweite Täuschung in Erinnerung an Orson Welles und dem sechzigsten Jahrestag größer sein wird als dessen 'Krieg der Welten'." Tipton alias Welles habe IEG erzählt, daß das Paar nur vorgebe, das erste Mal miteinander Sex haben zu wollen, sich einem AIDS-Test unterziehen und darüber sprechen werde, wie aufregend alles sei. Am entscheidenden Tage sollte die Web-Site dann nicht mehr frei zugänglich sein und 5 Dollar kosten, und schließlich würde das Pärchen, just vor dem "Höhepunkt", von dem Plan zurücktreten - und die armen Zuschauer enttäuschen. Man werde sie nicht einmal nackt sehen. Ihm sei es nicht um Sex gegangen, sondern nur ums Geld und irgendwie um einen Schlag gegen religiöse Gruppen.

Aber IEG war natürlich angeblich um die Authentizität bemüht, stellte Tipton alias Welles nach und bekam die Wahrheit über diesen "Anschlag auf die Gesellschaft und auf diejenigen, die dem Internet vertrauen", heraus - "während der Drahtzieher hinter dieser großen Medientäuschung davon träumte, auf einem weißen Sandstrand zu liegen, an einem Drink mit einem Schirm zu nuckeln, an die erwarteten 5 Millionen Dollar Einnahmen zu denken und auf der Titelseite des Time-Magazins seinen Betrug zu sehen." Böswillig, wie die Betrüger waren, haben sie sogar kurzfristig aus Ärger über die Aufdeckung ihre Site mit der von Disney verlinkt.

Nachdem einmal nicht nur IEG, sondern auch die Medien auf der ganzen Welt und überhaupt die Öffentlichkeit getäuscht worden seien, gibt jetzt IEG vor, mit einem "investigativen Journalismus" den ganzen Plot aufzudecken und die Neuigkeiten zu berichten. Ist das nun wieder die nächste Falle für die Aufmerksamkeit von Medien und Öffentlichkeit, schließlich ist es IEG gelungen, die Interessenten an Our First Time auf das eigene Angebot umzulenken, wo beispielsweise jetzt auch als Neuigkeit - seltsamer Zufall? - "Voyeur Cams" angeboten werden?

Auf jeden Fall ist es ein schönes Gespinst, das die Taktiken zur Erzeugung von Aufmerksamkeit im Zeitalter des Netzes demonstriert, egal, was dabei endgültig herauskommen wird und wer wen betrogen hat. Vielleicht kommen ja bald die nächsten Enthüllungen - und inzwischen kann man gegen Gebühren auf die "authentischen" Enthüllungen klicken.

Aber wer jetzt wieder einmal gegen das Netz und seine Unglaubwürdigkeit schießen will, um die alten "vertrauenswürdigen" Medien herauszuheben, greift daneben. Sicher, das Internet hat den Umlauf der Nachrichten erheblich beschleunigt und übt einen Druck aus, immer schneller Neues zu veröffentlichen. Die Gesetze der Medien jedoch, im globalen Kampf um Aufmerksamkeit die Menschen möglichst schnell mit Spektakulärem zu erreichen, sind bei allen Medien gleich. Vielleicht bringt das Internet eher eine steigende Skepsis gegenüber der vierten Macht im Staat in der Öffentlichkeit hervor - und das wäre ja auch nichts Schlechtes, zumal ja jeder selbst auf Recherche gehen und die Meldungen, so weit möglich, überprüfen kann.