Der ewig böse Nachbar

Die neuerliche Steinbach-Debatte hat gezeigt, dass die gegenseitigen Vorurteile zwischen Polen und Deutschen immer noch stark genug sind, um aus ihnen in Wahlkampfzeiten innenpolitischen Profit zu schlagen

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Mit dem Verzicht Erika Steinbachs auf den Sitz im Stiftungsrat des Zentrums gegen Vertreibungen ist es wieder ruhiger geworden in den deutsch-polnischen Beziehungen. Doch die heftig geführte Debatte schlägt in beiden Ländern immer noch Wellen. Von einer „polnischen Erpressung“ sprechen seitdem die deutschen Konservativen, die Erika Steinbach zu ihrer neuen Ikone erkoren haben. In Polen beobachtet man dagegen immer noch kritisch jeden Schritt und jeden Kommentar zu der BdV-Präsidentin, vor der sich 38 Prozent der Polen fürchten, wie eine aktuelle Umfrage ergab.

Zuerst ein hypothetisches Frage-Antwort-Spiel: Was wäre Erika Steinbach ohne Polen? Sie wäre eine in der deutschen Öffentlichkeit ziemlich unbekannte Parlamentarierin, die zwar seit 1990 Mitglied des Deutschen Bundestags ist, sich aber niemals durch irgendwelche Petitionen oder durch ihre Arbeit im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe in den Fokus der Medien drängen konnte. Kurz gesagt: sie wäre eine typische Hinterbänklerin.

Doch Erika Steinbach ist trotzdem keine unbekannte Bundestagsabgeordnete. Denn Erika Steinbach ist nebenbei noch Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, einer Organisation, auf deren Belange man in den Unionsparteien seit Jahrzehnten Rücksicht nimmt, die aber in Polen seit ihrer Gründung einen schlechten Ruf genießt. Bereits für die kommunistische Propaganda fungierte der Vertriebenenverband als der Beweis für den Revanchismus Deutschlands. Ein Schreckensbild, welches sich als eines der wenigen Überbleibsel der Volksrepublik bis heute, 20 Jahre nach der Wende, halten konnte.

Dass sich der Ruf des BdV, dem nach eigenem Bekunden an einer Aussöhnung zwischen Deutschland und seinem östlichen Nachbar gelegen ist, bis heute nicht verbessert hat, dafür ist die Präsidentin des Vertriebenenverbands mitverantwortlich. Im historisch stark belasteten deutsch-polnischen Verhältnis bewegte sie sich wie ein Elefant im Porzellanladen. 1991 stimmte Steinbach im Bundestag gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze. 1999, damals schon als Präsidentin des BdV, sprach sie sich gegen den EU-Beitritt Polens und der Tschechischen Republik aus und forderte stattdessen von beiden Staaten eine finanzielle Entschädigung für die Vertriebenen. Nicht zu Bedenken, dass nach dem II. Weltkrieg nicht nur Deutsche, sondern auch unzählige Polen aus ihrer Heimat, die ein Teil der Sowjetunion wurde, vertrieben wurden, ohne jemals eine Entschädigung dafür erhalten zu haben.

Als Erika Steinbach im Jahr 2000 noch auf die Idee kam, in Berlin mit dem Zentrum gegen Vertreibungen eine Gedenkstätte für die Heimatvertriebenen zu gründen, vergiftete sie nicht nur für 9 Jahre die Beziehungen zwischen den beiden Staaten (Schwierige deutsch-polnische Beziehungen), sondern zog endgültig den Hass und Zorn der Polen auf sich. Auch deshalb, weil zu dem Zeitpunkt polnische Zeitungen Einzelheiten aus ihrem angeblichen Vertriebenen-Schicksal publik machten.

Scharfe Kritik aus Polen

Erika Steinbach, die sich seit den 90er Jahren in der Landsmannschaft Westpreußen engagierte, hat zwar 1943 im westpreußischen Rahmel das Licht der Welt erblickt, aber nur deshalb, weil ihr Vater Wilhelm Karl Hermann 1941 mit dem „Reisebüro Luftwaffe“, wie ein Autor der polnischen Springer-Zeitung Dziennik stichelte, als Besatzungssoldat in das ans Deutsche Reich angegliederte Gebiet kam. Eine von Erika Steinbach lange verschwiegene Tatsache, die der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski Ende Februar mit den Worten „sie kam mit Hitler und sie musste mit Hitler gehen“ kommentierte.

Die heftigste Kritik an Erika Steinbach war in den letzten Wochen jedoch von dem Deutschland-Beauftragten der polnischen Regierung, Wladyslaw Bartoszewski, zu vernehmen, als dieser sich gegen eine Berufung der BdV-Präsidentin in den Stiftungsrat des Zentrums gegen Vertreibungen aussprach. „Dies wäre so, als ob der Vatikan den Holocaust-Leugner Williamson zu seinem Israel-Beauftragten machen würde“, sagte der ehemalige KZ-Häftling Mitte Februar, und bekräftigte seine Kritik an Steinbach in den darauf folgenden Wochen in den polnischen Medien. In einem Zeitungsinterview nannte der 86-Jährige Steinbach eine „Berufsrevanchistin“, in einer Fernsehsendung machte er sie zu einer „Antipolin“. Eine Wortwahl, die den Bundestagspräsidenten Norbert Lammert veranlasste, mit Wladyslaw Bartoszewski einen offenen Diskurs in polnischen Zeitungen zu führen, obwohl Erika Steinbach zu dem Zeitpunkt schon auf ihren Sitz im Stiftungsrat verzichtet hatte.

Der Bundestagspräsident war nicht der einzige, der auf die polnische Kritik an Erika Steinbach reagierte. Der Bund der Vertriebenen sprach gleich von einer Erpressung Polens und bestand gleichzeitig auf die Nominierung seiner Präsidentin. Zusätzlich veröffentlichten die Vizepräsidenten des BdV, Christian Knauer und Albrecht Schläger, einen offenen Brief, in dem sie das „Ende der Medienkampagne in Polen gegen Erika Steinbach“ forderten, die durch eine „Massenpsychose“ verursacht wurde.

Nicht viel besonnener reagierte Erika Steinbach selber. In einem Interview für die Passauer Neue Presse bezeichnete auch sie die polnische Kritik an ihrer Person als eine Erpressung, aus der „nicht der Geist der Versöhnung spricht“. Zudem verlangte sie von Frank-Walter Steinmeier Unterstützung. „Es wäre Aufgabe des deutschen Außenministers, deutsche Bürger vor solchen Vergleichen in Schutz zu nehmen“, forderte sie auf den Seiten der Bild-Zeitung.

Eine Forderung, die beim Außenminister jedoch auf taube Ohren stieß. Sogar im Gegenteil. Steinmeier und seine Partei schlossen sich aus wahltaktischen Gründen der polnischen Kritik an und forderten eine rasche Lösung in der Causa Steinbach, sprich ihre Nicht-Berufung in den Stiftungsrat des Zentrums gegen Vertreibungen. Eine Forderung, der sich auch die Grünen, die Linke und die FDP anschlossen. Als eine Belastung für das gutnachbarschaftliche deutsch-polnische Verhältnis bezeichnete beispielsweise Guido Westerwelle die erneute Diskussion um Steinbach und verlangte von der Kanzlerin eine rasche Lösung.

Unterstützung fand Steinbach im Kreise ihrer Parteifreunde

Angela Merkel hielt zwar in der Debatte lange still, doch dafür meldeten sich andere zu Wort. „Die Debatte, wie sie von polnischer Seite betrieben wird, ist eine empörende Einmischung in eine innerdeutsche Angelegenheit“, erklärte der vertriebenenpolitische Sprecher der CDU/CSU Bundestagsfraktion, Jochen-Konrad Fromme. Ihm zur Seite stellten sich weitere Unionspolitiker wie Wolfgang Bosbach, Christian Wulff und der schon erwähnte Bundestagspräsident Norbert Lammert, die alle Steinbach in Schutz nahmen und sie als eine honorige Person bezeichneten. Sie verwiesen darauf, dass es ausgerechnet die umstrittene Vertriebenen-Präsidentin war, die den BdV von revisionistischen Gruppen reinigte und sich auch von Organisationen wie der umstrittenen Preußischen Treuhand, die mit ihren Entschädigungsklagen für die polnischen Rechte unfreiwillig auf Wählerfang ging (Die Spätaussiedler schlagen zurück), distanzierte.

Ein Hinweis, der durchaus richtig ist. Doch gleichzeitig muss man erwähnen, dass ausgerechnet die von den Unionspolitikern so gelobte Parteifreundin eine Aufarbeitung der braunen Vergangenheit des Bundes der Vertriebenen zuerst verhinderte. Im August 2006, zeitgleich mit der ZgV-Ausstellung "Erzwungene Wege" im Berliner Kronprinzenpalais, berichtete der Spiegel über die Verstrickung ehemaliger BdV-Funktionäre mit dem NS-Regime. Aber erst nachdem der öffentliche Druck zunahm, ließ der Bund der Vertriebenen seine Geschichte untersuchen. Bis dahin lehnte Steinbach eine Aufarbeitung der Verbandsgeschichte aufgrund der angeblich zu hohen Kosten ab.

Diese Tatsache wurde von Steinbachs Verteidigern, bis auf Ausnahmen wie Ralph Giordano größtenteils aus dem konservativen Lager der Union kommend, entweder verschwiegen oder bewusst übersehen. Bei der neuerlichen Debatte um Steinbach ist auch in den Hintergrund geraten, weshalb in Polen die mögliche Berufung Steinbachs in den Stiftungsrat des Zentrums gegen Vertreibungen solche empfindlichen Reaktionen ausgelöst hat, weshalb das ZgV überhaupt in Polen kritisch betrachtet wird. Vielmehr scheinen sich Deutschlands konservative Politiker auf Polen eingeschossen zu haben. Von „einer polnischen Erpressung“ sprachen die deutschen Konservativen und schafften es damit immer wieder in die Medien.

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer war bisher der letzte Unionspolitiker, der sich zu dem offiziell beigelegten Streit um Erika Steinbach äußerte. „Wir lassen uns nicht von Polen vorschreiben, wer für die deutschen Heimatvertriebenen im Stiftungsrat sitzt“, sagte der CSU-Chef am 21. März in Erlangen und kündigte an, nach der Bundestagswahl einen erneuten Versuch zu starten, Erika Steinbach im Stiftungsrat unterzubringen. Markige Worte, mit denen Seehofer versucht, sich und seine Partei als das konservative Flagschiff zu positionieren und die bei einem Teil der bürgerlichen Wähler auch durchaus gut ankommen dürften.

Gegenseitige Vorurteile werden weiter gepflegt

Und in einem Jahr, in dem mit den Europa- und den Bundestagswahlen gleich zwei wichtige Urnengänge anstehen, sind für viele Politiker die jüngsten deutsch-polnischen Meinungsverschiedenheiten ein willkommenes Wahlkampfthema. Auch deshalb, weil die gegenseitigen Vorurteile immer noch stark genug sind, um von ihnen profitieren zu können.

Dass dies geht, machte im vergangenen Sommer der Springer-Verlag vor, der auf beiden Seiten der Oder vertreten ist. Im Vorfeld der Fußball-Europameisterschaft, in dessen Gruppenphase beide Länder aufeinander trafen, initiierte der Verlag den mittlerweile als "Fußballkrieg" bekannten Schlagabtausch zwischen der polnischen Bild-Dublette Fakt und dem deutschen Original, in dem sich beide Blätter gegenseitig beleidigten, beschimpften und sich der gängigen Stereotypen bedienten. Nichts anderes machen nun die deutschen Politiker, nur mit dem Unterschied, dass sie damit auf Wählerfang gehen und nicht wie der Springer-Verlag auf kaufwillige Leser.

Es sind jedoch nicht nur die konservativen Politiker, die sich der Klischees und Vorurteile bedienen. Im aktuellen Streit um Erika Steinbach haben sich die Sozialdemokraten zwar gegen die BdV-Präsidenten und CDU-Bundestagsabgeordnete ausgesprochen, doch im Wahljahr 2009 scheuen auch sie sich nicht, die Ressentiments und Ängste der Bevölkerung auszunutzen. Während Steinmeier in seiner Doppelfunktion als Außenminister und SPD-Kanzlerkandidat sich gegen Erika Steinbach stellte, kündigte sein Parteifreund und Kabinettskollege Olaf Scholz in Deutschlands größter Boulevardzeitung an, aufgrund der weltweiten Wirtschaftskrise auch in den nächsten Jahren nicht den hiesigen Arbeitsmarkt für Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedsstaaten der EU zu öffnen.

Es sind aber nicht nur deutsche Politiker, die mit Ressentiments auf Wählerfang gehen, sondern auch polnische. Dass man damit östlich der Oder Erfolg haben kann, haben bereits die Kaczynski-Zwillinge bewiesen, als sie 2005 überraschende Erfolge bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen erzielen konnten. Und da auch in Polen Europawahlen stattfinden und in einem Jahr gar die Präsidentschaftswahlen, bei denen Premierminister Tusk den jetzigen Präsidenten Lech Kaczynski im Amt ablösen möchte, werden solche Debatten mit Dankbarkeit aufgenommen.

Bei der neuesten deutsch-polnischen Meinungsverschiedenheit ist nur überraschend, dass es ausgerechnet die liberale Regierung von Donald Tusk war, die sich solch populistischer Töne bediente. Schließlich war es der polnische Premierminister, der im Wahlkampf 2007 für eine Verbesserung des deutsch-polnischen Verhältnisses plädiert hat und dafür den Widerstand gegen das Zentrum gegen Vertreibungen aufgab. Doch die von seinem Deutschland-Beauftragten Bartoszewski verursachte Diskussion, ausgelöst durch Vergleiche, die an Demagogie die deutschfeindlichen Sprüche der Kaczynskis durchaus übertreffen, zeigt, dass auch die jetzige Regierung aus wahltaktischen Gründen sich nicht vor dem Missbrauch von Stereotypen scheucht. Allein deshalb, um der nationalkonservativen PiS der Kaczynskis, der größten Oppositionspartei, Wähler abspenstig zu machen, denn bei vielen polnischen Wählern kommen die deutschlandkritischen Töne der Konservativen bis heute gut an.

Bestes Beispiel dafür ist Jan Rokita. Bis 2005 war der ehemalige Politiker der Bürgerplattform neben dem heutigen Premierminister Donald Tusk der Star in der liberalen Partei, deren rechtem Flügel er angehörte. Doch mit der Niederlage bei den Parlamentswahlen gegen die Kaczynskis begann der politische Abstieg Rokitas, der 2005 noch Premierminister werden sollte. Seitdem versucht sich der Mann, der mit der Russlanddeutschen Nelly Rokita-Arnold verheiratet ist, in der politischen Szene Polens neu zu erfinden.

Eine gute Gelegenheit dafür gab ihm im Februar ein Zwischenfall auf dem Münchener Flughafen. Zusammen mit seiner Ehefrau wollte er von dort aus mit einer Lufthansa-Maschine nach Polen fliegen. Doch ein Streit mit einer Stewardess endete mit seiner Verhaftung durch die bayerische Polizei. Ein Vorfall, den Rokita in den polnischen Medien sofort dazu nutzte, um sich als Opfer deutscher Polenfeindlichkeit darzustellen. Dies tat er so medienwirksam, dass heute in Polen fast jeder seinen auf dem Münchener Flughafen getätigten Ausruf „Hilfe, Hilfe, die Deutschen schlagen mich!“ kennt. Auch deshalb, weil geschäftstüchtige Internetunternehmer daraus ein Online-Spiel gemacht haben.

Solche satirischen und kritischen Reaktionen auf den Münchener Vorfall waren in der vorwiegend konservativen Presselandschaft Polens aber eine Ausnahme. Die liberalen Medien kritisierten zwar Rokitas Verhalten, doch auf den Seiten der konservativen Zeitungen wurde ausführlich über die Verhaftung des beinahe Premierministers von 2005 berichtet. Im Nachrichtenmagazin Wprost, welches Erika Steinbach vor einigen Jahren in einer SS-Uniform abdruckte, konnte seine Ehefrau sogar kundtun, dass sie sich „schäme, eine Deutsche zu sein“. Und dies tat Nelly Rokita-Arnold so vehement, dass die konservative PiS der Kaczynskis, für die sie im Sejm sitzt, eine genauere Untersuchung der Vorkommnisse verlangte. „In einer Situation, in der unserem Landsmann ein Unrecht geschieht, sollte sowohl der polnische Staat als auch das Parlament diese Geschehnisse untersuchen“, sagte der PiS-Politiker Joachim Brudzinski zur Begründung. Ohne zu beachten, dass polnische Mitreisende den Münchener Vorfall anders wiedergaben als Jan Rokita selber.

Besonnene Stimmen gab es in Polen auch während der neuerlichen Steinbach-Debatte. Als überzogen und diplomatisch unklug bezeichneten manche Kommentatoren die Kritik der polnischen Regierung an der Präsidentin des Bundes der Vertriebenen. Doch solche Stimmen hatten keine Chance gegen das laute Gezeter der Konservativen. Und auch in Zukunft dürfte die polnische Rechte die Person Erika Steinbach für ihre Zwecke nutzen.

Wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts GfK ergab, fürchten sich 38 Prozent der Polen vor Erika Steinbach. Damit belegt die BdV-Präsidentin den zweiten Platz, noch vor dem iranischen Präsidenten Mahmud Ahmedinedschad und hinter Wladimir Putin. Damit besitzt Steinbach eine Rolle, an der sie zugegebenermaßen mitgearbeitet hat, die regelrecht dazu einlädt, sie zum Thema der polnischen Innenpolitik zu machen.

Der nächste Streit um Steinbach ist so gut wie vorprogrammiert. Spätestens wenn der nächste Versuch gestartet werden sollte, Erika Steinbach im Stiftungsrat des Zentrums gegen Vertreibungen unterzubringen, dürfte es zu den neuen deutsch-polnischen Spannungen kommen, von denen jeder Akteur wieder innenpolitisch profitieren möchte.