Der ewige Soros

Seite 2: Soros: "Einer der größten Feinde Ungarns", der "kein Heimatland kennt"

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Inzwischen sieht die ungarische Regierung hinter jeden Stein einen Soros hervorkriechen. Ungarns Parlamentspräsident etwa warnte kürzlich vor einer "Weltregierung", die "Gesellschaften ohne Identität erschaffe" und die "Köpfe der Menschen" besetze. Die Proteste in der Slowakei nach dem Mord an einem Journalisten - sie seien ebenfalls von der Soros-Verschwörung gesteuert. Soros stünde in der Slowakei "schon vor der Tür", so der ungarische Spitzenpolitiker. Orban selber kommentierte die demokratischen Proteste nach dem Journalistenmord als "von den Kreisen gesteuert, die ein Interesse daran haben, stabilen Regierungen zu schaden".

Bei einer Massenveranstaltung Mitte Märzrief Orban seinen einstigen Gönner gar zu einem der größten Feinde Ungarns aus, gegen den er als Regierungschef unermüdlich ankämpfen wolle. Man werde das "Soros-Imperium" und die "internationalen Kräfte", die hinter ihm stünden, unermüdlich bekämpfen, tönte Ungarns rechtspopulistischer Regierungschef. Dabei soll laut Orban der liberale Milliardär nur Teil einer ominösen Weltverschwörung sein, die die natürliche nationale Ordnung bedrohe. Orban, vor zehntausenden Anhängern, wörtlich:

Wir kämpfen gegen einen Gegner, der anders ist als wir. Der nicht offen erkennbar ist, sondern sich versteckt; nicht geradlinig, sondern listig; nicht ehrlich, sondern gemein; nicht national, sondern international; der nicht an Arbeit glaubt, aber mit Geld spekuliert; der kein Heimatland hat, aber spürt, dass ihm die Welt gehört.

Viktor Orban

Hierbei handelt es sich offenbar um nichts anderes als eben jenen nationalsozialistischen Antisemitismus, den die Jobbik jahrelang propagierte - nur dass der Name des Juden nicht fallen darf. Hierfür hat Ungarns Rechte eben ihren ewigen Soros. Alle Elemente ordinären NS-Anstisemitismus sind hier zu finden. Der listig im Verborgenen global agierende Gegner, der kein Heimatland kennt, die verhängnisvolle Gegenüberstellung von der nationalen Arbeit und der internationalen Spekulation, die unfassbare Allmacht, die ihm zugesprochen wird.

Nur der Name der Verantwortlichen, für den Soros als ein billiges Substitut fungiert, der darf nicht fallen - so viel haben selbst die dümmsten Antisemiten verstanden. Soros selber sei als Drahtzieher der Islamisierung Europas eine Marionette "höherer Kräfte", erklärte ein Orban-Anhänger gegenüber Journalisten der Washington Post. Er wolle aber keine Namen nennen.

Diese implizit antisemitische Weltverschwörung mit ihrem Soros-Wahn, die in Ungarn von einem Randphänomen zur offizieller Regierungsideologie avancierte, bringt einerseits die Ohnmacht zu Ausdruck, die durch die alltäglich erfahrene Heteronomie im Kapitalismus befeuert wird. Zunehmend sind die Menschen einer unkontrollierbaren Kapitaldynamik zunehmender Widerspruchsentfaltung ausgeliefert, die sie selber unbewusst als Marktsubjekte hervorbringen.

Die ohnmächtig erfahrenen Verwerfungen (von der Euro- zur Flüchtlingskrise), resultierend aus den eskalierenden inneren Widersprüchen des Kapitalverhältnisses, werden - da der Kapitalismus als eine natürliche Gesellschaftsordnung erscheint - auf den Juden als deren Verursacher projiziert. Insbesondere die abstrakte Seite des gesamtgesellschaftlichen Prozesses der Kapitalverwertung wird im antisemitischen Denken abgespalten und der konkreten, nationalen Arbeit entgegengestellt - dabei sind ja die Krisenursachen gerade in den Widersprüchen der Lohnarbeit zu verorten (Die Krise kurz erklärt).

Eine weitere Projektion leisten die korrupten Funktionseliten der Fidesz, die diese implizit antisemitischen Wahngebilde im Wahlkampf propagieren. Im Bild des ewigen Soros werden all jene Charaktereigenschaften abgespalten, die der korrupte Fidesz-Funktionär unbewusst an sich selbst als negativ empfindet. Es scheint fast schon lächerlich evident, dass hier die klassische, mit mafiösen, korrupten Seilschaften versetzte rechtspopulistische Partei bei Soros die Geldgeilheit, die Korruption und Verschlagenheit anprangert, die gerade ihren Spitzenpolitikern vorgeworfen wird.

Während die korrupten Fidesz-Seilschaften gierig veruntreuen und öffentliche Gelder zusammenraffen, wird in der Fidesz-Propaganda ihre Gier und Verschlagenheit auf das antisemitische Hassbild des ewigen Soros projiziert. Wenn man in den innersten Kern des Rechtspopulismus blicken will, muss man nur seine Feindbilder studieren - gerade in Ungarn als einem Land, in dessen öffentlichen Diskurs längst völkisches Denken hegemonial geworden ist (Kultur des Faschismus).