Der ganze Weltraum ist eine Bühne

Zur Renaissance der Space Opera: Das Science Fiction Jahr 2004

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Die Raumfahrt sei nicht länger die Angelegenheit einer glänzend vorgestellten Zukunft, schrieb der britische Autor und Literaturwissenschaftler Adam Roberts, sie sei zur Realität und damit zu einer Sache der Vergangenheit geworden. Damit müssten eigentlich auch die Raumschiffe, die Ikonen der Science Fiction schlechthin, an Attraktion und Symbolkraft eingebüßt haben. Doch seit Anfang der neunziger Jahre ist eine erfolgreiche Wiederkehr der Space Opera in der SF-Literatur zu beobachten, in der gewaltige Raumkreuzer das All durchpflügen und zumeist in kriegerische Aktivitäten verstrickt sind.

Die Space Opera war das erste "standesgemäße" Subgenre der Science Fiction und entstand in den zwanziger Jahren (siehe: Die Geburt der Space Opera aus dem Geiste des Imperialismus). Doch während ihre älteren Formen später ein visuelles Äquivalent in TV-Serien und den "Star Wars"-Filmen gefunden haben, ist die "neue" Space Opera moderner in der Verwendung von Erzähltechniken und der Einbindung von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen. Anlass genug für die Herausgeber, sie als Schwerpunktthema des SF-Jahrbuches aus dem Heyne-Verlag vorzustellen.

Ökonomisch gesehen, geht es der SF-Literatur nach wie vor nicht besser (siehe: Ein Genre vor der (Selbst)Auflösung?), aber bei dem, was sich verkauft, stehen Space Operas in der Bundesrepublik an erster Stelle (ehrenhalber sei aber erwähnt, dass hierzulande seit vierzig Jahren eine Weltraumserie erscheint, die ein Beitrag von Hartmut Kasper in die Traditionslinie der Space Opera stellt: Perry Rhodan). Heute fände nun eine "geradezu atemberaubende Re-Kolonisierung" des Weltraums in der SF-Literatur statt, schreiben die beiden Herausgeber Wolfgang Jeschke und Sascha Mamczak in ihrem Vorwort und fragen:

Ist dieser Trend ... Ausdruck eines neuen Eskapismus, des Wunsches, in unendliche Weiten zu entfliehen, wo echte Helden noch echte Abenteuer erleben können und das

mühsame irdische Klein-Klein keine Rolle mehr spielt? (...) Geht die SF endgültig vor George Lucas in die Knie und kehrt sie reumütig zu ihren Groschenhaft-Anfängen zurück? Oder ist vielleicht gerade das Gegenteil der Fall und diese 'neuen' Space Operas reflektieren womöglich bedeutsame gesellschaftliche Vorgänge, für die es sonst keine andere Form der literarischen Auseinandersetzung gibt.

Der amerikanische Herausgeber David Hartwell wiederum interpretiert in seinem Beitrag "Gold aus der Gosse. Der lange Marsch der Space Opera zur Kunst" gerade den neuerlichen Erfolg der Weltraum-Oper unter anderem als Ergebnis von "Star Wars". Gleichwohl sei dies nicht nur "Retro-Flair". Es ist jedoch bezeichnend, dass die literarische Space Opera in den siebziger Jahren kein großer Erfolg war - in dem Jahrzehnt, das auf die Mondlandung folgte und in dem die Weltraumbegeisterung nachließ. Der Autor und Kritiker Thomas M. Disch schildert seine nüchterne Sicht der Dinge, die die Renaissance der Space Opera als Wiederkehr des alten Weltraumabenteuer-Garns erscheinen lässt:

Zu Zeiten eines Lukian von Samosata oder sogar eines Cyrano de Bergerac war eine Reise zum Mond Stoff für eine Phantasiegeschichte. Als dann eine solche Reise in den Bereich des konkret Möglichen rückte, etablierte sich die SF als eigenes Genre - doch die Neigung zur Phantasievorstellung blieb in ihren Genen, und jetzt, da sich der Mond und der Mars und ein Großteil unseres Sonnensystems als reale, aber leblose Ziele darstellen, ist die SF zu ihren Ursprüngen zurückgekehrt. Denn jede SF-Geschichte, die sich mit interstellarer Raumfahrt und Abenteuern unter Außerirdischen befasst, ist angesichts dessen, was wir über interstellare Entfernungen und die Beschränkungen der Relativitätstheorie wissen, eine Reise ins Märchenland.

Befreiung von den Fesseln des schon einmal Erzählten

Ist das aber wirklich Alles oder bietet die Space Opera nicht doch die Möglichkeit für ein "Erzählen in kosmischen Maßstäben" (Jeschke/Mamczak)? Während die Zukunftsvisionen aus anderen Subgenres immer schneller altern aufgrund der Beschleunigung der technologischen Entwicklung, könnten die Weiten des Weltraums ein Refugium bieten für althergebrachte Geschichten, aber auch eine Projektionsfläche sein für neue kosmische Visionen. "Die Oper - die Weltraumoper", schreibt der Autor und Kritiker John Clute emphatisch, "ist ein Kunstgriff, um die Welt in ihrer Gesamtheit in den Blick zu bekommen." Sie sei ein Weg, sich "von den Fesseln all dessen zu befreien, was schon einmal erzählt wurde: das Gegebene, das Offensichtliche, das Anerkannte, das 'Wirkliche'."

Die Frage bleibt, wie ein derart umfassender Blick literarisch gestaltet werden kann. Historische Vorläufer einer SF, die kosmische Visionen produzieren will, sind beispielsweise die Romane des britischen Autors und Philosophen Olaf Stapledon aus den dreißiger Jahren über eine "Bewusstseinsreise" durch ein mit vielen Geschöpfen bevölkertes Universum, und die sind bei der Leserschaft umstritten, nicht nur wegen der unausweichlich veralteten Vorstellungen, sondern auch wegen ihres großen Anspruchs.

Der britische Autor Ken MacLeod identifiziert als Problem der "neuen" Space Opera, dass sie eigentlich gar nicht mehr von menschlichen Abenteuern im Universum erzählen könne, da die Zukunft dort den Künstlichen Intelligenzen gehöre. Doch auch für die wird das Universum ein ungemütlicher Ort bleiben. Rüdiger Vaas spricht in seinem achtzigseitigen Artikel "Die ferne Zukunft des Lebens im All. Was bleibt von uns in Millionen von Jahren?" verschiedene Szenarien an, die auch die künstlichen Nachkommen der Menschen beschäftigen werden. Neben kosmologischen Modellvorstellungen mit so eingängigen Titeln wie "Big Crunch", "Big Whimper" oder "Big Rib" erwähnt er die höchsten Herausforderungen für die kosmische Ingenieurskunst einer Superzivilisation der weit entfernten Zukunft, nämlich gegebenenfalls das Universum wechseln oder ein eigenes konstruieren zu müssen, um dem unausweichlichen Entropie-Ende zu entgehen. Den Herausgebern ist zuzustimmen, dass die literarische Reflexion dieser menschlichen Existenzbedingungen - in welcher konkreten Form auch immer - nur in der SF möglich ist.

Vorgestellt werden sehr unterschiedliche Space Operas neueren Datums von Dan Simmons ("Hyperion"), Peter F. Hamilton ("Armageddon"-Zyklus), Iain Banks (dessen "Culture"-Romane) oder Vernor Vinge ("Ein Feuer auf der Tiefe"). Erinnert wird aber auch Sergej Snegovs Trilogie "Menschen wie Götter", die einzige sowjetische Space Opera aus den sechziger Jahren. In weiteren Artikeln zu anderen Bereichen der SF werden u.a. die Bücher von Autoren wie J.G. Ballard oder China Miéville behandelt. Neben Interviews finden die LeserInnen u.a. ein reichhaltiges Service-Angebot zu 2003 erschienenen Büchern, Filmen DVDs, Hör- und Computerspielen aus dem SF-Genre.

Wolfgang Jeschke und Sascha Mamczak (Hg.): Das Science Fiction Jahr 2004, Wilhelm Heyne Verlag, München 2004, 1047 S., 22 EUR