Die Geburt der Space Opera aus dem Geiste des Imperialismus
Eine Erkundung in amerikanischer Mentalitätsgeschichte
Vieles von dem, was mit großem Erfolg in den Kinos und im Fernsehen unter dem Label "Science Fiction" zu sehen ist, ist nicht anderes als eine Visualisierung vieler Motive ihres Subgenres der Space Opera, das seine erste Blütezeit schon vor Jahrzehnten gehabt hat. Mit George Lucas' "Star Wars" (USA 1977) hat ein Boom dieses Zweigs in der visuellen SF eingesetzt, der bis heute anhält und mehrere parallel ausgestrahlte TV-Serien hervorgebracht hat. Die Visual Effects zur Gestaltung der Motive haben dabei mittlerweile eine noch nicht gekannte Perfektion erreicht (George Lucas' digitale Popcorn-Kriegsmaschine). Die Space Opera verkörpert eine sehr amerikanische Einstellung, den "Frontier-Geist" (Final Frontiers), und hat ihn zu neuen - mitunter auch absurden - Höhen geführt.
Die Machart der Space Opera
Gigantische Sternenkreuzer, die sich ins Bild schieben ... Jedi-Ritter, Prinzessinnen und Weltraumschmuggler im gemeinsamen Kampf gegen feindliche Armeen ... vielfältige exotische Lebensformen, denen die Helden auf ihrem Weg begegnen ... ein Todesstern im Zentrum des Geschehens ... ein böser Imperator, der mit seinen Verbündeten nach Herrschaft über die Galaxis strebt ...
Space Opera should never die.
Jack Williamson
Was "Star Wars" an Elementen und Motiven präsentiert, erinnert nicht von ungefähr an den schon angestaubten Fundus der SF aus ihren ersten Jahren als populäre Unterhaltungsform, sind es doch typische Bestandteile der Space Opera, deren Entstehung einherging mit der Entwicklung eines SF-Marktes in den USA in den Zwanzigern. Frühe Autoren, die in diesem Subgenre große Erfolge feiern, sind E.E. Smith, Edmond Hamilton und Jack Williamson. Der Begriff selbst wurde 1941 durch den Autor Wilson Tucker geprägt als ironische Anspielung auf die Horse Operas, die Western im Radio, um die SF der dreißiger Jahre zu charakterisieren.
Sometimes called adventure sf or science adventure, space operas are generally fast-paced intergalactic adventures on a grand scale. Often characterized as a western in space or 'straight fantasy in science fiction drag', space opera may be either a historical or a generic term.
Gary K. Wolfe
Von Beginn an dominierte eine rasante Handlung, die die Helden in kosmische Konflikte stürzte und im guten alten Kampf zwischen Gut und Böse mit Superwaffen hantieren ließ. In "Die Weltraumlegion: Wächter des Alls"1 des damals jungen Autoren Jack Williamson, über dessen Erfahrung als amerikanischer Pionier noch zu reden sein wird, findet sich der Hinweis auf eine Waffe, "die einen Energiestrudel erzeugt - eine fürchterliche Erscheinung, die die Raum-Zeit-Koordinaten verzerrt, alle Materie im unmittelbaren Einflussbereich instabil werden lässt, sich von der Energie der Atome ernährt, deren Struktur sie zerstört ..."
In "Ingenieure des Kosmos"2 aus dem Jahre 1939 liefert Clifford D. Simak die Kostprobe einer wirklich aufgedrehten Space Opera, die vor keinerlei Grenzen mehr Halt macht. Einer dieser "Ingenieure", eine außerirdische Rasse, erklärt:
'Dieses Universum ist nur eines von Millionen Universen. Von Millionen, Milliarden, ja Abermilliarden Universen. Wir sind der Ansicht, dass so viele Universen existieren wie Galaxien in unserem eigenen Universum.' (...) Stille senkte sich über den Raum, eine Stille, die mit Ehrfurcht gemischt war. Hier sprach man von Universen und Super-Universen, hier verschoben sich die Werte, hier wurde das Universum zu einem bloßen Staubkorn in einer noch größeren Sphäre degradiert.
Hier zeigt sich ein Problem, dass die Space Operas dieser Zeit kennzeichnet: die Jagd nach gigantomanischen Perspektiven, die schließlich in Leerlauf mündet. Simak erfüllt schon recht früh ein Produktionsprinzip, das der der Autor und Kritiker Colin Greenland so beschreibt3:
Es gibt in einer Weltraumoper keinen Raum außerhalb des im Text geschaffenen. Raum muss aufgebaut und gestaltet werden, beschworen, nicht zuletzt wegen der zwangsläufig verkürzenden Auswirkung des 'Spacewarp'-Antriebs, der die zwischen den Sternen bestehenden Abgründe als ziemlich lächerlich erscheinen lässt, oder aber es gibt eben keine Dramatik. Raumopernkompositeure müssen sich eben dehnen und strecken und immer weiter strecken, um immer größeren Raum zu umfassen, eine immer weitere Pluralität von Welten, als sie tatsächlich erfassen, die Exotik und das Schwindelgefühl müssen auf immer höhere Touren gebracht werden.
Der Kritiker und Herausgeber David Pringle bemerkt4, dass es bisher erstaunlich wenig Analysen dieses Subgenres gegeben habe. Als ihre Vorläufer betrachtet er die (utopischen) interplanetarischen Reiseerzählungen, die Planetenromane, die "Future War"-Romane, die "Edisonaden" (Geschichten um Erfinder) und die Seefahrer-Geschichten. Wie die Abenteuerromane, die auf See spielen, neigten auch die Raumschiff-Erzählungen der Space Opera dazu, in Kriegsgeschichten abzugleiten. Als wichtigsten Bestandteil sieht Pringle allerdings die kosmischen Visionen, wie sie in den Dreißigern beispielsweise von Olaf Stapledon geschrieben wurden: "... elements derived from them give space opera its sweep and scope, its ability (...) to inspire awe and wonder. This, I would submit, is the main quality that space opera has to offer over any other kind of adventure story." Die Space Opera sei eine "Simplifizierung" dieser kosmisch-visionären SF für ein Massenpublikum. Nichtsdestotrotz sei sie ein ureigener Bestandteil der SF, das erste Subgenre, das ganz zu dieser Literaturform gehört hätte.
Die (wissenschaftliche) "Eroberung" neuer Welten
Our race will spread out through space - unlimited room unlimited energy, unlimited wealth. This is certain.
Robert A. Heinlein
Jack Williamson sieht5 die Space Opera als "amerikanische Erfindung", als "natürliches Erbe" der Pionierzeit, als nostalgische Referenz. Er selbst ist noch als Kind mit seiner Familie von Farmern durch den amerikanischen Westen gereist. Den Freiheitsgedanken der Pionierzeit hält Williamson bis heute aufrecht - auch wenn es vermutlich keine Reisen mit Überlichtgeschwindigkeit und durch Wurmlöcher geben könne, gelte es, immer neue Grenzen des Wissens auszuloten. Hans Joachim Alpers6 u.a. haben diesen Bezug auf die Pionierhistorie der USA anders übersetzt:
Und wie in der Realität des Wilden Westens die Pioniere einst auf ihren Planwagen nach Westen rollten, stürmten in der amerikanischen SF auch die Sternenfahrer ins All hinaus, um im Auftrag einer überbevölkerten oder rohstoffarmen Erde nach Welten Ausschau zu halten, die man in Besitz nehmen und ausbeuten konnte.
Das "imperialistische" Besetzen von neuem Raum ist Teil der "Frontier"-Mentalität. Insofern reflektieren die Kulturprodukte hier die historische Entwicklung, wie sie in den USA bis 1890 stattgefunden hat, als die Besiedlung offiziell für beendet erklärt wurde. Der Soziologe Hans-Jürgen Krysmanski ist weitergehend sogar der Meinung, dass der neuere amerikanische Hegemonialanspruch in seinen "Tiefenschichten" auf dem "träumerischen Universalismus" von Autoren wie Robert A. Heinlein beruhe (siehe seinen Text Das amerikanische Jahrtausend?). Was in der SF als Zukunft repräsentiert werde, so der Schriftsteller Thomas M. Disch7, sei die der USA: das galaktische Imperium ist der großgeschriebene amerikanische (Alp)Traum.
Der Autor und Literaturwissenschaftler James Gunn8 interpretiert das Aufkommen der Space Opera demgegenüber von einer anderen Seite: sie sei eine "Kompensation" für die das Alltagsbewusstsein überfordernde neue Entdeckung der Vielzahl an Galaxien und zugleich für die Probleme der Ökonomie, die Ende der Zwanziger, Anfang der Dreißiger zu einer Weltwirtschaftskrise führten. Die zeitgleiche rasante Entwicklung in Auto-, Radio- und Flugzeugtechnik fand des Weiteren in der SF ein "Ventil" für die Fantasie. In einer seiner Einleitungen zu Anthologien der SF-Geschichte beschreibt9 er den Konsens, der damals unter SF-Autoren geherrscht habe:
Die (...) Übereinstimmung gipfelte in dem Bewusstsein, dass der Mensch notwendigerweise die Planeten und Sterne nicht nur erreichen würde, sondern musste, (...) In der SF wurde der Mensch geschildert als ein Wesen, das sich aus der einzelligen Amöbe entwickelt hat, das die lange Reise durch die Evolution gemacht hat, dabei die Bedrohung durch unzählige feindliche Lebensformen nicht scheuend, bis hin zu historischen Ereignissen wie Unterdrückung, Freiheitskampf und allmählicher Erweiterung des Wissens. Nun steht er da, selbstbewusst, mit beiden Füßen auf der Erde, die er sich untertan gemacht hat, und blickt empor zu den Sternen.
Das ist der Ausgangspunkt für eine Einstellung, die das ganze Universum für "erkenn- und handhabbar" (Patricia Monk) hält. Gunn zitiert Robert A. Heinlein, der das Denken der SF-Leser in höhere Bahnen der Gattungsgeschichte gelenkt sieht - ein Zeugnis für den Anspruch der Wirklichkeitsbeherrschung in der amerikanischen SF, der mit dafür gesorgt hat, dass sich der spezifische konservative Hintergrund einer libertären Ideologie in diesem Genre gebildet hat. Brian W. Aldiss und David Wingrove ergänzen10 einen weiteren Aspekt: alle Pulps der damaligen Zeit boten den Unterprivilegierten starke Helden als Identifikationsfiguren:
Die SF schließlich hob die letzten Einschränkungen auf, die andere Genres ihren Helden und deren Machtpotenzial noch auferlegen mochten.
Der Autor und Kritiker Brian Stableford11 ist der Ansicht, dass die Space Opera ihren naiven Charme in den vierziger Jahren verloren habe - das reale Geschehen des Zweiten Weltkriegs wird schon seinerzeit diesen überdimensionalen Kriegsszenarios einen schalen Geschmack gegeben haben. Das Ende ihrer klassischen Form sei in den fünfziger Jahren gekommen. Dass Alfred Besters "Der brennende Mann"12 als berühmtes Exemplar dieser Gattung aus dem Jahre 1956 der Höhe- und Endpunkt einer ganzen Epoche der SF gewesen sei, schrieb der Autor und Herausgeber Michael Moorcock in den Sechzigern.
Die Schlusssequenz, wenn der Held Gully Foyle den gefährlichen Stoff PyrE an die Massen weltweit verteilt, interpretiert Thomas M. Disch als Metapher auf das Atomzeitalter, das mit dem Abwurf der Atombomben am Ende des Weltkriegs begann - wahrlich ein Grund, in Ehrfurcht vor den wirklichen Superwaffen zu erstarren. Jack Williamson spricht von der "schwarzen Magie" der Atombombe, die die Dominanz der Space Opera in der SF beendet habe.
Grandiosität und Erhabenheit: der "Sense of wonder"
Space Operas sind die Kathedralen der Zukunft.
John Clute
Lassen wir einige Aspekte, die die Faszination des Genres der Space Opera ausmachen, Revue passieren: Es sind u.a. die Begegnung mit rätselhaften Aliens, mit übergroßen Raumschiffen oder die Vorstellung eines "jenseitigen" Raumes, über den sich die realen Entfernungen im Kosmos spielend überwinden lassen. Solche Objekte oder die Hyperraum-Sprünge mögen einen altmodischen Eindruck hinterlassen, aber sie verfehlen ihre Wirkung nicht. Der Raum der kosmischen Existenz wird literarisch "reduziert", um in ihm imperiale Ränkespiele und andere Handlungsverwicklungen stattfinden zu lassen.
Doch auch wenn die Space Opera das Weltall derart verkleinert oder durch Übertreibung trivialisiert, so bietet sie genügend Stoff, um ein Gefühl von Grandiosität und Erhabenheit zu vermitteln, das die SF für viele so anziehend macht. Die "Weltraum-Oper" ist das ideale Medium für den in der SF viel beschworenen "Sense of wonder". Der Herausgeber David Hartwell13 kommentiert in diesem Sinne den Erfolg des Space Opera -"Pioniers" E.E. Smith:
His stories struck the sense of wonder like lightning. His huge, galactic, cosmic adventures were electrifyingly new. After reading Smith, you could look up at the night sky as never before, and be filled with a whole new range of awesome potentialities.
Es wäre falsch, diesen Sinn für das Wunderbare allein als "jugendliche Sehnsucht" oder als expansionistisch motivierten Wahn zu brandmarken. Wir haben gesehen, dass die kosmische Vision ein wesentliches Merkmal der Space Opera, der SF insgesamt ist. Vision ist dabei nicht allein in einem rationalen Sinne zu verstehen, sondern eben als Sinn für das Wunderbare, für das auf den ersten Blick Unverständliche, das wohl ewig "metaphysisch" Bleibende des Universums. Das ist das Besondere, was die SF leistet: Sie erschließt imaginär ein riesiges Feld für Gedanken und Gefühle außerhalb des irdischen Bezugs- und Handlungsrahmens.
Der Kritiker Peter Nicholls meint, dass der "Sense of wonder" durch eine ganze Reihe von Effekten erzielt werde: unter anderem durch plötzliche Perspektivwechsel, indem neue Türen in der großen Spanne zwischen Mikro- und Makrokosmos aufgestoßen würden. Die Einstellung, die sich in der Space Opera ausdrückt - ehrfurchtsvoll zu den Sternen zu schauen und nach ihnen zu greifen (und dabei die Alltagswirklichkeit zu übersteigern) - ist nicht einfach ein regressives Fluchtsyndrom der Fantasie, sondern stellt eine utopische Sehnsucht nach anderen Welten und Zuständen dar. Deshalb kann die SF auch ihr (naiv-)imperialistisches Erbe transzendieren, wie es in einigen neueren Romanen beispielsweise von Iain Banks oder Dan Simmons geschehen ist.