Der "gesicherte Bereich der Nichtkriegsführung"
Im Bundestag ist Die Linke mit einem Antrag gegen Waffen- und Ausbildungshilfe für die Ukraine gescheitert. Erwartbar, aber auch innerhalb der Partei bröckeln antimilitaristische Positionen
Durch die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine wird Deutschland zwar nach Einschätzung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags nicht zur Kriegspartei. Wenn aber neben der Belieferung mit Waffen auch die Einweisung der Konfliktpartei beziehungsweise die Ausbildung ihrer Soldaten "an solchen Waffen in Rede stünde, würde man den gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung verlassen", heißt es in einem Gutachten, das die Wissenschaftlichen Dienste im März erstellten.
Daraus zitierte am Donnerstagabend die Linke-Politikerin Zaklin Nastic im Bundestag. Ihre Fraktion hatte vor diesem Hintergrund beantragt, die Ausbildung ukrainischer Soldaten auf deutschem Boden zu beenden. In dem Antrag wurde die Bundesregierung zudem aufgefordert, die Lieferung von Waffen an die Ukraine einzustellen und "sich auf allen diplomatischen Wegen für ein Ende des russischen Angriffskrieges einzusetzen".
Ihre Fraktion verurteile "diesen verbrecherischen, völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine aufs Schärfste", betonte Nastic in ihrer Rede. "Das Leid der Menschen muss umgehend beendet werden, die Waffen müssen schweigen", sagte sie. Möglich sei das aber nur durch Verhandlungen.
In den ersten acht Kriegswochen seien bereits Rüstungsgüter im Wert von 192 Millionen an die Ukraine geliefert worden. Durch noch mehr Waffen werde aber der Krieg nicht beendet. Die Bundesregierung riskiere "eine gefährliche Ausweitung dieses Krieges, vielleicht sogar nach Deutschland", so Nastic. Die Sorgen in der Bevölkerung vor einer möglicherweise atomaren Eskalation müsse ernst genommen werden. Die Bundesregierung solle daher auch Nato-Verbündete auffordern, Waffenlieferungen und Ausbildung ukrainischer Soldaten zu unterlassen.
Bereits mit dem Bundestagsbeschluss zur Lieferung schwerer Waffen vom 28. April sei die zuvor von Kanzler Olaf Scholz (SPD) vertretene Haltung, jede Eskalation zu vermeiden, aufgegeben worden. "Sie machen Deutschland zunehmend zur aktiven Kriegspartei – und das ist unverantwortlich", warf sie den Koalitionsparteien vor.
Der SPD-Abgeordnete Johannes Schraps behauptete daraufhin, dass Nichtstun wohl der einzige Weg sei, nicht "den gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung" zu verlassen. Zwischen dem Verlassen dieses gesicherten Bereichs und dem Status einer aktiven Kriegspartei gebe es aber einen Unterschied.
Erwartungsgemäß wurde der Antrag der Linken mit der Mehrheit der Ampel-Koalition und der Unionsparteien abgelehnt. Die AfD-Fraktion enthielt sich bei der Abstimmung.
Auch Linke setzen zum Teil auf militärischen Sieg der Ukraine
Allerdings gibt es auch in Nastics eigener Partei Stimmen, die in diesem Punkt dem Regierungslager und den C-Parteien zustimmen – etwa im Landesverband Bremen.
Am 8. Mai, dem Jahrestag der militärischen Befreiung Deutschlands vom Faschismus, befand der Landessprecher der Linken, Christoph Spehr, in einer Rede, es sei gerade an diesem Tag "ein Gebot der Freiheit und des Völkerrechts, dass die Ukraine den Verteidigungskrieg gegen den russischen Angriff gewinnt – und dass sie das bekommt, was sie dafür braucht." Der russische Angriffskrieg könne "nur militärisch zurückgeschlagen werden", so Spehr. Er gehe davon aus "dass die Ukraine in dieser Auseinandersetzung, wo sie ihre Freiheit gegen einen verbrecherischen Angriffskrieg verteidigen muss, am Ende siegen wird".
Bemerkenswert ist dieses Framing an einem antifaschistischen Gedenktag vor dem Hintergrund, dass am Ukraine-Krieg auf beiden Seiten ultrarechte und nationalistische Kräfte beteiligt sind – in der "Gruppe Wagner" im Dienste Russlands und im Asow-Regiment auf ukrainischer Seite. Das ändert freilich nichts an der völkerrechtlichen Bewertung, dass Russland in diesem Fall der Aggressor ist, stellt aber das idealisierte Bild der Ukraine als Hort der Freiheit infrage.
"Die Sicherheitsinteressen der Ukraine ernst zu nehmen, heißt nicht, sie mit Waffen aufzurüsten, sondern alle Anstrengungen dafür zu unternehmen, dass die Waffen schweigen", hatte der Linken-Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann in seiner Rede auf dem Bremer Ostermarsch erklärt.
Ganz alleine steht Spehr aber mit dem Wunsch nach einem militärischen Sieg der Ukraine nicht in seiner Partei. In Hamburg berichtete bereits das Abendblatt, dass dieser Krieg Die Linke zu spalten drohe. Wer wie Andreas Grünwald vor "einer Militarisierung linker Außenpolitik, einer Akzeptanz der Nato", aber auch vor einer "Abkehr vom sozialen Profil der Partei" warnt, wird in dem Artikel dem Lager der "Altmarxisten" zugeordnet. Grünwald wiederum meint, die "sogenannten Reformer" in der Partei würden mit diesem Kurs deren Existenz als politische Kraft riskieren.
Die linke Tageszeitung Neues Deutschland fragte unlängst den Linken-Politiker Benjamin-Immanuel Hoff, Staatskanzleichef unter Bodo Ramelow in Thüringen, ob man angesichts der Entwicklung in der Ukraine "die Forderung der Nato-Auflösung aus dem Parteiprogramm streichen" müsse.
Darauf antwortete Hoff, das Parteiprogramm sei der Grundkonsens, auf den sich Linke verständigt hätten, ließ aber offen, wie stringent sie sich daran halten müssten: "Nun geht es darum, in die Lage zu kommen, über diesen Grundkonsens hinaus konkrete Politik zu formulieren. Wir müssen auf aktuelle Fragen gute Antworten finden. Aber diese Fähigkeit verlieren wir, indem wir jedes tagesaktuelle Problem zu einer Grundsatzfrage über Verrat der Partei machen." Letzteres sei "totaler Quatsch".