Der große Fischzug

Seite 2: Der Dreh mit dem Überschuss

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EU-Boote sollen im Rahmen der Verträge überschüssige Fischbestände in den ausschließlichen Wirtschaftszonen der Zielländer nachhaltig befischen. Die Auslegung des Begriffs "Überschuss" im Zusammenhang mit dem 1995 im FAO-Verhaltenskodex für eine verantwortungsvolle Fischerei niedergeschriebenen Vorsorgeansatz, der bei dürftiger Datenlage zu einer vorsichtigen Befischung der Bestände rät, ist umstritten. Der "Überschuss" beschreibt eine im Falle der Nichtbefischung durch das Partnerland ungenutzt im Meer verbleibende Menge an Fisch. Er ist die Differenz aus dem durch die technischen Unzulänglichkeiten der Flotte des jeweiligen Küstenstaates nicht erreichbaren maximal nachhaltigen Ertrags - oft eine unbekannte Größe - und der tatsächlich angelandeten Fischmenge, die vielerorts aufgrund bewusster Falschmeldungen ebenfalls nicht genau bekannt ist.

Gemäß des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen sind Küstenstaaten angehalten, diesen Überschuss im Rahmen von Zugangsabkommen anderen Ländern zur Verfügung zu stellen. Zwar kann das Gastland die einheimische Wirtschaft und Regionalinteressen bei der Lizenzvergabe bevorzugen, nur geschieht das höchst selten in Ländern, die auf den Einstrom von Devisen angewiesen sind, um ihre Auslandsschulden zu bedienen.

Im gleichen Übereinkommen werden die jeweiligen Küstenstaaten in die Pflicht genommen, die Menge des Überschusses festzustellen. Doch oft sind sie dazu nicht in der Lage. Meist fehlen Informationen über den Fischereiaufwand der inländischen oder anderer ausländischer Fangflotten im Gebiet. Außerdem sind die Bestände weit wandernder Arten innerhalb einer gegebenen ausschließlichen Wirtschaftszone schwierig zu bestimmen.

Die Partnerstaaten bevorzugen oftmals kurzfristige Geldschübe aus Zugangsabkommen, deren Gebühren auf Basis der Einkünfte der ausländischen Flotten verhandelt werden und nicht anhand von nachhaltigen Fangquoten, die häufig unbekannt sind. Der überwiegende Teil der partnerschaftlichen Fischereiabkommen erwähnt keine Quoten, sondern nur "Referenz-Grenzen", deren Überschreitung durch zusätzliche Zahlungen ausgeglichen werden können. Sie haben keinen Bezug zu üblichen Kriterien des Bestand-Managements, wie der maximal nachhaltige Ertrag oder der Zustand eines Bestands. Das Vorgehen wird mit dem Mangel an Daten gerechtfertigt.

Auswirkungen auf die Bevölkerung der Küstenstaaten

Die Geschichte der Fischerei in Afrika ist keine homogene. Während einige Länder auf eine langjährige Tradition verweisen können wie der Senegal, hat dieser Erwerbszweig in anderen Ländern wiederum eine relativ junge Geschichte, wie in Mauretanien oder Somalia.

In Westafrika macht die Fischerei 20% des primären Sektors aus. Sie ist hauptsächlich im Fischereihandwerk angesiedelt. Die hier Arbeit haben, können sich auch andere Nahrungsmittel leisten, solange ihre Fischerei einträglich bleibt.

Die übermäßige Befischung der Fischbestände bedroht die Sicherstellung der Ernährung in den Gastländern, wie Kritiker immer wieder anmerken. Die steigenden subventionsgestützten Exporte oft höherwertiger Arten verknappt das Fischangebot vor Ort. Für die Bevölkerung bleibt dann nur der Griff zu kleinen pelagischen Arten.

Viele Bewohner von Teilen Afrikas südlich der Sahara haben aufgrund wiederkehrender Dürreperioden Land- und Weidewirtschaft aufgegeben und drängen zur Küste, wo sie ihr Auskommen unter anderem als Fischer suchen - mit der Folge, dass der Fischereidruck auf bereits überfischte Arten weiter zunimmt, und mit der Gefahr, dass auch die Fischerei für viele als Einkommensquelle versiegen könnte.

In Ländern, in denen das Fischereihandwerk traditionell ein wichtiger Erwerbszweig ist, können Alleingänge der Regierung beim Verkauf von Fischereirechten an ausländische Flotten zu politischen Unruhen führen. Wie 2012 im Senegal, als die Bevölkerung auf die Straße ging und ein Ende der Plünderung der Fischgründe des Landes einforderte. Der damalige Präsident Wade hatte gerade weitere Fanglizenzen an ausländische Trawler verkauft und verlor nun die Präsidentschaftswahl. Seit 2000 hatten die Fischer ein alarmierendes Schwinden ihrer Fischbestände vor ihrer Küste festgestellt, viele Fischfabriken mussten schließen .

Überfischung wird mittlerweile als dringender Motivationsgrund für Migration diskutiert. Sie soll beispielsweise 2006 ein Auslöser der Flüchtlingskrise auf den Kanaren gewesen sein, als zehntausende Afrikaner vom Kontinent per "Pirogen-Wanderung" auf die Inseln kamen. Eine weitere Folge: Das Ausbleiben ihrer Fänge und die oft mutwillige Zerstörung ihrer Fanggeschirre durch in Küstennähe fischende ausländische Fangflotten können die Fischer vor Ort in ein anderes Geschäftsmodell treiben: in die Piraterie.