Der kaiserliche Konkneipant und die blitzgescheite Sau

Seite 4: Das Ende zweier Zeitgenossen

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Am 4. August erklärte Wilhelm in einer Thronrede vor dem Panorama des Kriegsausbruchs: "Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche!" Der Großteil der deutschen Sozialdemokraten sah das genauso und stimmte den notwendigen Kriegskrediten zu. Burgfrieden.

Der linke Parteiflügel wurde isoliert. Seit 1916 war Wehrkraftzersetzerin Luxemburg wieder in Haft. Währenddessen spaltete sich die USPD von der MSPD. Die revolutionären Burgfriedensgegner bildeten 1916 die "Gruppe Internationale", aus der 1917 die Spartakusgruppe und im November 1918 der Spartakusbund hervorgingen.

Doch "Was will Spartakus?" Als 1918 das Ende des Krieges nur noch eine Datumsfrage war, rief Liebknecht am 9. November die "freie sozialistische Republik" Deutschland aus. Die wieder aus dem Gefängnis entlassene Luxemburg entwarf das Programm des neuen Bundes: In Abgrenzung zur USPD sollte die Revolution mit Waffen geschützt und vorangetrieben, in der Folge das möglichst schnelle Kriegsende und eine sozialistische Gesellschaftsordnung herbeigeführt werden. Am 1. Januar 1919 endlich wurde die KPD gegründet. Man übernahm Rosa Luxemburgs Spartakusartikel vom 14. Dezember 1918 kaum verändert als Parteiprogramm. Das Verhältnis zum Parlamentarismus war dennoch umstritten.

Dazu Liebknecht: "Die Nationalversammlung bedeutet aber nichts anderes als eine formelle politische Demokratie. Sie bedeutet durchaus nicht diejenige Demokratie, die der Sozialismus stets gefordert hat. Der Wahlzettel ist sicherlich nicht der Hebel, mit dem die Macht der kapitalistischen Gesellschaftsordnung aus den Fugen gehoben werden kann." Schon wenige Tage später wurde die junge Partei vor eine Belastungsprobe gestellt: Die KPD schloss sich den der USPD nahestehenden "Revolutionären Obleuten" an. Während des sogenannten "Spartakusaufstandes" versuchte man, die Soldatenräte der Berliner Regimenter zur Beteiligung am Sturz der Regierung Friedrich Ebert zu gewinnen. Es misslang. Um Berlin zusammengezogene Einheiten des kaiserlichen Heeres und neu aufgestellte Freikorps schlugen den Aufstand auf Befehl Gustav Noskes nieder.

Zu diesem Zeitpunkt befand sich Wilhelm II. längst im niederländischen Exil. Umringt von einer Schar Kaisertreuer lebte er noch bis 1941. An die Veränderungen der kommenden Jahrzehnte konnte er sich nicht mehr anpassen. Wilhelm glaubte weiterhin fest an die Restauration der Monarchie, vertrieb sich die Zeit mit Holzfällen, Gelehrtengesprächen, Memoiren schreiben und teils wirren Tiraden über die Republik, die Nationalsozialisten, die Juden, alles.

Kaiser Wilhelm II. (vierter von links) am belgisch-niederländischen Grenzübergang Eysden kurz vor seiner Abreise ins niederländische Exil (10. November 1918). Bild: Deutsches Bundesarchiv (Bild 183-R12318). Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Was für einen letzten Kaiser hatten wir also? Einen besseren Einblick in das wilhelminische Seelenleben gewährt uns der schlossbesichtigende Graf Kessler:

Die Privaträume (…) des Kaisers (...) sind aber so spießbürgerlich nüchtern und geschmacklos, dass man keine große Entrüstung gegen die Plünderer aufbringt (...) Jetzt liegt diese nichtige Seele hier herumgestreut als sinnloser Kram. Ich empfinde kein Mitleid, nur, wenn ich nachdenke, Grauen und ein Gefühl der Mitschuld, dass diese Welt nicht schon längst zerstört war, im Gegenteil in etwas andren Formen überall noch weiterlebt.

Wilhelm - erster Mann und Karikatur seiner Zeit. Klingt simpel und ist auch nicht alles, war schließlich ein Teil dieser "etwas andren Formen" immer noch lebendig, auch und gerade der radikalere.

Trauerzug im Rahmen Beisetzung von Rosa Luxemburg am 13. Juni 1919. Bild: Deutsches Bundesarchiv (Bild 146-1976-067-25A). Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Am 15. Januar 1919 wurden Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gefangen genommen. Mitglieder der Garde-Kavallerie-Schützen-Division, aus der viele rechtskonservative und -radikale Freikorps hervorgegangen sind, verhörten und misshandelten die beiden. Anschließend folgte die Erschießung. Luxemburgs Leichnam landete im Berliner Landwehrkanal. Auf die Frage, warum man denn ihre Leiche ins Wasser geworfen habe, antwortete ein beteiligter Leutnant Vogel: "Die alte Sau hat nicht mehr verdient."

Ein Auszug der bereits erwähnten so klar-brillanten Verteidigungsrede Rosa Luxemburgs von 1914, könnte sie doch gerade heute noch in leicht abgewandelter Form vor dem deutschen Bundestag gehalten werden:

Ich hatte in meiner Rede darauf hingewiesen, dass der heutige Militarismus von seinen offiziellen Verfechtern gewöhnlich mit der Phrase von der notwendigen Vaterlandsverteidigung begründet wird. Wäre dieses Vaterlandsinteresse ehrlich und aufrichtig, dann (...) brauchten die herrschenden Klassen ja nichts anderes zu tun, als die alte Programmforderung der Sozialdemokratie, das Milizsystem, in die Tat umzusetzen (...) Weshalb also, frage ich mich, wollen die offiziellen Vaterlandsverteidiger von diesem einzig wirksamen System der Verteidigung nichts hören? Nur deshalb, weil es ihnen eben nicht in erster Linie und auch in zweiter Linie auf die Vaterlandsverteidigung ankommt, sondern auf imperialistische Eroberungskriege, zu denen die Miliz allerdings nichts taugt.