Der korrupte Kommandant und seine perverse Nymphomanin

Seite 2: Zwischen KZ und Sitcom

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Hier bin ich mit demselben Problem konfrontiert wie ein Stück weiter oben. Wie kommt man von der Kommandantin in schwarzer Reizwäsche zurück nach Buchenwald? Ich bin mir nicht sicher, ob der Verweis auf Robert Clary den Übergang glätten kann oder ihn nur noch krasser erscheinen lässt. Einige Leser kennen Clary vielleicht aus der in einem deutschen Kriegsgefangenenlager während des Zweiten Weltkriegs angesiedelten Sitcom Hogan’s Heroes (hierzulande als "Ein Käfig voller Helden" gelaufen), durch die sich in den Köpfen vieler Amerikaner das Bild vom Deutschen als einem dummen Nazi und Lagerwärter verfestigt hat. Der in Paris geborene Clary spielt einen der Gefangenen, den Corporal Louis LeBeau. Die Rolle des "Frenchie" verhalf ihm in den USA zu großer Popularität.

Hogan’s Heroes wurde 1965 gestartet und 1971, nach 168 Episoden, abgesetzt. Die Kulissen des Gefangenenlagers standen noch eine Weile lang herum und sollten dann abgerissen werden, um Platz für Eigentumswohnungen zu schaffen. Für Dave Friedman war das eine günstige Gelegenheit, sich ein paar Tage lang einzumieten und dort Sachen zu veranstalten, die sich der durchschnittliche Fernsehzuschauer nie hätte träumen lassen. Wegen des Endes mit den gesprengten Wachtürmen soll Friedman einen Preisnachlass ausgehandelt haben, weil die Besitzer des Grundstücks dadurch Abrisskosten sparten. Zur Wirkungsgeschichte von Ilsa, She Wolf of the SS gehört der Drehort mit dazu. Das junge Publikum, das Mitte der 1970er im Kino saß, war mit Hogan’s Heroes aufgewachsen und sah nun in den Kulissen, in denen man sich jahrelang über Sergeant Schultz, General Hansi Burkhalter und Frau Gertrude Linkmeyer lustig gemacht hatte, eine sadistische Kommandantin, Folterszenen und nackte Brüste (zu einer Zeit, als die Damen in TV-Werbespots für Büstenhalter den angepriesenen BH über dem Pullover trugen, weil nackte Haut in den puritanischen USA verpönt war). Ilsa ist die monströse Schwester von Kommandant Klink in der Sitcom. Der Film machte ernst mit der Drohung von Major Wolfgang Hochstetter (sein "Köpfe werden rollen!" war ein Running Gag der Serie) und nahm die heile Lagerwelt so gnaden- und geschmacklos auseinander, dass sie sich nie wieder zur familientauglichen Unterhaltung von Hogan’s Heroes zusammensetzen ließ. Als Film ist Ilsa, She Wolf of the SS miserabel. Die Motive seiner Macher waren alles andere als edel. Die Wirkung war beträchtlich.

Was das mit dem KZ Buchenwald zu tun hat? Robert Clary heißt mit bürgerlichem Namen Robert Max Widerman. Weil er Jude ist, verschleppten ihn die Nazis 1942 in ihre Zwangsarbeiter- und Vernichtungslager im Osten. Clary überlebte und war mit dabei, als die Amerikaner Buchenwald am 11. April 1945 befreiten (nachzulesen in seiner Autobiographie, From Auschwitz to Hogan’s Heroes). Er hatte sich in einem der letzten Massentransporte befunden, mit denen die SS die Lager im Osten beim Heranrücken der Roten Armee "evakuierte" und die Häftlinge nach Westen schickte, um sie weiter als Sklavenarbeiter zu missbrauchen.

Der erste Massentransport, mit dem Menschen jüdischer Abstammung auf den Ettersberg verbracht wurden, fand 1938 statt. Betroffen waren deutsche Staatsbürger. Im Anschluss an die Novemberpogrome verschleppte die Gestapo 26.000 Juden in die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen. Knapp 10.000 davon wurden in Buchenwald in auf dem nackten Erdboden errichtete, durch Stacheldraht vom Rest des Lagers getrennte Notbaracken gepfercht. Diese Baracken hatten keine Fenster und keine Heizung, außerhalb hatte man zwei offene Latrinen angelegt. Die meisten der Verhafteten wurden bis Februar 1938 wieder freigelassen, nach Angaben der Gedenkstätte starben 252 von ihnen an Hunger, Krankheit, durch den Terror der SS. Ziel der Aktion war es, die deutschen Juden in Angst und Schrecken zu versetzen, sie zur Aufgabe ihres Eigentums und zum Verlassen ihrer Heimat zu bewegen. Sie bot auch die Gelegenheit, die Verschleppten auszurauben, weil sie Geld und andere Wertsachen dabei hatten (viele dachten, dass man sie ins Ausland abschieben würde) oder von ihren Angehörigen etwas geschickt bekamen. Einer, der das Ausrauben im großen Stil betrieb, war Karl Otto Koch, der Kommandant.

Korrupter KZ-Kommandant

Bei allem, was die SS tat, war ein finanzieller Aspekt dabei. Das Ausplündern der Häftlinge war erwünscht. Koch aber steckte einen Teil der Beute in die eigene Tasche, statt sie weiterzuleiten. Er war beileibe nicht der einzige korrupte KZ-Kommandant, scheint es aber noch toller getrieben zu haben als seine Kollegen. Zu seinen Helfern zählten auch Gewerbetreibende in Weimar, die ihre anfängliche Zurückhaltung bald aufgaben und mit dem Lager auf dem Ettersberg Geschäfte machten. Koch kürzte die ohnehin viel zu knapp bemessenen Essensrationen für die Häftlinge, rechnete den vollen Betrag ab und behielt den "Gewinn" für sich. Man darf davon ausgehen, dass Oswald Pohl, sein Gönner im SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt, Prozente kriegte. Vielfältige Möglichkeiten zur Gewinnabschöpfung bot die Häftlingskantine, in der sich die Gefangenen, die noch Geld hatten, etwas kaufen konnten - zu Wucherpreisen, versteht sich. Einer von Kochs Helfern war ein in Buchenwald inhaftierter "Gewohnheitsverbrecher", ein Experte für Unterschlagungen und betrügerische Geldgeschäfte, der im eigenen Wagen durch die Gegend fuhr, Waren günstig ankaufte (auch Luxusgüter) und für teures Geld weitergab, an Häftlinge genauso wie an SS-Leute. Dadurch entstand ein Grundstock an Kapital, mit dem sich der Handel ausbauen ließ. Flint Whitlock berichtet in Buchenwald Bestien von einem florierenden Mastbetrieb für 300 bis 500 Schweine, den Koch auf dem Ettersberg unterhielt. Beliefert wurde die Kantine für die Wachmannschaften, über die auch die in der SS-Führersiedlung wohnenden Familien der Offiziere versorgt wurden. Ermittler der SS stellten später fest, dass diese Kantine ein Restaurant für gehobene Ansprüche war, das seinen Gästen - die nötige Kaufkraft vorausgesetzt - Speisen servierte, die für den Durchschnittsbürger kaum mehr zu bekommen waren. Koch verdiente immer mit.

Karl Otto Koch

In Buchenwald gab es einen Zoologischen Garten, zu dem kein Häftling, wohl aber die Bürgerschaft von Weimar Zutritt hatte (eine Public-Relations-Maßnahme). Wenn ein Tier für das Gehege gekauft wurde, bei Anschaffungen für die Lagerbibliothek, beim Erwerb von Instrumenten für das Orchester - immer übte Koch Druck auf die Häftlinge aus, die sich von ihren Angehörigen Geld schicken lassen sollten, um "spenden" zu können. Am rücksichtslosesten wurden die Juden ausgepresst. Mit der Beute finanzierte Koch seinen luxuriösen Lebensstil. Die "Villa Buchenwald" (auch als "Villa Koch" bekannt), die er mit seiner Gattin bewohnte, war für eine SS-Führersiedlung sehr feudal. Die Kochs lebten dort in Saus und Braus. Das Paar hatte einen reich gefüllten Weinkeller, hortete Vorräte für schlechte Zeiten, trank aus teuren Kristallgläsern, aß mit Silberbesteck von erlesenen Porzellantellern. Ilse, die Tippmamsell aus Dresden, genoss es, die feine Dame zu spielen. Dieser Teil der Geschichte darf als gesichert gelten. Im Familienalbum der Kochs begegnet man zwei Kleinbürgern, die ihren Wohlstand dokumentieren wollten. Solche Alben kenne ich auch aus der Wirtschaftswunderzeit. Karl und Ilse könnten Herr und Frau Otto Normalverbraucher sein, wenn da nicht die Uniformen wären (und nebenan das KZ, in dem die Uniformträger Menschen quälten und ermordeten).

Familie Koch

Aus Kochs erhaltenen Kommandanturbefehlen spricht eine gruselige Form von Hausmeistermentalität. Er wird nie müde, Häftlingen und Wärtern Verhaltensregeln zu erteilen. Koch ermahnt die Wachmannschaften unter Androhung von Strafen, Rüpeleien zu unterlassen, keine Steine auf den Rasen zu werfen, nicht mit Kleinkalibergewehren auf Vögel und Obstbäume zu schießen und endlich damit aufzuhören, zum Zeitvertreib die Hirsche im Tiergehege mit dem Geweih an den Zaun zu binden. Das Foltern der Häftlinge war erlaubt. Bei Tierquälerei hörte für Koch der Spaß auf. Der Kommandant legte großen Wert auf den Respekt vor der Natur und verlangte ein gesittetes Benehmen im schattigen Park und im Zoo, der eingerichtet worden sei, um den SS-Männern und ihren Angehörigen die Besonderheit von Tieren vor Augen zu führen, die sie in freier Wildbahn kaum je würden beobachten können. Von den Besuchern müsse man aber erwarten dürfen, diese Tiere nicht anzulocken, um ihnen Alufolie ins Maul zu stopfen.

Der unschuldige weiße Leib wird müde

Vielleicht wäre Karl Otto Koch bis 1945 der Herr über den Ettersberg geblieben, wenn Himmler sich nicht den Rang des Höheren SS- und Polizeiführers (HSSPF) ausgedacht hätte, um in der Hierarchie der SS eine direkt seinem Kommando unterstellte Funktionärsebene einzuziehen. So ein HSSPF brauchte eine Aufgabe. Eine solche fand sich, als 1939 eine Sondergerichtsbarkeit für die SS eingeführt wurde. Der jeweilige HSSPF fungierte fortan als "Oberster Gerichtsherr" und überwachte die Einhaltung des für SS-Angehörige geltenden Moralkodexes. Einer, der das sehr ernst nahm, war Josias Georg Wilhelm Adolf Erbprinz zu Waldeck und Pyrmont. Der Erbprinz, verwandt mit europäischen Königshäusern und ein mehrfach verwundeter Veteran des Ersten Weltkriegs, war einer der ersten aus einem alten Adelsgeschlecht, die sich den Nazis anschlossen. 1929 trat er in die NSDAP ein und wurde Mitglied der SS, wo er hochrangige Freunde wie Himmler und Eicke hatte und rasch Karriere machte.

Als HSSPF des Wehrkreises IX mit Standort in Kassel war der Erbprinz auch für Buchenwald zuständig. 1941 erreichten ihn Hinweise auf Kochs Unterschlagungen. Die Informanten kamen aus dem Umfeld des Kommandeursstabes. Bei einer Buchprüfung erhärtete sich der Verdacht. Koch gab einiges zu und wurde kurz vor Weihnachten wegen Verdunkelungsgefahr in Haft genommen. Seine Gönner, allen voran Oswald Pohl, intervenierten bei Himmler. Der Reichsführer-SS ordnete Kochs Freilassung an und versetzte ihn nach Polen, wo er das Lager Lublin-Majdanek aufbauen sollte. Dafür wurde ein Mann gebraucht, der so brutal und rücksichtslos war wie er. Koch triumphierte und verteilte Abschriften eines Briefes von Pohl mit folgender Versicherung: "Ich werde mich mit der ganzen Machtfülle meiner Person vor Sie stellen, wenn wieder einmal ein arbeitsloser Jurist seine gierigen Henkershände nach ihrem unschuldigen weißen Leib ausstrecken sollte."

In Buchenwald hatten die Häftlinge unter unmenschlichen, für viele tödlichen Bedingungen ihr eigenes Gefängnis bauen müssen. Im gleichzeitig mit Auschwitz entstandenen, erst für 50.000 und dann für 150.000 und schon bald für eine Viertelmillion Gefangene geplanten Lager Majdanek war alles noch schlimmer. Am 14. Juli 1942 wagte eine Gruppe von etwa zweihundert sowjetischen Kriegsgefangenen einen Massenausbruch. 41 von ihnen wurden erschossen, 86 Männern gelang die Flucht. Kochs Kredit war damit aufgebraucht. Während die SS wegen "fahrlässiger Gefangenenbefreiung" gegen ihn ermittelte wurde er beurlaubt, dann von der Waffen-SS zur allgemeinen SS strafversetzt und nach Saaz (Žatec) an der Eger abgeschoben, wo man ihn als Verbindungsoffizier zum Postschutz beschäftigte, einer paramilitärischen Einheit der Deutschen Reichspost. Dort blieb er, obwohl das Verfahren wegen der Massenflucht im Februar 1943 eingestellt wurde. In seiner Personalakte fand man später ein Schreiben Himmlers vom 12. März 1943, in dem es heißt, Koch sei "müde und faul".

Der Erbprinz zu Waldeck und Pyrmont gab sich unterdessen nicht geschlagen. Zwischen ihm und Koch bestand eine persönliche Animosität. Die wüsteste Erklärung bietet Joseph Como an, der für The Sex Life of Ilse Koch die wichtigsten Personen und Ereignisse recherchiert hat, um seiner Phantasie dann freien Lauf zu lassen. Bei ihm vergeht sich Karl Koch an der Leiche der engelsgleichen und jung verstorbenen Erika, einer Verwandten von Waldeck. Ilse assistiert. Der Erbprinz erfährt davon und sinnt auf Rache. In der Wirklichkeit war es wohl eher so, dass sich der im Schloss aufgewachsene Waldeck als Wächter der Ordensregeln einer SS sah, die sich nach außen als Elitetruppe mit strengem Moralkodex präsentierte und sich seiner Überzeugung nach im Inneren auch so verhalten sollte. Ein nach oben geschwemmter, dem Geld und dem Luxus verfallener Kleinbürger wie Koch musste Waldeck, dem Vetter der holländischen Königin Wilhelmina, ein Dorn im Auge sein.

Eine Lichtgestalt ist auch dieser Erbprinz nicht. Er gehörte demselben Unterdrückungsapparat an wie Koch. Bei seinen Besuchen in Buchenwald müsste ihm aufgefallen sein, dass die Häftlinge misshandelt wurden und man der vielen Toten wegen ein eigenes Krematorium baute. Das permanente Sterben scheint ihn erst gestört zu haben, als er bei Durchsicht der Totenlisten die Namen Krämer und Peix entdeckte. An Walter Krämer (dem Bruno Apitz in seinem Roman Nackt unter Wölfen ein literarisches Denkmal gesetzt hat) und Karl Peix erinnerte er sich, weil die beiden als Sanitäter im Krankenrevier von Buchenwald gearbeitet und seine bei einem Luftangriff erlittene Verwundung behandelt (oder, weniger heroisch: ihm einen Furunkel entfernt) hatten. Entweder ging ihm ihr Tod tatsächlich nahe, oder er sah darin einen Hebel, um seine Niederlage doch noch in einen Sieg über Koch zu verwandeln.

Peix und Krämer, zwei politische Häftlinge, waren im November 1941 "auf der Flucht erschossen" worden. In der Dienstvorschrift für die KZ-Wachmannschaften gab es die "Postenpflicht". Wachmänner hatten bei Fluchtversuchen von Häftlingen sofort und ohne Warnung scharf zu schießen. Wer einen fliehenden Gefangenen tötete, ging straffrei aus; wer einen Häftling entweichen ließ, musste selbst mit Strafverfolgung rechnen. Mit der "Postenpflicht" wurden dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Sie war die Einladung, Morde und andere unnatürliche Todesfälle durch ein "Auf der Flucht erschossen" zu tarnen. Die Anweisung zur Ermordung von Peix und Krämer hatte Koch gegeben, damals noch Kommandant von Buchenwald. Einer Version nach ließ er die beiden beseitigen, um zu vertuschen, dass sie ihn wegen einer Syphilis behandelt hatten, die er sich bei einer Dienstreise durch Norwegen (als Berater beim Aufbau von Konzentrationslagern) zugezogen haben soll. Das Morden gehörte zum System, Mord auf eigene Rechnung nicht. Und es gab Himmlers "Grundgesetz über die Heiligkeit des Eigentums" von 1935, in dem der Reichsführer-SS gedroht hatte, Unterschlagungen "anvertrauter Mittel der Allgemeinheit" mit "entbehrensten Strafmaßnahmen" zu ahnden. Das Ermorden und systematische Ausrauben von Häftlingen auf Befehl vorgesetzter Dienststellen war erlaubt. Wer wie Koch aus Eigennutz tötete und einen Teil der Beute für sich behielt, war ein Verbrecher. Was einem verrückt erscheint, hatte innerhalb des KZ-Systems durchaus seine Logik.

Konrad Morgen ermittelt

Waldeck fand einen Verbündeten in Dr. Werner Paulmann, ab 1. November 1942 stellvertretender Chefrichter beim SS- und Polizeigericht in Kassel. Angesichts einer sich ausweitenden Korruptionsaffäre bat Paulmann das Reichskriminalpolizeiamt in Berlin um Unterstützung. Damit betrat eine Figur die Bühne, die in dieser aberwitzigen Geschichte noch gefehlt hat: Ein Ermittler der SS, der einen KZ-Kommandanten wegen Mordes und falscher Buchführung zur Strecke bringt. Er hieß Konrad Morgen und scheint wie Waldeck wenig Skrupel gehabt zu haben, einem Regime wie dem der Nazis zu dienen, zog aber da die Grenze, wo gegen die selbst aufgestellten Regeln verstoßen wurde (oder er diese Regeln für unsinnig hielt). Sein persönlicher Mut hatte ihm eine wechselvolle Karriere beschert. Morgen ging als Anklagevertreter des SS- und Polizeigerichts in Krakau gegen korrupte SS-Leute vor, wäre fast im KZ gelandet, weil er Funktionären in den oberen Rängen zu nahe gekommen war und wurde "zur Bewährung" an die Ostfront geschickt. Das war im Dezember 1942. Im Mai 1943 durfte er zurückkehren und wurde an das Reichskriminalpolizeiamt in Berlin versetzt, weil die Korruption in der SS so überhand genommen hatte, dass Himmler sie nicht mehr ignorieren konnte. Morgen war nun in doppelter Funktion tätig: als SS-Richter und als Mitglied der Kriminalpolizei. Er konnte sowohl gegen Zivilpersonen wie gegen SS-Angehörige und Polizisten ermitteln.

Im Juli 1943 wurde Morgen nach Kassel beordert. Als ihn Paulmann und Waldeck ins Bild gesetzt hatten reiste er nach Weimar weiter, wo er im Hotel Elephant abstieg oder auch nicht. In solchen Buchenwald-Geschichten steigen immer alle im Elephanten ab, weil kein Autor darauf verzichten will, seine Figuren dort unterzubringen. Die Nazis ließen das 400 Jahre alte Hotel, vor dem sie ihre Aufmärsche inszeniert hatten, im Sommer 1937 abreißen. Zeitgleich mit dem Konzentrationslager auf dem Ettersberg wurde an selber Stelle eine mit Parteigeldern finanzierte Luxusherberge errichtet. Die nach Hitlers Wünschen angefertigten Entwürfe stammten vom NS-Architekten Hermann Giesler, der auch das Gauforum in Weimar plante. Zur Einweihung des neuen Hotel Elephant, der "Heimstatt des Führers", reiste fast die gesamte Parteispitze an. Im Gebäude gab es eine Wohnung für Hitler (mit Balkon zum Garten) und eine Gaststätte für das gemeine Volk. In einigen der Zimmer würden bald Soldaten nächtigen, U-Boot-Besatzungen beispielsweise, denen das Reich auf diese Weise für ihren Kampfeswillen dankte. So bewiesen die Parteibonzen ihre Volksnähe.

Mit den Protzbauten in Weimar wollten die Nazis ihre Modernität demonstrieren und steinerne Zeugnisse dafür liefern, dass die durch die Stadt repräsentierte Tradition von deutscher Kunst und Kultur die ihre war. Wenn Hermann Burte im Oktober 1940, in seiner Rede beim "Deutschen Dichtertreffen" im Nationaltheater in Weimar, Hitler in eine Reihe mit Goethe, Schiller und Hölderlin stellte, vollzog er nur nach, was den Zeitgenossen architektonisch bereits seit einigen Jahren vor Augen geführt wurde. Umso größer war später das Bedürfnis, im Kommandanten von Buchenwald einen sadistischen Wüstling und in seiner Gattin eine perverse Nymphomanin zu sehen. Das sorgte für maximale Distanz zur Kultur, die man vor ihnen schützen musste. Allerdings hatte nicht das Ehepaar Koch die Idee zur Pogromnacht im November 1938, die wenige Tage nach der als Staatsakt zelebrierten Eröffnung des Elephanten stattfand. Die Pogrome verschafften dem Kommandanten nur die Gelegenheit, erstmals im großen Stil abzusahnen (durch das Ausplündern der auf den Ettersberg verschleppten Juden) und auch etwas von dem Luxus abzukriegen, den er im Nobelhotel am Weimarer Marktplatz bewundern konnte.

Vor Morgen hatten bereits lokale Polizeibeamte ihr Glück versucht, waren aber rasch an ihre Grenzen gestoßen, weil für die "SS-Sippengemeinschaft" eigene Regeln galten. Morgen verfügte über die nötigen Vollmachten, um das Geflecht aus Mord, Einschüchterung und Korruption zu entwirren. Einfach war es trotzdem nicht, an juristisch verwertbare Beweise zu kommen, weil Morgen auf Informanten in den Lagern Buchenwald und Majdanek angewiesen war, die als potentielle Zeugen um ihr Leben fürchten mussten. Häftlingen bot er die Freilassung im Austausch für sachdienliche Hinweise an, SS-Männern Strafminderung. Der Erbprinz hatte aus der Blamage vom Dezember 1941 gelernt. Damit ihm Kochs Freunde (und Geschäftspartner) in den Führungszirkeln der SS nicht erneut eine Überschreitung seiner Kompetenzen vorwerfen konnten, fuhr er mit den von Morgen gesammelten Beweisen nach Berlin, um sich von Himmler die Wiederaufnahme des damals eingestellten Korruptionsverfahrens genehmigen zu lassen. Mit dem Einverständnis des Reichsführers wurde Karl Otto Koch am 23. August 1943 ein zweites Mal in Untersuchungshaft genommen.

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