Der neue Schlagstock
Schock-Studie zeigt Taser als wenig gesundheitsschädlich
Elektroschockwaffen, die sich bei Polizeikräften ebenso steigender Beliebtheit erfreuen wie bei Privatleuten, sind möglicherweise harmloser als vielfach befürchtet: Das Ergebnis einer US-Studie jedenfalls deutet darauf hin, untersucht wurden allerdings nur die rein körperlichen Verletzungen.
"Wir können erstmals die Wahrscheinlichkeit berechnen, durch eines dieser Geräte ernsthaft verletzt zu werden", sagte Dr. William P. Bozeman, Spezialist für Notfallmedizin an der Wake Forest University. Dr. Bozeman ist Leiter der Forschergruppe, die am Montag in Seattle eine neue Studie über die gesundheitlichen Folgen eines Treffers durch eine Elektroschockwaffe vorstellte. "Was wir an Daten haben, spricht in dem Sinne für die Sicherheit dieser Geräte, als dass 99,7 Prozent der Menschen, die tatsächlich mit deren austeilendem Ende Kontakt haben, dadurch entweder gar keine oder nur geringfügige Verletzungen erleiden."
Die Forscher verfolgten Meldungen über die Nutzung der Waffen in sechs - ungenannten, über die USA verteilten - Gerichtsbezirken. Dort wurden zwischen Juli 2005 und Juni 2007 962 Menschen getasert und daraufhin ärztlich untersucht. 743 der Schock-Opfer wiesen anschließend keinerlei Verletzungen auf. In 216 Fällen kam es zu kleineren Verletzungen, meist Abschürfungen, Prellungen und Platzwunden, die ambulant behandelt werden mussten.
Drei der Niedergestreckten mussten mit mittleren bis schweren Verletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert werden; zwei davon hatten sich Kopfverletzungen zugezogen, als sie ohnmächtig zu Boden fielen, der Dritte erlitt eine Rhabdomyolyse - ein Zustand, in dem sich Muskelfasern im Blutstrom auflösen und der beispielsweise bei Opfern eines Hitzeschlags vorkommen kann.
In zwei Fällen starben die Ruhiggestellten im Anschluss an die Elektroschocks; nach Angaben der Forscher jedoch ergaben die Obduktionen jeweils, dass der Taser nicht die Todesursache gewesen sei.
Bezahlt wurde die Studie vom National Institute of Justice, der Forschungs- und Entwicklungsabteilung des US-Justizministeriums. Wie Dr. Bozeman versicherte, soll der Auftraggeber keinerlei Einfluss auf Anlage und Auswertung der Studie gehabt haben.
"Diese Statistiken waren für mich überraschend, wenn man die Zahl der gemeldeten Fälle in Betracht zieht, einschließlich derer der verletzten Polizeibeamten", kommentierte Lauren Regan, Direktorin des Civil Liberties Defense Center, das gegen die Waffen opponiert. Denn das Forschungsergebnis steht im Widerspruch zu Berichten wie dem von Amnesty International vom Januar 2007: Denach sollen in USA bereits mehr als 220 Menschen an den Folgen eines Taser-Einsatzes gestorben sein. Derlei Behauptungen sind allerdings bisher wissenschaftlich noch nicht belegt.
Mit Hilfe von komprimiertem Stickstoff verschießt ein Elektroschockgerät zwei kleine Metallharpunen mit einer Reichweite von bis zu zehn Metern, die in der Haut oder der Kleidung des Getroffenen steckenbleiben. Durch Drähte an diesen Harpunen wird dann ein elektrischer Impuls durch den Körper des Angeschossenen gejagt. Die Stromspannung, die so ein Gerät aufbaut, kann im Einzelfall bis auf 50.000 Volt steigen; bei einem "normalen" Treffer liegt sie bei 1.200 bis 1.300 Volt. Die Stärke des Stroms ist mit etwa 2,1 Milliampere sehr gering; die abgegebene elektrische Leistung liegt demnach im Normalfall bei knapp 3 Watt. Ein Stromstoß von einer halben Sekunde Länge führt zu starkem Schmerz und sofortiger Muskellähmung; entsprechend führt die neue Studie die Folgen des Schocks als wesentlich geringeres Gesundheitsrisiko an als die Folgen des anschließenden Falls, wo die Opfer oft mehrmals nacheinander getasert werden.
"Es ist unbeschreiblich - als ob jede einzelne Nervenzelle deines Körpers in Brand gesetzt würde", so Sergant Mark England, ein US-Soldat, der im Mai dieses Jahres von den Sicherheitskräften des McCarran-Flughafens in Las Vegas geschockt wurde.
Ursprünglich waren Elektroschockwaffen mit dem Argument eingeführt worden, sie würden in einigen Fällen den Einsatz von Schusswaffen entbehrlich machen und eher selten zum Einsatz kommen. Die Praxis hat jedoch gezeigt, dass Polizisten von diesen Waffen meist in Situationen Gebrauch machen, in denen es ansonsten zu Handgreiflichkeiten mit Randalierern kommen würde – entsprechend häufig werden sie eingesetzt.
So wurde Mitte September in Florida während einer politischen Veranstaltung ein Student getasert (Elektroschockwaffen zur Disziplinierung, nachdem er allzu lange das Mikrofon für sich beansprucht hatte. An dem Fall wird auch deutlich, dass es weniger um die Vermeidung von Gewalttätigkeiten oder den Schutz der Polizisten geht. Sechs Sicherheitskräfte hatten den unbewaffneten Studenten bereits überwältigt und kampflos gemacht. Er wurde gewissermaßen zur Strafe getasert. Körperlich Schäden wird er, am Boden liegend, nicht erlitten haben, aber neben den Schmerzen führen die Elektroschocks zu Muskellähmungen, die große Angst bereiten und tief sitzende Gefühle der Erniedrigung, Ohnmacht und Demütigung verursachen können (Medizinische Aspekte der Schmerzerzeugung).
Auch Dr. Bozeman warnte, trotz der scheinbar hohen Sicherheit der Elektroschocker im Alltagsbetrieb, vor den Folgen des immer möglichen Missbrauchs: "Das sind ernsthafte Waffen. Sie haben absolut das Potenzial, Menschen zu verletzen und zu töten."
Selbiges lässt sich allerdings auch von Schlagstöcken sagen. Und wenn es wahr ist, dass der Elektroschocker den Schlagstock ersetzen wird, was Funktion und Einsatzhäufigkeit angeht, und sich die neuen Zahlen bestätigen lassen, dann könnte es sogar sein, dass in diesem Fall die Verfechter moderner Waffentechnologie recht haben und mit der neuen Waffe ein Gewinn an allgemeiner Gesundheit verbunden ist. Denn die Statistik, nach der der durchschnittliche Schlagstockeinsatz in 99,7 Prozent der Fälle mit gar keinen oder nur leichten Verletzungen verbunden ist, muss erst noch gefälscht werden. Allerdings ist der Schlagstockeinsatz dafür auch nachweisbar, die medizinisch unbedenkliche Elektroschockwaffe hinterlässt kaum Spuren und dürfte auch deswegen schneller gebraucht werden.