Tödliche "nichttödliche" Waffen
Die Zahl der Menschen, die beim Einsatz von Elektroschock-Waffen sterben, steigt, Amnesty kritisiert, dass sie gerne missbraucht werden
Man nennt sie dort, wo man sie haben möchte, gerne Elektroimpulsgeräte. Andere sprechen von Elektroschockwaffen, was der Realität schon näher kommt. Gemeint sind die angeblich nichttödlichen Distanzwaffen, die von der amerikanischen Firma Taser hergestellt werden. Bis zu einer Entfernung von 7 Metern werden mit einer Pistole zwei Pfeile mit Widerhaken an dünnen Drähten verschossen, durch die ein Stromstoß von 50.000 Volt gejagt wird, der das zentrale Nervensystem kurzzeitig lähmt und so das Opfer bewegungsunfähig macht. Neuere Modelle, die von anderen Anbietern entwickelt werden, verzichten auf die Drähte, um größere Reichweiten zu ermöglichen ("Blitzkrieg" mit elektrischen Massenbetäubungswaffen; Lähmende Kugeln) Auch Taser selbst hat mit XREP eine drahtlose Elektroschock-Distanzwaffe für eine Entfernung bis zu 30 Metern entwickelt.
Taser wirbt mit dem Slogan „saving lives every day“ für die Elektroschockwaffen vor allem damit, dass sie nichttödlich seien, durch ihren Einsatz ein Schusswaffengebrauch vermieden und damit die Zahl der Toten und Verletzten auf Seiten der Sicherheitskräfte und auf der der Zielpersonen erheblich gesenkt werde. Auf der Webseite wird die Waffe damit beworben, dass durch sie angeblich „9000+“ Leben vor Tod oder Verletzungen bewahrt worden seien. So habe man die Zahl der Verletzungen bei Sicherheitskräften um 80%, bei den „Verdächtigen“ um 67% senken können.
Mit Vehemenz kämpft das Unternehmen, das seine Elektroschockwaffen, die auch in Deutschland von der Polizei „getestet“ werden, mit dieser Argumentation weltweit verkauft, gegen die Kritik, dass sie nicht so nichttödlich wie versprochen seien. Zudem wird kritisiert, dass Elektroschick-Distanzwaffen, weil sie als weitgehend ungefährlich gelten, schneller als andere Waffen eingesetzt werden, die Gewaltanwendung also fördern und zudem auch zur Folter, zum Quälen, Disziplinieren oder Bestrafen eingesetzt werden können.
Hartnäckige Kritik übt etwa die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (Wer nicht kuscht, wird getasert). Letztes Jahr hatte die Organisation noch von insgesamt 70 Toten seit Juni 2001 in den USA gesprochen, die durch die Waffe verursacht wurden. In einem aktuellen Bericht werden jetzt schon 152 Tote gezählt. Allein im letzten Jahr seien 61 Menschen an den Folgen des Elektroschockwaffeneinsatzes in den USA gestorben, 27% mehr als 2004.
Die überwiegende Mehrzahl der Menschen, die direkt oder indirekt an den Folgen der Waffen gestorben sind, sei unbewaffnet gewesen und hätte keine ernsthafte Gefahr dargestellt. Meist hätte sich bei den Opfern um Menschen gehandelt, die verstört gewesen und/oder unter Drogen gestanden seien oder gesundheitlich, beispielsweise am Herz, beeinträchtigt waren. Die meisten hätten auch mehrmals Elektroschocks erhalten, 40 seien mehr als drei Mal, eine Person sogar 19 Mal geschockt worden. Oft seien die Menschen dabei gefesselt gewesen und auch mit Pfeffersprays „behandelt“ worden. Tödlich sind daher vermutlich weniger die Elektroschusswaffen selbst, sondern die Umstände, wie sie verwendet werden.
Bedenklich sei vor allem, meint Amnesty, dass die tragbaren, leicht zu bedienenden und meist keine Spuren hinterlassenden Elektroschockwaffen zu häufig und zu schnell eingesetzt würden. Manchmal dürften die Polizisten die Waffen auch dann einsetzen, wenn eine Person den Befehlen nicht gehorcht. Zudem würden auch Kinder, Behinderte, schwangere Frauen, alte Menschen oder Geisteskranke Opfer bei der Verwendung von Elektroschockwaffen. In einigen Fällen sei der Missbrauch gar so weit gegangen, dass man von Folter oder von „grausamer, unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung“ sprechen könne.
Amnesty fordert weitere Untersuchungen über die Folgen von Elektroschockwaffen und strikte Regeln für deren Einsatz, möglichst nur dann, wenn tatsächlich ernsthafte Gefahr besteht, so dass ansonsten Schusswaffen zur Anwendung gekommen wären. Bei unbewaffneten Menschen sollte auf den Einsatz verzichtet werden, zudem müsste das Auslösen von mehreren Schocks untersagt sein. Der Einsatz müsse genau kontrolliert und protokolliert werden. Dalia Hashad, von der US-Sektion von Amnesty International, sieht 150 Tote bei einer “weniger tödlichen” Waffe als Warnsignal. Zudem hält sie den exzessiven Einsatz in den USA auch für politisch nicht unbedenklich: „Wenn ein Diktator den Missbrauch dieser Waffen befehlen sollte, würde die US-Regierung dies schnell als Folter bezeichnen. Aber ist es weniger schmerzhaft, wenn ein Amerikaner immer wieder geschockt wird?“
In vielen deutschen Bundesländern wie Bayern, Berlin, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz oder Sachsen werden Taser-Waffen bereits getestet. Ihre Einführung ist vorgesehen, auch wenn sie beispielsweise nicht für alle Polizisten wie in Bayern, sondern nur für Spezialeinheiten wie in Niedersachsen in Frage kommen sollen. Allerdings wird in Niedersachen eingeräumt, dass Elektroschockwaffen zwar nur dann eingesetzt werden sollen, wenn dadurch „die Anwendung von Schusswaffen vermieden werden kann“, aber man natürlich weitere Einsatzmöglichkeiten offen lassen will. So antwortete Ende 2005 Sozialministerin Mechthild Ross-Luttmann in Vertretung des Innenministers auf eine Anfrage, ob die Waffen „nicht schneller und häufiger als Schusswaffen eingesetzt“ würden, mit rhetorischer Finesse:
Die Befürchtung, dass Elektroimpulsgeräte schneller und häufiger als Schusswaffen eingesetzt werden, wird von der Landesregierung nicht geteilt. … Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der "Taser-Einsatz" gerade auf die Vermeidung der Anwendung von Schusswaffen abstellt. Dies ist aber nicht gleichzusetzen damit, dass für den Einsatz des "Tasers" die Voraussetzungen für den Schusswaffengebrauch vorliegen müssen (vgl. §§ 76 ff. Nds.SOG). Der "Taser" soll gerade auch zu einem Zeitpunkt eingesetzt werden können, wenn die Voraussetzungen für den Schusswaffengebrauch eben (noch) nicht vorliegen, es sich aber abzeichnet, dass die Situation sich so entwickeln wird, dass ein Schusswaffengebrauch zur Abwendung der Gefahr bzw. zum Erreichen des Einsatzzweckes erforderlich werden würde. So muss auch zum Beispiel der Gebrauch des "Tasers" zur Vereitelung eines Suizidversuches möglich sein.