Der schwedische Renten-Wunder-Weg - entzaubert

Seite 2: Die chaotische Geschichte der schwedischen Prämienrente

Das Gesetz zur Prämienrente wurde im Jahr 1998 beschlossen und zum Jahr 2000 wirksam. Angetrieben von der Entwicklung an den internationalen Börsen - es entwickelte sich gerade die dotcom-Blase - hielt die neoliberale Ideologie in die Sozialpolitik Einzug. Für die Prämienrente sollte jeder Einzelne die Verantwortung tragen, der Staat sollte sich raushalten. Es gab keinerlei Garantien auf die Höhe der späteren Renten.

Begleitet wurde die Einführung durch gezielte Bildungsveranstaltungen und eine Informationskampagne. Ziel war es, dass die überwiegende Mehrzahl der Bevölkerung sich aktiv mit den Fondsangeboten beschäftigen und ständig das eigene Fonds-Depot optimieren sollte. Lediglich für diejenigen, die sich passiv verhielten, wurde ein staatlicher Auffang-Fonds geschaffen.

Dieses Konzept platzte grandios. Zu Anfang standen 450 Fonds zur Auswahl, im Jahr 2012 gab es einen Wust von 800 Fonds. Bis zu fünf dieser Fonds durften die Versicherten für ihr persönliches Portfolio auswählen. Die Fonds wurden aggressiv beworben, es gab Veruntreuungsfälle bei Fondsmanagern, Umstellungen der zulässigen Risikoklassen, Schließungen von kriselnden Fonds, Wechsel der verwaltenden Behörde. Für die Betroffenen ein unüberschaubares Chaos.

Bereits kurz nach dem Start der Prämienrente sank der Anteil der Personen, die den Weg der eigenen Fondswahl nutzten, rapide. In den Krisenjahren 2007/2008 gingen dann 98 Prozent der Neueinzahlenden zu dem staatlichen Auffang-Fonds. Als Konsequenz wurde 2010 der staatliche AP7-Fonds eingerichtet, der aktuell von 99 Prozent der Berufsanfänger gewählt wird.

Das hatten sich die Gesetzgeber von 1998 ganz anders vorgestellt. Obwohl es seit dem Start der Prämienrente nach sechs Untersuchungen zu einer großen Zahl größerer und kleinerer Änderungen kam, hat sich das Verhalten der Schweden nicht grundlegend geändert. Ein letzter Untersuchungsbericht von 2017/2019 sollte die nächsten grundlegenden Änderungen bringen. Die Schwerpunkte der Änderungen bedeuten ein Scheitern der ursprünglichen Absichten. Aus den Empfehlungen der Kommission4:

[Ziel solle sein,] ein Prämienrentensystem mit mehr Sicherheit für den Einzelnen und höheren Renditen zu schaffen, das der Verantwortung des Staates für die öffentliche Rente gerecht wird.

und

Bezüglich der Anlagen auf dem privaten Fondsmarkt soll das Prämienrentensystem so gestaltet sein, dass nur Sparer, die wirklich ihr eigenes Fondsportfolio zusammenstellen wollen und über hinreichend Informationen bezüglich des Finanzmarktes verfügen, das auch tun. Dies soll durch eine Entscheidungsarchitektur erreicht werden, die den Eintritt in den privaten Fondsmarkt nur in Kombination mit Bildungs- und Informationsmaterial und der Kommunikation des individuellen Risikos ermöglicht.

Nichts ist mehr mit der Eigenverantwortung des Einzelnen als gesellschaftliches Leitbild. Dagegen soll das "Fonds-hopping" einer kleinen Elite vorbehalten werden, die auch noch einen Nachweis zur Befähigung erbringt.

Eigentlich sollten die vorgeschlagenen Gesetzänderungen 2021 in Kraft treten. Sie wurden jedoch im August 2020 auf unbestimmte Zeit verschoben - es gibt zu viele divergierende Interessen und ungeklärte Probleme.5

So gesehen ist die schwedische Prämienrente im besten Fall ein Lehrbeispiel, wie Sozialpolitik eine verlässliche, verständliche und ausreichende Altersversorgung auf keinen Fall angehen sollte.

Ein Blick zurück und über zwei Grenzen hinweg zeigt, wie eine nachhaltige Altersversorgung erfolgreich gestaltet werden kann.

Schweden - Deutschland - Österreich

Zunächst der Blick von OECD-Wissenschaftlern in die Rentenzukunft. In der letzten Analyse "Pensions at a glance" aus dem Jahr 2019 errechneten sie, dass heute junge Menschen in 40 Jahren ein Nettorentenniveau6

  • in Deutschland von 51,9 Prozent,
  • in Schweden von 53,4 Prozent und
  • in Österreich von 89,9 Prozent erwarten können.

Wie erklären sich die miesen Aussichten der deutschen und schwedischen jungen Menschen. Warum können die jungen Leute in Österreich so zuversichtlich in die Zukunft sehen?

Antwort: Weil in den drei Staaten vor 20 bis 25 Jahren sehr unterschiedliche Rentenreformen beschlossen wurden. In Schweden und Deutschland wurden die Systeme von Leistungsorientierung (zugesagte Rentenhöhe) auf Beitragsorientierung (Kostenbegrenzung) umgestellt. Die Renten wurden und werden an die demografischen Entwicklungen gekoppelt und damit im Niveau kontinuierlich abgesenkt. Die entstehenden Versorgungslücken sollten durch Finanzanlagen an den Kapitalmärkten geschlossen werden.

Schweden machte als erstes Land den Schritt 1998. Unter dem Eindruck des weltweit steilen Anstiegs der Aktienkurse konnte die Regierung ohne nennenswerten Widerstand die Prämienrente im Parlament beschließen lassen. Seitdem ist die Prämienrente für alle verpflichtender Bestandteil der gesetzlichen Rente.

Deutschland folgte erst im Jahr 2001. Ende der 90er Jahre war die Aktien-Euphorie, angeheizt durch Volksaktien-Kampagnen (T-Aktien Kampagne mit Manfred Krug) noch hoch. Die taz stellte sogar eine schnell wachsende Ökonomie-Kompetenz in der Bevölkerung fest. Diese Euphorie verschwand mit dem Platzen der dotcom-Blase - die Ökonomie-Kompetenz stellte sich eher als Wett-Kompetenz heraus. Privatvorsorge durch Geldanlage in Aktienmärkte und gesetzliche Verpflichtung dazu konnten ohne Risiko auf große Widerstände nicht durchgesetzt werden. So kam es zur "Riester-Rente". Die war anders als die schwedische Prämienrente. Sie war nicht verpflichtend, musste in sichere Anleihen angelegt werden und versprach zur Auszahlungsphase mindestens den Beitragserhalt.

20 Jahre später erklären alle Parteien und die einschlägigen Wirtschaftsprofessoren die Riester-Rente für gescheitert. Bis auf "Die Linke" wird nun vertreten, man solle auf Aktien- und Investmentfonds umstellen. Woher der Meinungswandel kommt, zeigt die folgende Grafik:

Der Vergleich der aktienbasierten Prämienrente mit den für die Riester-Rente bestimmenden Umlaufrenditen öffentlicher Anleihen macht im Zeitverlauf deutlich, wieviel Spekulation bei beiden Wegen im Spiel ist. Kein Wissenschaftler hat solche Verläufe auch nur annähernd vorhergesagt oder gar berechnet.

Im Gegenteil sind die 20 Jahre geprägt von Prognosen, die sich alle dadurch auszeichneten, dass sie nicht eintrafen. Wie lange die Hausse an den Aktienmärkten anhält, kann niemand vorhersagen. Wie tief und wie lange die unvermeidliche Baisse-Phase sein wird erst recht nicht. Gleiches gilt für die Entwicklung der Anleihenmärkte, nur in umgekehrter Richtung.

In Österreich plante die Regierung 2003 ebenfalls eine Umstellung der Rentenversicherungen entsprechend dem deutsch-/schwedischen Weg. Dabei stieß sie allerdings auf heftige Gegenwehr. Gewerkschaften organisierten Streiks, Sozialverbände und die SPÖ organisierten Proteste. Schließlich gab die konservative Schüssel-Regierung nach. Am Ziel der Lebensstandardsicherung durch die gesetzliche Rente wurde festgehalten. Zusätzlich wurde unter dem Stichwort "Pensionsharmonisierung" eine einheitliche Rentenversicherung für alle Erwerbstätigen eingeführt.

Es gibt viel Gutes, Österreich tut es (bei der Rente)

Das Umlageverfahren ist unschlagbar. Die Reformen des Pensionssystems in Österreich Anfang der 2000er Jahre zeigen auch, das es optimiert und zuverlässiger gestaltet werden kann. Ein Netto-Rentenniveau, dass rund 70 Prozent über dem in Deutschland und Schweden liegt, spricht Bände. Zumal es gesetzlich garantiert ist und nicht zufälliges Ergebnis von irgendwelchen Kapriolen an Aktien- und Anleihemärkten.