Der unauslöschliche Stempel
Seite 2: Postrevolutionäre Depression
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Revolutionäre Maßnahmen können für die von ihnen Betroffenen hart sein, die Jakobiner waren nicht zimperlich, die Bolschewiki auch nicht. Wir hätten ja gar nicht bestritten, daß wir in einer Diktatur lebten, der Diktatur des Proletariats. Eine Übergangszeit, eine Inkubationszeit für den neuen Menschen, versteht ihr?
Christa Wolf
Im Augenblick der Revolution traten die sozialen und nationalen Verwerfungen des Zarenreichs zutage und die neue Ordnung der UdSSR brachte nicht nur soziale Revolution, sondern schuf völlig neue Nationalitäten.
Heute ist Verachtung der Revolution angesagt, gerade unter Revolutionären, und Pessimismus gegenüber der Möglichkeit eines Bruchs mit dem Bestehenden, "postrevolutionäre Depression", wie das Bini Adamczak, Mitglied der Berliner Interventionistischen Linken nennt.
Sie spricht von einem "paradoxen Begehren" nach Revolution, das im Augenblick des Erfolgs enttäuscht werden müsse und nur durch Nichterfüllung der Revolution zu befriedigen ist. Die umständliche gegenderte Ausdrucksweise ihres Buches ist ein gutes Bild für die selbstgewählten Ketten heutiger Revolutionäre, die gerechte Sprache ist nur rührend.
Denn auch "differentielle Feminisierung" und gerechte Sprache werden den erhofften Durchbruch nicht bringen, im Gegenteil sind die Abwicklung des Heroismus und die Feindschaft gegenüber Ästhetisierung bereits der Keim des Scheiterns.
Ein Vierteljahrhundert nach dem politischen Selbstmord der Sowjetunion sind die ungelösten Widersprüche von Globalisierung und marktförmiger Demokratie mit explosiver Gewalt wieder auf die Tagesordnung gekommen. Die tiefe wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Krise des Westens macht erkennbar, dass wir alle längst in einem neuen Ancien Regime leben.
Revolutionäre Gartenzwerge und blinde Flecken
Die DHM-Ausstellung ist dicht, spannend, im Einzelnen faszinierend - zugleich fast schon etwas zu viel und oft genug beliebig bis verwirrend. Dicht ist die Darstellung der Revolution in der deutschen Geschichte, von den Morden der Anti-Bolschewisten an Luxemburg und Liebknecht, Eisler und Landauer, bis hin zur DDR-Diktatur, die sich auf "1917" berief.
Spannend sind die Kapitel über Musik und Architektur der Revolution, faszinierend etwa Isaak I. Brodskis Wimmelbild "Die feierliche Eröffnung des II. Kongresses der Kommunistischen Internationale", und der Abschnitt über die "Inszenierung der Revolution" und den Lenin-Kult: "Lenin war Gott."
Und vieles ist einfach erst einmal schön: Ein japanischer Stich aus dem Russisch-Japanischen Krieg von 1905, Gemälde von Malewitsch, Altman und Rodtschenko, Revolutionssterne und Sowjetwappen, Filme von Eisenstein und Pudowkin, die Berichte von Egon Erwin Kisch und die fasziniert-schockierten Analysen von Hannah Arendt - "die Revolution hat erst eine unvergleichliche Hoffnung in die Welt gebracht, um die gleiche Welt in eine um so tiefere Verzweiflung zu stürzen" - und Thomas Mann:
Die Revolution hat in ihrem Lande längst unmöglich gewordene, anachronistische Zustände beendet, ein zu 90 Prozent analphabetisches Volk intellektuell gehoben, das Lebensniveau seiner Massen unendlich menschlicher gestaltet.
Thomas Mann
Zugleich kann sich die Ausstellung nicht recht entscheiden, wo sie ihre Schwerpunkte setzen möchte. Zwischen den Polen des Möglichen will sie alles und nichts zugleich: Die Revolution und ihre Geschichte sollen ebenso dargestellt werden wie ihre Wirkung und ihr Einfluss auf die Kunstgeschichte. Daher ist alles zugleich doch beschränkt und lückenhaft.
Denn warum "Russland und Europa", aber nicht China, Vietnam, Lateinamerika, Afrika? Kann man überhaupt von der Idee der "Weltrevolution" und einer internationalen Bewegung erzählen, wenn man den größten Teil dieser Welt ausblendet?
Kuratorin Kristiane Janeke erklärte zur Eröffnung, das Macherteam habe vor allem die Ambivalenz der Entwicklung zeigen wollen: "Dem Anspruch auf Befreiung und Emanzipation standen immer auch Terror, Gewalt und Repression gegenüber. Beides war untrennbar verbunden, es waren zwei Seiten derselben Medaille."
Aber was heißt denn das? Sind Terror, Gewalt und Repression ein Kind der Revolution? Gab es dergleichen im Zarenreich nicht?
Von Kadavergehorsam, Massensterben, Hungersnöten zu reden, als hätte es dies vor 1917 nicht gegeben ist Geschichtsklitterung.