Der unauslöschliche Stempel

Seite 3: Flugzeug und Fußball

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Die Seligkeit, einmal für eine große Idee und für die Menschheit gelitten zu haben, bestimmt unsere Entschlüsse auch lange noch, nachdem der Zweifel uns hellsichtig gemacht hat, wissend und hoffnungslos. Man ist durch ein Feuer gegangen und bleibt gezeichnet für den Rest seines Lebens. ... die Symptome einer unmenschlichen und technisch vollkommenen Zukunft, deren Zeichen Flugzeug und Fußball waren, nicht Sichel und Hammer.

Joseph Roth, 1926

Der Eindruck, dass - begründet oder nicht - die Revolution als Projektionsfläche von politischen Träumen und gesellschaftlichen Wünschen ausgedient habe, ist also voreilig. Vielleicht wurde sie nur ins Unbewusste verdrängt? "Als unbewusster Sehnsuchtsort kehrt die Revolution wieder", behauptet jetzt auch ein neuer Sammelband.

Ist dies also eine Ausstellung, an die man noch in zehn, in zwanzig Jahren zurückdenkt? Nein, dafür ist alles zu beliebig, zu wenig strukturiert und zu sehr vom Zeitgeist diktiert.

Die Tatsache, dass am vorgesehenen Ende der Ausstellung der Museumsshop liegt, an dem man einen Marx aus Keramik ebenso erwerben kann wie einen revolutionären Gartenzwerg und allerlei Tand für den modernen Hipster, der mit Marx und Trotzki vor allem den Bart gemeinsam hat, ist daher ebenso verräterisch, wie die oben erwähnte Möglichkeit, die Ausstellung aus beiden Richtungen her anzusehen: Am Ende schließt sich der Kreis, die Geschichte beginnt wieder von vorn - nach der Revolution ist vor der Revolution.

Nicht der Machtfrage ausweichen

Instead of asking the obvious stupid question: 'Is the idea of communism still pertinent today?', 'Can it still be used as a tool for the analysis and political practise?', one should ask: 'How does our predicament today look from the perspective of the communist idea?

Slavoj Zizek

Wenn heute der Eindruck einer allgemeinen Revolutionsvergessenheit sich breitmacht, dann sollte man nicht dem anthropologischen Fehlschluss erliegen, dass ja womöglich der Mensch an sich prinzipiell zu träge ist, um Veränderungen in die eigene Hand zu nehmen, dass aller Idealismus letztlich am Trägheitsgesetz der Materie scheitert.

Das prinzipielle Problem, mit dem wir es zu tun haben, sind keine sozialen Naturgesetze und kein Themenkatalog von Parteien. Es ist nicht Rassismus, ist nicht Sexismus, ist nicht falscher Sprachgebrauch, ist nicht die (Selbst-)Manipulation durch die Medien, noch nicht einmal der Kapitalismus, das prinzipielle Problem ist die Macht als solche.

Und wer dieser Machtfrage ausweicht, weicht der Möglichkeit zur Veränderung aus. Genau diese Einsicht macht die Oktoberrevolution unvermindert aktuell. Man sollte daher, wie Lenin es genannt hat, nochmal am Anfang anfangen.

"1917. Revolution. Russland und Europa" Bis zum 15. April 2018 im Deutschen Historischen Museum in Berlin; täglich 10 bis 18 Uhr geöffnet.

Zur Ausstellung sind zwei Publikationen erschienen: "1917. Revolution. Russland und Europa."; Katalog zur Ausstellung im Deutschen Historischen Museum; 320 Seiten, 233 Abb., 25 Euro

"1917. Revolution. Russland und die Folgen, Essayband des Deutschen Historischen Museums und Schweizerischen Nationalmuseums"; 200 Seiten, 70 Abb., 24 Euro

Bilder und Informationen unter: www.dhm.de

Literaturliste:
Bini Adamczak: "Beziehungsweise Revolution. 1917, 1968 und kommende"; Suhrkamp, Berlin 2017

Martin Aust: "Die Russische Revolution. Vom Zarenreich zum Sowjetimperium"; C. H. Beck Verlag, München 2017

Manfred Hildermeier: "Die Russische Revolution. 1905-1921"; Neue Historische Bibliothek (edition suhrkamp); Frankfurt 1989

Felix Philipp Ingold: "Der große Bruch. Russland im Epochenjahr 1913. Kultur, Gesellschaft, Politik"; Matthes & Seitz (Erweiterte Neuauflage), Berlin 2013

David King: "Roter Stern über Russland. Eine visuelle Geschichte der Sowjetunion von 1917 bis zum Tode Stalins"; Mehring Verlag, Essen 2010

Schönherr-Mann, Hans-Martin/Jain, Anil K./Beilhack, Mario R. M. (Hg.): "Vergesst nicht … die Revolution! - Der philosophische Rau(s)chsalon 2013-2015"; edition fatal, München 2017

Stephen A. Smith: "Revolution in Russland. Das Zarenreich in der Krise 1890-1928"; Philipp von Zabern Verlag, Darmstadt 2017