Der vernetzte Körper

Seite 2: Ausbruch aus der Endlichkeit

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Stelarcs Weltsicht ist optimistisch und getragen von der Faszination am Neuen. Aber wenn man mit ihm spricht oder wenn man seine Texte liest, die futuristischen Manifesten ähneln, dann erhält auch den Eindruck, daß Stelarc stellvertretend und der Zukunft vorgreifend an sich durchexerziert, was das Schicksal der Menschheit sein könnte: eine sich langsam selbst überholende biologische Gattung, die abgewirtschaftet ist. Der physiologische Körper des Menschen ist für Stelarc überaltert. Er muß ergänzt, ersetzt, erweitert und ausgehöhlt werden, um sich mit den Maschinen zu verbinden, um diese in sich zu implantieren, damit er mit ihnen Schritt halten zu kann. Es geht nicht mehr um die Veränderung der Welt, um den Ausbau des Cyberspace, sondern um die Transformation des Menschen in einen Cyborg, wenn er sich noch in die Zukunft hinüberretten will. Einen unvollkommenen Vorschein vom neuen Körper sollen seine Schaustellungen geben. Stelarc träumt beispielsweise davon, den Körper dauerhafter, weniger verletzlich und unabhängiger von einer biologischen Umwelt zu machen, ihn ein wenig oder für immer aus der Endlichkeit zu befreien.

Touchscreen-Interface für den Muskelstimulator. Foto, Stelarc

Wenn wir eine synthetische Haut herstellen könnten, die Sauerstoff direkt durch die Poren aufnehmen und Licht auf effiziente Weise in chemische Nährstoffe umwandeln könnte, dann könnten wir den Körper radikal neu gestalten und viele seiner überflüssigen, schlecht funktionierenden Organe eliminieren. Ganzkörperanzüge, wie man sie in der Virtuellen Realität gebraucht, kann man als Simulationen einer veränderten Haut betrachten - als eine synthetische Haut, die den Körper aushöhlt, um ihn zu einem besseren Wirt für die implantierten Schaltkreise zu machen, und die gleichzeitig seine Schnittstelle mit dem technologischen Bereich verbessert, den er jetzt bewohnt.

Stelarc
Stretched skin/third hand. Foto, S.Hunter

Ob der Körper von außen an eine Maschine angeschlossen wird oder ob Maschinen in ihn hineinwandern, so sollten wir uns bereits jetzt darauf vorbereiten, Bestandteile von immer komplexeren Mensch-Maschine-Systemen zu werden, und lernen, unseren Körper mit dem Maschinenrhythmus zu synchronisieren. Das ist die Botschaft des Künstler-Propheten, die er uns durch apodiktische Texte und Kommentare einhämmern, durch wilde Performances anschaulich machen will. Prothesen, Sensoren, Stimulatoren, Roboter, Brainchips oder VR-Schnittstellen bilden die Welt von Stelarc. Eine Art High-Tech-Jahrmarktsattraktion, in den Raum der Kunst gesetzt und mit viel Zukunft gewürzt.