Der weltoffene Bürger

Deutschland und die Flüchtlinge: Was tun?

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Die einen würden am liebsten für sie alle ein neues Zuhause anbieten , die anderen wünschten sich nichts weniger, als sie mit denselben verrotteten Booten, mit denen sie das Mittelmeer überquert haben, zurückzuschicken. Die Themen: Flüchtlinge und Zuwanderung spalten die Nation. Dabei geht die Frage nach der Zahl der Flüchtlinge und Zuwanderer, die das Land demografisch, sozial und kulturell verträgt, vollständig unter.

Es ist keine Frage, dass Deutschland und Europa die moralische Pflicht haben, Menschen, die einem verheerenden Krieg oder einer grausamen Diktatur entflohen sind, aufzunehmen. Länder wie der Libanon, Jordanien oder die Türkei tun das schon längst. Allein der Libanon, dessen Bevölkerungszahl gerade vier Millionen beträgt, hat in den letzten vier Jahren mehr als 1,2 Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen. Auch das kleine Land Jordanien, das nicht mehr Einwohner als Hessen hat, beherbergt schon mehr als 600.000 syrische Flüchtlinge. Trotz der überproportionalen Flüchtlingszahl hält sich die Sorge in beiden Ländern in Grenzen. Dort weiß jeder, dass am Tag nach dem Ende des syrischen Bürgerkriegs alle Flüchtlinge ausnahmslos in ihr Land abgeschoben werden.

In einem Rechtsstaat wie Deutschland wäre eine solche Maßnahme unvorstellbar - kein Mensch wird in diesem Land von einem Tag auf den anderen einfach so vor die Grenze gesetzt. Die Betroffenen haben die Möglichkeit, sich gegen derartige behördliche und gerichtliche Entscheidungen zur Wehr zu setzen. Das Widerspruchsrecht ist beispielsweise ein solches Mittel und ein untrennbarer Bestandteil der Demokratie. Und das ist gut so. Zugleich ist das deutsche Ausweisungs- und Abschiebungsrecht sehr komplex und selten durchsetzbar.

Laut Bundesinnenministerium sind etwa Zweidrittel aller Asylanträge unbegründet. Für das Jahr 2014 bedeutet das eine Zahl von 88.348 von insgesamt 128.911 entschiedenen Anträgen. Nur wenige der abgelehnten Asylbewerber haben Interesse, Deutschland wieder zu verlassen. 150.000 abgelehnte Asylbewerber halten sich momentan weiterhin im Land auf. Einem abgelehnten Asylbewerber stehen nämlich einige Möglichkeiten zur Verfügung, den Deutschlandaufenthalt legal zu verlängern. So kann er einen Asylfolgeantrag stellen oder vor eines der Verwaltungsgerichte ziehen. Im Jahr 2014 waren es 30.000 Asylfolgeanträge. Im selben Jahr wurden allein beim Trierer Verwaltungsgericht 1800 Klagen gegen die drohende Abschiebung eingereicht. Rechtlich betrachtet braucht ein abgelehnter Asylbewerber lediglich neue Gründe für sein Asylbestreben anzugeben oder er argumentiert mit einer noch abzuschließenden Ausbildung, der fehlenden Aufnahmebereitschaft im Heimatland oder den fehlenden Ausweispapieren.

Ob dieses Phänomen als "Missbrauch des Asylrechts" bezeichnet werden kann, ist fraglich. Schließlich nehmen die abgelehnten Asylbewerber lediglich die ihnen zur Verfügung stehenden Rechtsmittel in Anspruch und schöpfen sie aus. Verantwortlich ist die Politik, die die Löcher im Rechtssystem nicht schließt und dabei in Kauf nimmt, dass die Abneigung in der Bevölkerung gegen Flüchtlinge steigt und sich eventuell in Hass und Zorn umwandelt und auf alle Migranten ausweitet.

Der politische Handlungsbedarf beschränkt sich aber keineswegs nur auf das Asylrecht. Die gesamte Zuwanderung bedarf einer ganzheitlichen Betrachtung und einer klaren Regelung. Deutschland muss sich endlich als ein Einwanderungsland verstehen und entsprechend handeln. Vor allem darf die Politik die Bürger im Zusammenhang mit diesem Thema nicht für dumm, naiv oder ungebildet halten. Die Angst der Politik vor den Bürgern und ihren Befindlichkeiten ist unberechtigt. Der Bürger auf der Straße ist informiert und viel umsichtiger, als die Politik vermutet. Er sympathisiert mit den echten Asylsuchenden, die in ihren Heimatländern um ihr Leben fürchten müssen. Ihm ist sonnenklar, dass das Land sehr viele Migranten benötigt, um dem Geburtenschwund und der Alterung der Gesellschaft entgegenzuwirken (die Wirtschaft spricht von über 500.000 ausländischen Arbeitskräften, die im Jahr gebraucht werden).

Aber der Bürger ist verunsichert, weil er nicht weiß, wie viel Zuwanderung das Land demografisch, sozial und kulturell verträgt. Allein die Tatsache, dass Dreiviertel aller Flüchtlinge Männer sind, würde auf lange Sicht das soziale Gleichgewicht gefährden. Dem Bürger auf der Straße sind seine Identität, seine Werte und seine Kultur wichtig und er hat Angst, berechtigte Angst, dass sie alle durch zu viel Zuwanderung verwässert werden und verlorengehen. Er ist sich überhaupt nicht sicher, ob der jetzige Mix an "Neubürgern" das Richtige für das Land ist. Alles kommt ihm zu chaotisch, zufällig und ungeregelt vor: Wer es ins Land schafft, ob durch eine riskante Bootsfahrt, durch eine Ehe zu einer deutschen Frau oder zu einem deutschen Mann oder weil der Onkel eine Dönerbude in Deutschland besitzt und ihm dort eine Arbeit beschafft hat, darf sich zu den Glücklichen dieser Welt zählen. Eine qualitative Selektion von Migranten findet überhaupt nicht statt.

Der deutsche Bürger ist weltoffen. Er bereist gerne die Welt und weiß, dass eine nationale Abschottung nicht möglich oder wünschenswert ist. Er hat auch nichts gegen Migration, aber ihm geht es um qualitative, systematische und kontrollierte Migration auf Basis von nachvollziehbaren Zahlen und klaren Regeln. Die Umsetzung der Wünsche der Bürger setzt eine ehrliche und mutige Politik voraus. Und die gibt es derzeit nicht.