Deutliche Schwächung der kleinen Parteien

Seite 2: Reformbedarf an anderen Stellen

Die demokratischen Probleme sind ohnehin ganz andere als der viel diskutierte "aufgeblähte Bundestag": ein Blick in normale Plenardebatten zeigt statt Blähung bekanntlich knurrende Leere.

Und auch das Kostenargument ist geradezu grotesk angesichts des Personalausbaus auf Regierungsseite wie der gesamten Verwaltung bis hinunter in die Dörfer (bspw. sollen in Bayern künftig Bürgermeister schon ab 2.500 Einwohnern statt bisher ab 5.000 hauptamtlich tätig werden).

So spiegelt die Zusammensetzung der Abgeordneten nicht die Zusammensetzung der abgegebenen Wahlstimmen wider, obwohl gerade dies als demokratisches Ziel gilt.

Alle Stimmen für Parteien, die unter fünf Prozent bleiben (bisher ausgenommen eben der Grundmandatsklausel) werden auf die Parteien über fünf Prozent verteilt. Bei der letzten Bundestagswahl wären damit ohne Grundmandat 15 Prozent der gültigen Stimmen unberücksichtigt geblieben, tatsächlich waren es aber immerhin 9 Prozent.

Ersatzstimme abgelehnt

Eine effektive Möglichkeit, seine Stimme vor einer solchen Vereinnahmung durch größere Parteien zu bewahren, gibt es nicht (siehe ausführlich: "Aus sehr gutem Grund: Nichtwähler").

Einer der Vorschläge zur Verbesserung zielt auf eine "Ersatzstimme": Über sie soll man seine zweitliebste Entscheidung bekunden, die zum Tragen kommt, wenn die Erststimme wegen einer Hürde nicht zum Zuge kommen kann. Die Ampel-Koalition hatte diese Idee diskutiert, aber letztlich nicht aufgegriffen.

Bei einer solchen Ersatzstimme für Parteien wird vor allem eine weitere "Zersplitterung" des Bundestags befürchtet. Nachvollziehbarerweise haben die etablierten Parteien wenig Interesse daran, dass weitere kleine Wettbewerber einziehen.

Deren Chance dürfte sich mit Ersatzstimmen deutlich erhöhen, weil mehr Wähler sich für eine (z.B. eng thematisch ausgerichtete) kleine Partei entscheiden könnten, ohne die Bedeutungslosigkeit ihrer Stimme zu fürchten, wenn sie als Zweitoption eine Partei angeben, die mit großer Wahrscheinlichkeit ins Parlament kommen wird.

Und auch die anstehende Wahlrechtsänderung selbst zeigt ein Demokratieproblem: Denn es genügt dafür eine einfache Mehrheit, was bedeutet, die Regierungskoalition bekommt ihr Gesetz bei den üblichen geschlossenen Fraktionsvoten durch den Bundestag, ohne jemanden aus der Opposition davon überzeugen zu müssen.

Gerade solche Entscheidungen in eigener Sache sollten wegen Befangenheit (bzw. möglicher Vorteilsnahme) nicht von den Betroffenen selbst getroffen werden.

Bürgerparlament für Wahlrechtsfragen

Hier wäre eine gute Möglichkeit, ausgeloste Bürger mal nicht nur beratend, sondern entscheidend arbeiten zu lassen, wie es etwa seit vielen Jahren der Experte für demokratische Losverfahren Prof. Hubertus Buchstein vorschlägt, zuletzt im hr-Podcast "Studio komplex" (in dem allerdings sonst vieles zur aleatorischen Demokratie durcheinander geraten ist, insbesondere die Unterscheidung von Ämter- und Gremien-Auslosungen).

Das Stichwort hierfür ist eine weitere Kammer neben Bundestag und Bundesrat, die sich aus ausgelosten Bürgern zusammensetzen würde und für Fragen wie Wahlrecht und Politiker-Gehälter (Diäten) zuständig wäre.

Auch die Berichterstattung über die geplante Wahlrechtsreform konzentriert sich in den General-Interest-Medien wie üblich auf die Bundestagsparteien. Wer es bisher nicht über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft hat, taucht in der Politikberichterstattung nicht auf – was sicherlich nicht ohne Auswirkungen auf die nächste Wahl bleibt.