"Deutsche Abhängigkeit von den USA hat sich offenbar vergrößert"
Seite 3: "Soros wollte, dass sich Europa emanzipiert"
Nun waren Sie beide aber wohl doch auf einer Wellenlänge, oder nicht?
Ulrike Guérot: Ja, unsere Interessen waren teilweise kongruent. Soros wollte Europa als einflussreichen, globalen außenpolitischen Akteur ganz im Sinne von "Rule of Law" und "Softpower" befördern, daran ist nichts auszusetzen. In diese Zeit fiel die Schaffung eines Europäischen Auswärtigen Dienstes.
Er wollte auch, dass sich Europa emanzipiert gegenüber Amerika, zumal er den amerikanischen Einmarsch im Irak und die amerikanische Politik des Democracy-Promoting nicht gut gefunden hat. Auch dagegen ist nichts zu sagen.
Und er wollte als Ungar Mittel- und Osteuropa nach dem Fall der Mauer aufbauen helfen, er hat dort viele Universitäten gefördert und auch das ist prinzipiell gut und ohne Agenda. Und er war damit ja nicht allein.
Inwiefern?
Ulrike Guérot: Es war die Zeit von Mark Lennards Buch "Why Europe will Run the 21st Century?". Viele haben um die Jahrtausendwende an Europa geglaubt und Hoffnungen in Europa als Element einer besseren Weltordnung gesetzt. Und zum German Marshall Fund ist zu sagen: Auch er hat sich verändert. Heute ist nicht damals.
Ich konnte damals in der Organisation eine engagierte Debatte über das Euro-Atlantische Verhältnis animieren und die eigenen Interessen Europas in vielen Konferenzen und Publikationen vertreten.
Vielleicht habe ich übersehen, dass ich als nützliches europäisches Feigenblatt instrumentalisiert wurde, aber wer betrachtet sich eigentlich die ganze Zeit selbst auf einer Metaebene oder aus der Vogelperspektive?
Dass man Sie gewissermaßen so hofierte, hat Sie nicht nachdenklich gestimmt?
Ulrike Guérot: Dann müsste sich jeder Arbeitnehmer täglich fragen, welchen Interessen er dient ... Was bei dieser Sicht der Dinge auch nicht berücksichtigt wird, sind die internen Diskussionen innerhalb der Institution.
Egal, ob EU-Osterweiterung oder Orange Revolution oder NATO vs. Europäische Verteidigung: Ich persönlich habe immer die europäischen Standpunkte verteidigt und mich hier sicher nicht für irgendeine Agenda instrumentalisieren lassen.
Und ich hatte immer Spielräume und sogar finanzielle Mittel, das zu tun, was ich wollte. Auch hier sind die Dinge nicht so eindimensional, wie es von außen aussieht. Niemand bekommt in einem Thinktank konkrete Denk- oder Handlungsanweisungen. In einem Video mit Ulrike Stockmann äußere ich mich dazu ausführlich, vielleicht kann man das einfach hier verlinken, damit nicht immer weiter die gleichen Dinge kolportiert werden.
Herr Soros ist ja sehr weltgewandt. Schon sein Vater war Esperanto-Schriftsteller, liest man auf Wikipedia. Im "Zauberberg" beschreibt Thomas Mann das "Kunstidiom" als eine von ungarischen Freimaurern erdachte Strategie zur Erreichung eines "Weltenbundes". Einmal ganz plump gefragt: Was spricht eigentlich aus Ihrer Sicht gegen eine Weltregierung – ganz nach dem Motto: "Es gibt mehr, was uns verbindet, als uns trennt"?
Ulrike Guérot: Nun, schon Immanuel Kant spricht im Ewigen Frieden 1792 von einer notwendigen Weltregierung. Die Menschheitsfamilie wird sich den Planeten Erde schon irgendwie teilen und ihr Zusammenleben möglichst demokratisch verhandeln müssen. Hannah Arendt nannte es die Suche nach einem globalen Zustand, in dem "alle ohne Not und alle ohne Herrschaft "sind. Wie der aussehen soll und vor allem geschaffen werden soll, darüber müssen wir im 21. Jahrhundert weiter nachdenken.
Aber wie stehen Sie persönlich denn dazu?
Ulrike Guérot: Meine Utopie einer Europäischen Republik wäre nur der intelligente Zwischenschritt für eine Weltrepublik. Witzigerweise sprechen ja auch Luke Skywalker und R2D2 in Star Wars schon von der "Global Republic".
Republik meint dabei einen Zustand, in dem alle Menschen frei sind und gleich an Würde und Rechten. Das ist der universelle Auftrag, wie er sich unter anderem aus der Französischen Revolution ergibt. Das ist das politische Ziel der Menschheit, das wir weiterhin sukzessive verwirklichen sollten.
Insofern gilt es tatsächlich darüber nachzudenken, wie eine künftige Weltregierung, die sich nicht mehr auf Nationalstaaten als Repräsentationseinheit stützt, sondern die alle Erdenbürger gleichermaßen angemessen und demokratisch vertritt, aussehen könnte.
Das ist eine ganz andere Debatte als diejenige, die etwa die EU – teilweise zurecht – nur als Steigbügel für eine "globalistische Agenda" versteht.
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