Deutsche Industrie am Abgrund: Billigkonkurrenz und strukturelle Probleme belasten

Reihe von weißen Roboterarmen in der Automated Production Line

(Bild: IM Imagery / Shutterstock.com)

Die deutsche Industrie schwächelt: Produktion rückläufig, Aufträge sinken. Strukturelle Probleme und internationale Konkurrenz setzen zu. Droht der Abstieg?

Die Zeiten, in denen Deutschland eine industrielle Supermacht war, klingen aus. Die Industrie kämpft noch immer mit der Flaute, die durch die Corona-Pandemie und die Energiekrise ausgelöst wurde.

Deutschlands Industrie: Ende einer Ära?

Wie Martin Ademmer von Bloomberg Economics (BE) erklärt, hat die deutsche Industrie wahrscheinlich einen dauerhaften Schlag erlitten. Laut einer aktuellen BE-Studie ist die Hälfte des geschätzten Rückgangs der Industrietätigkeit, um sieben Prozent, auf strukturelle Faktoren zurückzuführen.

Diese Entwicklung spiegelt sich auch in den offiziellen Zahlen wider. So meldete das Statistische Bundesamt jüngst, dass etwa die Produktion des Produzierenden Gewerbes im Mai im Vergleich zum April um 2,5 Prozent gesunken ist. In der längerfristigen Betrachtung zeigt sich nach dem drastischen Einbruch während der Corona-Pandemie eine leichte Erholung. Das Niveau vor der Pandemie ist aber bisher nicht wieder erreicht, die Kurve geht sogar erneut nach unten.

Anfang Juli meldete auch das Bundeswirtschaftsministerium einen Rückgang der Industrieaufträge, und auch die Konjunkturaussichten fielen eher pessimistisch aus. Eine Stabilisierung der Auftragslage sei erst zu erwarten, wenn sich der Welthandel erhole und die Nachfrage nach Industrieprodukten wieder anziehe.

Zu den strukturellen Herausforderungen kommt die Notwendigkeit, den Industriesektor bis 2045 zu dekarbonisieren – eine große Aufgabe für eine Wirtschaft, die bislang auf kohlenstoffintensive Branchen wie Stahl, Chemie und Automobilbau setzt. Der von der Regierung favorisierte grüne Wasserstoff als Alternative ist teuer und nicht in ausreichenden Mengen verfügbar.

Dekarbonisierung: Chance oder Risiko für die deutsche Industrie?

Doch einige Unternehmen sind längst dabei, den grünen Wandel zu vollziehen – und stehen vor neuen Herausforderungen, wovon sich Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) Anfang Juli selbst ein Bild machen konnte. Er besuchte die Glashütte Ardagh Glas im niedersächsischen Obernkirchen.

Das Unternehmen war dem Ruf nach Dekarbonisierung gefolgt und hatte im November eine neue Schmelzwanne in Betrieb genommen. Im Gegensatz zu früher wird die Anlage nun überwiegend mit Strom und nicht mehr mit Erdgas betrieben. Die Kohlendioxid-Emissionen sind dadurch nach eigenen Angaben deutlich gesunken. Allerdings ist der Betrieb mit Strom teurer als mit Erdgas.

Habecks Versprechen: Sinkende Strompreise für die Industrie

Der Geschäftsführer des Unternehmens appellierte laut der Deutschen Presse-Agentur (dpa) an Habeck, die Strompreise müssten sinken. Sonst komme immer mehr Billigglas aus dem Ausland nach Deutschland, das nicht klimafreundlich produziert worden sei.

Habeck ließ sich nicht lumpen – und versprach sinkende Strompreise. Nachdem sie zu Beginn des Krieges in der Ukraine stark gestiegen waren, sind sie inzwischen stark gesunken. Und sie sollen weiter sinken, zum Beispiel durch den Ausbau erneuerbarer Energien. Wann das sein wird, ist noch unklar, zumal mit der Bundeswehr in einigen Regionen Deutschlands ein staatlicher Akteur den Ausbau behindert.

Preiskampf auf dem Weltmarkt: Deutsche Unternehmen unter Druck

Doch nicht nur auf dem heimischen Markt haben deutsche Unternehmen mit Billigkonkurrenz zu kämpfen, auch die Weltmärkte werden ihnen streitig gemacht. In fast allen Produktionsbereichen werden die deutschen Preise von der Konkurrenz aus China unterboten, heißt es bei Bloomberg.

Besonders deutlich wird dies in der Automobilbranche: Während der Durchschnittspreis für chinesische Elektroautos auf 32.000 Euro gesunken ist, stieg er für deutsche E-Autos in den vergangenen Jahren auf 52.700 Euro.

EU-Schutzzölle: Zwiespältige Lösung für Deutschlands Exportwirtschaft

Die Antwort aus Brüssel auf diese Entwicklung lautete: Schutzzölle. Die Bundesregierung kritisierte dies, konnte sich aber bislang nicht durchsetzen. "Ein Wettlauf um Zölle, um Wirtschaftsräume zu schützen und abzuschotten, ist falsch", sagte Habeck laut Reuters bei der Eröffnung eines Batterie-Entwicklungszentrums in der Mercedes-Benz-Zentrale, das eine wettbewerbsfähige grüne Industrie in Europa zum Ziel hat.

Habeck betonte, dass die Zölle für eine Exportnation wie Deutschland von Nachteil sein könnten. Deutsche Autokonzerne liefern einen Großteil ihrer Produkte nach China, ebenso wie viele andere Unternehmen. Sie könnten durch die EU-Politik Opfer chinesischer Gegenreaktionen werden.

Aber nicht nur das: Die Energiewende in Deutschland hängt zu einem großen Teil von Produkten aus China ab. Werden diese nun mit Schutzzöllen belegt, werden am Ende viele Produkte in Deutschland für Industrie und Verbraucher teurer.

Trotz der Herausforderungen sieht die Bundesbank auch Lichtblicke. Sie schätzt, dass das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal "leicht" gestiegen ist. Für die zweite Jahreshälfte wird aufgrund steigender Löhne und einer nachlassenden Inflation mit einem stärkeren Wachstum gerechnet.