Deutsche Israelpolitik als verfehlte Vergangenheitsbewältigung
- Deutsche Israelpolitik als verfehlte Vergangenheitsbewältigung
- Helmut Schmidt, Israel und die "innere Neutralität"
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Weshalb es den Bundesregierungen nicht gelingt, im Nahost-Konflikt konsequent auf Menschen- und Völkerrecht zu beharren. Eine historische Spurensuche (Teil 1)
Die deutsche Nahost-Politik wird von einem Mantra geprägt, welches sich angesichts der seit Jahrzehnten von Israel praktizierten Politik des Landraubs, der Annexion und Zerstörung palästinensischen Lebens wie ein Hohn auf die eigenen unablässig propagierten Werte liest:
Deutschland und Israel sind und bleiben auf besondere Weise durch die Erinnerung und das Gedenken an die Shoah verbunden. Hierin liegt auch die bleibende Verantwortung Deutschlands.... Die einzigartigen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel sind und bleiben einer der entscheidenden Grundpfeiler der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Der besondere Wert der heutigen deutsch-israelischen Beziehungen liegt darin, dass Deutschland mit Israel den einzigen Sicherheitspartner im Nahen Osten hat, der europäische Werte lebt. Israels Existenzrecht und Sicherheit sind für uns nicht verhandelbar.
Der Deutsche Bundestag bekräftigt das Bekenntnis von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel bei ihrer Rede vor der Knesset im März 2008: Das Eintreten für die sichere Existenz Israels ist Teil der "deutschen Staatsräson" und "niemals verhandelbar". Dies verleiht den Beziehungen zwischen den beiden Staaten einen einmaligen Charakter.
Diese Erklärung, die im April 2018 von einer Großen Koalition (ohne die Linken) im Bundestag anlässlich des siebzigsten Jahrestages der Gründung des Staates Israels abgegeben wurde, formuliert den basso continuo der deutschen Israel-Politik, wie sie seit den Zeiten Adenauers in wechselnden Worten bis heute Bestand hat.
Hinzu kommt bei festlichen Anlässen regelmäßig die (wörtlich) "Vision von zwei Staaten in sicheren Grenzen und in Frieden - einem jüdischen und demokratischen Staat Israel und einem unabhängigen, demokratischen und lebensfähigen palästinensischen Staat".
Doch wird sogleich hinzugefügt, dass dies die notwendige Voraussetzung für die nachhaltige Sicherheit Israels sei. Es ist immer der israelische Blick, den man sich zu eigen gemacht hat und mit dem man auf diesen Konflikt schaut.
Dass man von diesem Ziel heute weiter entfernt ist als vor 70 Jahren, dass der eingeschlagene Weg offensichtlich der falsche war und sich an den Grenzen Israels unter seiner Hoheit eine menschliche Tragödie entwickelt hat, passt natürlich nicht in einen Geburtstagsgruß oder einen Gedenktag. Sie hat allerdings in den Jahrzehnten deutscher Israel-Politik nie einen besonders dringlichen Handlungsdruck erzeugt, es sei denn den für humanitäre Hilfeleistungen, um die Situation für die palästinensische Bevölkerung erträglicher zu machen.
Die Monstrosität von Auschwitz, dieser Zivilisationsbruch des Völkermords hat offensichtlich beiden Gesellschaften in Israel und Deutschland die Begriffe und die Fähigkeit genommen, darüber zu reden. Man griff zu den nichtssagenden Formeln der "besonderen Verantwortung", der "einzigartigen Beziehungen" der "Unverhandelbarkeit" und "Staatsräson" und als Ersatz zum handfesten Ablasshandel einer Entschädigung, um über die Sprachblockade hinwegzukommen. Man ließ die Geschichte ruhen, um nicht die Lehren für die sich auftürmenden Probleme mit dem neuen Staat ziehen zu müssen.
Was man seinerzeit aber offensichtlich nicht bedachte, nicht voraussehen konnte, dass sich dieses Schweigen zu einem Tabu in den Beziehungen zwischen Juden und Deutschen ausweitete. Dieses Tabu wuchs sich zu einer Unfähigkeit der Auseinandersetzung zwischen den beiden Regierungen aber auch weiten Teilen der Gesellschaften derart aus, dass sich bis heute kein vernünftiges, rationales und normales Verhältnis entwickeln konnte.
Diese Blockade zwischen den Opfern und den Tätern sowie ihren Nachkommen ließ offensichtlich nur ein Bekenntnis, eine Selbstverständlichkeit zu: "Nie wieder Auschwitz, nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg" oder wie Adorno den moralischen Imperativ für die Menschen nach Auschwitz formulierte, ihr "Denken und Handeln so einzurichten, dass Auschwitz sich nicht wiederhole, nichts Ähnliches geschehe". Palästina wurde und wird bei diesen Überlegungen aber anhaltend ignoriert.
Und so wurde Adornos Satz: "Nur im ungeschminkt materialistischen Motiv überlebt Moral", zur Devise der deutsch-jüdischen Aufarbeitung von Schuld, Sühne, Barbarei und Abscheu, zur materiellen und finanziellen Entschädigung. Adenauer erfüllte sie nach zähen Verhandlungen im eigenen Kabinett mit dem Luxemburger Abkommen vom 10. September 1952, in dem er der Jewish Claims Conference drei Milliarden D-Mark zusprach.
Das Abkommen mit Israel habe "auf einer zwingenden moralischen Verpflichtung" beruht, schrieb er in seinen Memoiren, "es gibt Höheres als gute Geschäfte." Nach einer Umfrage des Allenbach-Instituts fanden 44 Prozent der Bundesbürger Wiedergutmachungszahlungen an Israel für überflüssig.
Doch es war noch etwas anderes, welches Adenauer zur Verhandlung zwang und welches bis heute die deutsche Israel-Politik bestimmt. Kabinettsprotokolle, die erst 1982 freigegeben wurden, deuten an, dass Adenauer wohl nur auf Druck der USA zu den Wiedergutmachungsverhandlungen bereit gewesen war. Er selbst hatte in einer Kabinetttsitzung im Juni 1952 auf das Verhältnis zu den USA verwiesen: Der "ergebnislose Abbruch von Verhandlungen würde die schwersten politischen und wirtschaftspolitischen Gefahren für die Bundesrepublik heraufbeschwören". In einem Interview mit Günter Gaus fügte er 1966 hinzu:
Die Macht der Juden auch heute noch, insbesondere in Amerika, soll man nicht unterschätzen. Und daher habe ich sehr überlegt und sehr bewusst - und das war von jeher meine Meinung - meine ganze Kraft daran gesetzt, eine Versöhnung herbeizuführen zwischen dem jüdischen Volk und dem deutschen Volk.
Es herrschte Kalter Krieg und in der Neuordnung der Welt ging es für Adenauer um die Position Deutschlands, die es einnehmen würde. Westdeutschland als Bastion des Westens und Israel als Vorposten gegen die arabische Welt. Das erforderte ein ungestörtes Verhältnis zu dem neuen Staat. Die Finanzierung des zionistischen Staatsprojektes war der Preis für die Unbedenklichkeitslizenz zur Wiederaufnahme in die Weltgesellschaft. Palästina und seine Einwohner spielten darin keine Rolle.
Das hatte nichts mit Moral zu tun, sondern mit der Materialisierung von Schuld, Schande, Scham und Sühne durch das Handelsprinzip, welches eben alles zur Tauschware macht. Was aber in diesen frühen Zeiten als Basis der Beziehungen der Bundesrepublik zu Israel gelegt worden war, wurde dann - angepasst an die jeweiligen zeitlichen Bedingungen - auch Grundmuster für die Beziehungen in den folgenden Jahrzehnten und hat sich bis heute erhalten.
Zu diesem Handel gehörten auch die Waffenlieferungen, die bis 1964 geheim gehalten wurden. Strauß ließ damals, um die Spuren zu verwischen, die Waffen aus Bundeswehrbeständen als gestohlen melden. Die Israeli revanchierten sich mit Informationen über sowjetische Waffentechnik, die sie aus Kriegsgerät bezogen, das sie von den Arabern erbeutet hatten. Sie entsprachen auch der Bitte Adenauers, in dem im April 1961 eröffneten Prozess gegen Adolf Eichmann die Rolle weiterer deutscher Spitzenbeamter nicht zu erwähnen, die wie Kanzleramtschef Hans Globke schwer durch ihre NS-Vergangenheit belastet waren.
Regierung Brandt setzte auf gutes Verhältnis zu Israel
Für die nachfolgende sozial-liberale Regierung unter Willy Brandt ab 1969 war ein gutes Verhältnis zu Israel gleichfalls Grundlage auch ihrer Politik. Brandt hatte immer wieder die bleibende historische Verantwortung Deutschlands für den Völkermord der Nazis an den europäischen Juden betont. Das war für den Journalisten Brandt, der in den Dreißigerjahren die Norweger über die Entwicklung in Nazi-Deutschland unterrichtet hatte, selbstverständlich. Im Bundestag hatte er 1953 mit der ganzen SPD-Fraktion für das von Adenauer unterzeichnete Luxemburger Abkommen über "Wiedergutmachungsleistungen" an Israel gestimmt.
Allerdings kam mit seiner "neuen Ostpolitik" und der Wiederaufnahme der Beziehungen zu den arabischen Staaten Anfang der 1970er-Jahre ein neues Element hinzu, welches bei der israelischen Regierung auf erhebliches Misstrauen stieß. Premierministerin Golda Meir empfand das als eine Herabstufung der deutsch-israelischen Beziehungen.
Als die palästinensischen Attentäter von München 1972, denen elf israelische Sportler zum Opfer gefallen waren, schon bald entlassen wurden, kühlte das Verhältnis zwischen den beiden Regierungen merklich ab. Zudem lagen die Vorstellungen über die Voraussetzungen für einen Frieden im Nahen Osten doch weit auseinander, wie sich 1973 bei Brandts erstem Staatsbesuch herausstellte.
All diese belastenden Faktoren mögen dazu beigetragen haben, die neutrale Haltung der Bundesrepublik im Jom-Kippur-Krieg aufzugeben, und heimlich militärisches Gerät der Bundeswehr an Israel zu liefern, um die Beziehungen wieder zu stabilisieren. Auch duldete die Bundesregierung geheime Nachschublieferungen der USA über das Territorium der Bundesrepublik.
Als die Presse jedoch über die Verladung der Waffen in Bremerhaven auf Frachter unter israelischer Flagge berichtete, verlangte Brandt unter Hinweis auf die deutsche Neutralität den sofortigen Stopp dieser Aktivitäten. Und sofort geriet er wieder unter heftige Kritik aus Israel und den USA.
Das Jahr 1973 markiert einen Wendepunkt in der internationalen Wahrnehmung des Nah-Ost-Konfliktes. Der militärische Sieg Israels hat sich nicht in einer Stärkung seiner politischen Position ausgezahlt. Die Stimmen in der internationalen Politik werden vernehmbarer, die auch für die Anerkennung der legitimen Rechte des palästinensischen Volkes eintreten, und Brandt schließt sich ihnen an. 1979 trifft er zum ersten Mal, nun als Präsident der Sozialistischen Internationale, Yassir Arafat, und erntet wieder heftige Kritik, diesmal von Shimon Perez und Itzak Rabin von der israelischen Arbeitspartei.
Diese Kritik dauert nun erstaunlicherweise bis in unsere Tage. Wieder angefacht wurde sie 2013 nicht von Jerusalem, sondern von München aus durch eine Stimme, die man allerdings durchaus als Außenposten der israelischen Regierung bezeichnen kann. In einem langen Artikel in der Zeitung Die Welt vom 9. Juni 2013 wirft Michael Wolffsohn, ehemaliger Professor an der Bundeswehruniversität in München, Willy Brandt vor, er hätte damals den verlustreichen Krieg vom Oktober 1973 verhindern können.
Ohne diesen Waffengang, in dem Ägypten und Syrien ... beinahe Israels Existenz ausgelöscht hätten, wäre die erste globale Ölkrise der Jahre 1973/74, wenn überhaupt, später ausgebrochen.
Und eine Woche später in derselben Zeitung:
Mehr noch: Nach 1973 schüttete er, gemeinsam mit österreichischem und antizionistischem Bundeskanzler Bruno Kreisky Öl ins antiisraelische Feuer und hofierte PLO-Führer Jassir Arafat, dessen Organisation das Münchner Olympiamassaker von 1972 zu verantworten hat.
DIE WELT v. 16. Juni 2013
2018 legt Wolffsohn nach in seinem Buch "Friedenskanzler? Willy Brandt zwischen Krieg und Terror". Er wirft ihm generell vor, Israel als Störfaktor wahrgenommen zu haben und grundsätzlich kein großes Interesse an engen Kontakten zu Israel gehabt zu haben. Er habe die Friedensinitiative Golda Meirs vor dem Krieg ins Leere laufen lassen.
Ihre Bitte, dem ägyptischen Präsidenten Anwar as Sadat persönlich zu übermitteln, dass sie Frieden wolle und bereit sei, territoriale Zugeständnisse zu machen, habe er an das Auswärtige Amt delegiert, dessen Emissär scheitern musste.
Golda Meir habe auf den Falschen gesetzt, Brandt sei prinzipiell nicht bereit gewesen zu vermitteln. Dies hätten neu erschlossene Dokumente aus Deutschland und Israel ergeben. Wolffsohn macht für dieses Desinteresse Brandts den Zustrom aus der außerparlamentarischen Opposition von 1968 in die SPD verantwortlich, die zionismusfeindlich gewesen sei und dem Staat Israel kritisch und skeptisch gegenüber gestanden habe.
Es hat natürlich sofort aus der Willy Brandt Stiftung Kritik an den Thesen Wolffsohns gegeben. Aber wie immer die historische Wahrheit nun aussieht, wichtig für die deutsche Außenpolitik war die Erkenntnis, dass die ganze Welt der NATO 1967 noch vollkommen ohne Vorbehalte im Krieg hinter Israel stand, nach dem Oktober-Krieg 1973 aber schon nicht mehr. Im November 1973 verabschiedete die EG eine Nah-Osterklärung, in der die neun Staaten die Forderung vertraten, dass "bei der Schaffung eines gerechten und dauerhaften Friedens die legitimen Rechte der Palästinenser berücksichtigt werden müssen".
Eine Selbstverständlichkeit, die jedoch Golda Meir auf der Londoner Konferenz der Sozialistischen Internationale als "sehr negativ" kritisierte, "da nach arabischer Lesart der Begriff Palästina die Auslöschung des Staates Israel bedeute". Brandt antwortete ihr damals ganz defensiv, warnte sie aber vor einem "Isolierungskomplex". Die Erklärung ließe doch offen, dass Israel militärisch besetzte Gebiete in zivil administrierte Gebiete verwandle, man müsse aber dafür sorgen, dass die Palästinenser wieder eine Heimat fänden.
Die Alternative, vor der sich die deutsche Außenpolitik gestellt sah, war von nun an klar. Entweder versuchte man, die von der UNO und dem Völkerrecht verbürgten Rechte der Palästinenser in den Dialog mit Israel einzubringen um den Preis harscher Kritik und "Liebesentzug", oder man unterwarf sich dem israelischen Diktat "um des lieben Friedens willen", und reduzierte die Rechte der Palästinenser und Palästinenserinnen auf die Linderung ihrer katastrophalen Situation durch humanitäre Hilfe. Man entschied sich für Letztere , wie der Fortgang der Geschichte zeigt.
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