Deutschländer Würstchen

Seite 3: Volk und Rasse

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Den politischen Erwägungen der AfD zu "Volk und Rasse" kommen allerdings das Staatsangehörigkeitsgesetz und das Grundgesetz in die Quere, die zum einen neben dem Abstammungsprinzip eben auch das Geburtsortprinzip als Norm definieren und zum anderen Konzepte wie die Menschenwürde nun einmal nicht exklusiv an Deutsche verteilen.

Allerdings offenbart gerade letzteres, dass manche AfD-Abgeordnete wahlweise das Grundgesetz nie gelesen haben oder - schlimmer noch - vor Lügen und Irreführungen nicht zurückschrecken. So schreibt Frank-Christian Hansel, MdA Berlin: "Ja, die Würde des Menschen ist unantastbar! Aber: Artikel 1 GG bedeutet nicht: 'Alle Menschen sind Deutsche'.". Auch mit viel gutem Willen lässt sich diesem Satz kein Sinn entnehmen, außer vielleicht, dass Artikel 1GG (Menschenwürde!) nicht für alle Menschen gilt, da nicht alle Menschen Deutsche seien (?!).

Hansjörg Müller, MdB, veröffentlicht auf Twitter den Satz: "Staatsvolk im Sinne des Grundgesetzes sind Deutsche mit deutscher Staatsangehörigkeit - Grundgesetz Artikel 20." Das ist schlichtweg falsch bzw. mutmaßlich gelogen. Das gesamte Grundgesetz kennt den Begriff "Staatsvolk" nicht, und ausgerechnet Artikel 20 definiert in Absatz 1: "Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer (!) und sozialer (!!) Bundesstaat" und in Absatz 3: "Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden."

Weder an die verfassungsgemäße Ordnung, noch an Recht und Gesetz sind die Vorschläge der AfD zur Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft auch nur angelehnt. Artikel 16 sagt eindeutig: "Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden. Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird." Womit sich diese gesamte Diskussion eigentlich erübrigt haben sollte.

Gestern erbkrank, heute behindert

Dass die AfD das Grundgesetz nicht kennt (siehe oben) oder es ihren Wählern wissentlich falsch verkauft (siehe oben), ist nur ein weiteres Indiz dafür, dass ihr Grundrechte und Menschenwürde wahlweise egal sind oder diese aus ihrer Sicht nur für Biodeutsche in Anspruch zu nehmen sind. Das zeigt auch eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung, bei der die AfD fragt:

  • "Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Zahl der Behinderten seit 2012 entwickelt, insbesondere die durch Heirat innerhalb der Familie entstandenen (bitte nach Jahren aufschlüsseln)?"
  • "Wie viele Fälle aus Frage 4 haben einen Migrationshintergrund?"
  • "Wie viele der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Schwerbehinderten (bitte hier alle Arten von Behinderungen zusammenfassen) besitzen keine deutsche Staatsbürgerschaft (bitte nach Jahren seit 2012 aufschlüsseln)?"

Die AfD möchte also wissen, wie viele der Behinderte in Deutschland durch Inzest "entstehen", wie viele davon einen Migrationshintergrund haben und wie viele davon keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Die Herleitung, dass gerade Migranten und Nichtdeutsche durch Inzest Kinder mit Behinderungen zeugen, die den Steuerzahler und das Sozialsystem belasten, ist vollkommen hanebüchen und gefährlich. Zum einen ist auch dem arischen Staatsvolk das Thema Inzest nicht unbekannt (die Vorabendserie "Verbotene Liebe" zum Beispiel basiert auf der Liebesgeschichte des Geschwisterpaares Jan und Julia), zum anderen hat genau diese Herleitung bereits schon einmal in der deutschen Geschichte großen Schaden angerichtet.

Wenn man all diese losen Fäden nun richtig zusammenbindet, dann möchte die AfD "nichtarische" Deutsche identifizieren, "nichtarische" Deutsche ausbürgern und Lebenswerturteile gegenüber "nichtarischen" Schwerbehinderten aussprechen. Damit bewegt sich diese gesamte Debatte nur wenige Millimeter an früheren Diskursen über Herrenmenschen, Rassenhygiene, Blut und Boden, Lebensborn und der Verehrung von Menschen wie Alfred Rosenberg und Josef Mengele vorbei.

Und auch wenn die AfD sich ständig und wiederkehrend dagegen wehrt, in die rechte Ecke gestellt und als Nazis bezeichnet zu werden, so muss man doch sagen, dass diejenigen, die andere Menschen abgrenzen, ausgrenzen, aus dem Land und aus den Kreißsälen jagen möchten, mit Begriffen wie rechtsextrem noch beileibe gut bedient sind. Zumindest das Landgericht Gießen sieht das genauso.

Vor 25 Jahren forderte eine mutige Gruppe kluger Menschen ein "Staatsbürgergesetz, das der Tatsache einer seit vielen Jahren bestehenden multikulturellen Gesellschaft Rechnung trägt - in einer Republik, die als offene Gesellschaft das "völkische" Selbstverständnis hinter sich gelassen hat". Wir alle sollten jedes dieser Worte unterschreiben und mit Inbrunst verteidigen, denn nichts Geringeres brauchen wir heute, in einer Zeit, in der wieder Menschen und Menschenrechte angegriffen werden. Einer der Unterzeichner dieser Resolution war übrigens: Dr. Alexander Gauland.

Es bleibt: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Stephan Anpalagan ist Diplom-Theologe, Kolumnist, Unternehmensberater und Mitglied der Band microClocks. Seit vielen Jahren setzt er sich bereits in unterschiedlichen Initiativen gegen Rassismus und Rechtsextremismus ein.