Deutschland am Scheideweg zwischen Wohlfahrts- und Rüstungsstaat

Seite 2: Soziales im Zeichen des Krieges: Springt die Ampel auf Rot?

Die amtierende Bundesregierung steht vor gewaltigen Herausforderungen: Sie muss ihren Beitrag zur Eindämmung der verharmlosend "Klimawandel" genannten Erderhitzung leisten, die Modernisierung der Infrastruktur unseres Landes vorantreiben, dessen soziale Probleme (Prekarisierung der Arbeit, Verarmung eines Teils der Bevölkerung, Wohnungsnot und Mietenexplosion) lösen sowie den von der Coronakrise belasteten Staatshaushalt sanieren.

Wenn jetzt noch gigantische Rüstungsausgaben geschultert werden sollen, wird es kaum möglich sein, diese Aufgaben zu bewältigen. Umgekehrt dürfte es Abstriche von dem ohnehin wenig anspruchsvollen Programm der Ampelkoalition geben.

In ihrem Koalitionsvertrag hat die "Fortschrittskoalition" aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP nur wenig sozialen Fortschritt gewagt: Neben dem Mindestlohn, den die Unternehmen und private Arbeitgeber/innen zahlen müssen, sind hier das "Bürgergeld", die "Kindergrundsicherung" einschließlich des "Sofortzuschlages" für Kinder im Transferleistungsbezug, die befristete Stabilisierung des Rentenniveaus und die Verbesserung der Erwerbsminderungsrente zu nennen.

Die sozialpolitische Kernforderung von SPD, Bündnisgrünen und FDP ist das Bürgergeld, mit dem sie die Abschaffung von Hartz IV verbinden. Die im Koalitionsvertrag der "Ampel" fehlenden Ausführungen zur Höhe der Transferleistung lassen allerdings eher befürchten, dass hier ein großes Kürzungspotenzial steckt.

Man wird sich möglicherweise darauf einstellen müssen, dass die nächsten Erhöhungen der Regelbedarfe trotz nicht zuletzt wegen des Ukrainekrieges und der westlichen Sanktionen gegenüber Russland drastisch steigender Lebenshaltungskosten ähnlich bescheiden ausfallen wie am 1. Januar 2022, als sie selbst für die Kinder um weniger als ein Prozent stiegen.

Kinder will die "Ampel"-Koalition aus Hartz IV herausholen und mehrere für sie bestimmte Leistungen (Kindergeld, Sozialgeld, Kinderzuschlag sowie Teile des Bildungs- und Teilhabepakets) zu einer Kindergrundsicherung zusammenfassen. Diese soll aus zwei Komponenten bestehen, dem einkommensunabhängigen, für alle Kinder und Jugendlichen gleich hohen Garantiebetrag sowie und einem vom Elterneinkommen abhängigen, gestaffelten Zusatzbetrag.

Nur wenn die Kindergrundsicherung sinnvoll konstruiert wird und ihr Gesamtzahlbetrag die Summe der bisherigen Transferleistungen für Minderjährige aus einkommensschwachen Familien erheblich übersteigt, kann sie einen spürbaren Beitrag zur Verringerung der Kinderarmut leisten.

Ohnehin stellt eine Kindergrundsicherung, die Minderjährige aus dem Bürgergeld- oder Hartz-IV-Bezug herauslöst, ihre Eltern aber darin belässt, höchstens eine Teillösung des Problems der Familienarmut dar.

Bis zur Einführung einer Kindergrundsicherung sollen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die mit ihren leistungsberechtigten Eltern in einem Haushalt leben, durch einen "Sofortzuschlag" in Höhe von 20 Euro im Monat unterstützt werden.

Dies bedeutet, dass ihr Regelbedarf noch einmal um weniger als ein Prozent angehoben wird. Und das bei einem inflationären Preisauftrieb, der mehr als fünf Prozent beträgt. Kinder von noch nicht anerkannten Geflüchteten und von Geduldeten, die das Geld am dringendsten brauchen, gehen sogar völlig leer aus.

Armutsbekämpfung wird von den Koalitionspartnern zwar mit dem üblichen Tunnelblick auf die betroffenen Kinder proklamiert, dürfte in der Regierungspraxis aufgrund der steigenden Rüstungsausgaben aber sehr halbherzig praktiziert werden; über eine Reichtumsbegrenzung durch höhere Kapital- und Gewinnsteuern wurde in den Koalitionsverhandlungen gar nicht erst diskutiert, weil sie die FDP blockiert.

Das ist Neoliberalismus pur: Mehr Geld in Digitalisierung und Rüstung stecken, die "Schuldenbremse" wieder in Gang setzen und Steuererhöhungen ausschließen. So bringt man den Wohlfahrtsstaat in eine finanzielle Zwickmühle, aus der nur Sozialabbau herausführt.

Deshalb wird es am Ende dieser Legislaturperiode eher mehr als weniger sozioökonomische Ungleichheit geben, die zu verringern SPD und Bündnisgrüne ihren Wähler(inne)n jedoch versprochen hatten.