Deutschland auf (Führungs-)Kurs
Seite 3: Realitätscheck I: Personal
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Mitte Dezember wurde dem Bundestag ein - erneut unter Verschluss gehaltener - vom Verteidigungsministerium angefertigter Zwischenbericht zur Umsetzung des Fähigkeitsprofils vorgelegt, aus dem anschließend sowohl der Spiegel als auch der militärnahe Blog Augengeradeaus zitierten. Das Fazit fiel zwiespältig aus: Einerseits sei man mit Blick auf 2023 mehr oder weniger in der Spur - für die noch einmal ambitionierteren Vorhaben darüber hinaus fehle es aber aktuell an der finanziellen wie personellen Unterfütterung.
Schon was die Aufstockung der Truppe auf 203.000 Soldaten anbelangt, meldeten sich zuhauf kritische Stimmen zu Wort, die dies für illusorisch hielten. Anfang des Jahres schrieb zum Beispiel Spiegel Online:
Die Bundeswehr hat zu wenig Soldaten, und die Truppe ist überaltert, sie braucht Nachwuchs. Doch diesen für sich zu gewinnen, dürfte in Zukunft noch schwieriger werden, als bislang bekannt. Wie "Bild am Sonntag" ("BamS") unter Berufung auf interne Papiere des Verteidigungsministeriums berichtet, rechnet die Bundeswehr damit, dass 2020 von 760.000 Schulabgängern nur die Hälfte für die Armee geeignet ist. Der Rest habe entweder keinen deutschen Pass, bringe nicht die nötige sportliche Fitness mit oder lehne das Militär grundsätzlich ab. Von den übrig bleibenden jungen Menschen müsste sich unter dem Strich jeder Vierte bei der Armee bewerben, damit diese ihren Bedarf decken kann.
Spiegel
Um hier Abhilfe zu schaffen, werden allerlei Stellschrauben gedreht: Mehr Werbung, Attraktivitätsgesetz, Bahnfahren im Flecktarn usw. Doch wie der Überprüfungsbricht zum Fähigkeitsprofil einräumt, wird dies alles allenfalls helfen, den Bedarf für die VJTF-2023 zu decken - bei den für später geplanten Divisionen dürfte es in jedem Fall eng werden.
Schon jetzt hat sich die Bundeswehr deshalb von dem ursprünglichen Ziel verabschiedet, 2031 eine personell vollausgestattete dritte Division zur Verfügung zu haben. Im Fähigkeitsprofil-Zwischenbericht heißt es dazu ein wenig verklausuliert: "Erste Abschätzungen für eine mit dem Zwischenschritt Ende 2031 zu erreichende vollumfängliche Erfüllung aller durch Deutschland akzeptierten NATO-Planungsziele weisen in Richtung eines deutlich höheren Gesamtbedarfs an Soldatinnen und Soldaten."
In etwas verständlicheren Worten fasste Spiegel Online den Kern dieser Aussagen folgendermaßen zusammen:
Die Militärplaner verabschieden sich auch von ihrer Zusage an die Nato, bis Ende 2031 drei voll ausgerüstete Heeresdivisionen mit jeweils etwa 20.000 Soldaten aufzustellen. Der dritte Großverband werde nun nur noch in "gekaderter" Form geplant, also als Formation, die bei Bedarf mit Reservisten aufgefüllt würde.
Spiegel
Dies dürfte wohl auch der Grund für die jüngsten Versuche sein, die Ränge der Reserve deutlich aufzufüllen. Dafür wurde am 18. Oktober 2019 von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer die Strategie der Reserve erlassen, die als ein wesentliches neues Element die sogenannte Grundbeordung enthält, die vorschreibt, dass ausgeschiedene Soldaten nun einen relativ langen Zeitraum der Reserve zur Verfügung stehen müssen: "Alle ausscheidenden Soldaten werden künftig für einen Zeitraum von sechs Jahren in die Reserve eingegliedert, um den Bedarf der Truppenreserve und der territorialen Reserve im Konfliktfall decken zu können."
Zusätzlich ist geplant, den Reservistenpool um "Ungediente" zu ergänzen, wie bereits Ende August zu lesen war: "Der Reserve der Bundeswehr fehlt es an Personal. Mit einer 'Grundausbildung für ungediente Reservisten' wollen die Streitkräfte gegensteuern und gleichzeitig das Image der Bundeswehr wieder aufpolieren." So hofft die Bundeswehr also ihre Personalsorgen perspektivisch beheben zu können, wobei ihr eben nach eigenen Angaben auch an einer anderen Ecke noch der Schuh drückt.
Realitätscheck II: Finanzen
Zur finanziellen Seite fasst Augengeradeaus die wesentlichen Aussagen des Zwischenberichts zum Fähigkeitsprofil folgendermaßen zusammen:
Die Finanzierung der Vorhaben der Streitkräfte hängt dagegen vor allem davon ab, wie sich die Haushaltsplanung nach dem kommenden Jahr entwickelt. Für das kommende Jahr liegt der auf gut 45 Milliarden Euro gestiegene Verteidigungsetat zwar um rund 1,3 Milliarden Euro unter der Projektion, die mit dem Fähigkeitsprofil im vergangenen Jahr verbunden wurde - dennoch sei für das wichtigste kurzfristige Projekt, die Ausstattung der NATO-Speerspitze (Very High Readiness Joint Task Force, VJTF) unter deutscher Führung 2023 ein wesentlicher Teil der Mittel vorhanden.
Augengeradeaus
Mit anderen Worten: Man sei halbwegs auf Kurs mit den kurzfristigen NATO-Zusagen, aber nur solange man das Ziel eines Militärhaushalts im Umfang von 1,5 Prozent des BIP nicht zu weit aus den Augen verliere. Was das in Zahlen bedeuten würde, hatte bereits das Fähigkeitsprofil von 2018 errechnet, nämlich ein Militärbudget von rund 58 Mrd. Euro im Jahr 2024. Davon ist die aktuelle Mittelfristige Finanzplanung doch ein Stück weg, weshalb die Bundeswehr die Parlamentarier in ihrem Zwischenbericht noch einmal daran erinnert, dass es mit den bisherigen üppigen Aufwüchsen bei weitem nicht getan sei:
Wesentliches Hindernis für die Einplanung der genannten mehrjährigen Rüstungsvorhaben ist die im 53. Finanzplan ab dem Haushaltsjahr 2021 stagnierende bzw. leicht fallende Finanzlinie. Bei kontinuierlich steigenden Ausgaben im Betrieb führt dies bereits heute zu Verzögerungen und im Einzelfall auch zu Streichungen. Dies bedingt eine verlässliche Perspektive für eine im Einklang mit den gegenüber der NATO kommunizierten Absichten einer bis 2024 geplanten Erreichung von Verteidigungsausgaben in Höhe von 1,5 Prozent BIP sowie einer Steigerung auf eine Höhe von zwei Prozent des BIP bis 2031 stehenden Finanzplanung des Bundes.
Bundeswehr
Da trifft es sich doch, dass Verteidigungsministerin und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer exakt diese Zahlen, also eine Erhöhung der Ausgaben auf genau die geforderten 1,5 Prozent bis 2024 und dann sogar auf 2 Prozent bis 2031, also auf geschätzte 75 Mrd. Euro, bereits Anfang November versprochen hat.
Per Autopilot in den Neuen Kalten Krieg
So lässt sich im Ergebnis festhalten, dass die personellen und finanziellen Fragen zwar dafür sorgen, dass der Zug in Richtung Konfrontation mit Russland ein klein wenig holpert, allzu sehr abbremsen dürften sie ihn allerdings nicht. Zu sehr scheint vor allem die politische Klasse derzeit die "Notwendigkeit" verinnerlicht zu haben, auf Konfrontationskurs mit Russland zu gehen. Ein Ausbrechen aus dem sich immer weiter verfestigenden Blockdenken und den damit einhergehenden intensivierten Rüstungsanstrengungen scheint jedenfalls aktuell nicht ernsthaft erwogen zu werden.
Symptomatisch hierfür war die Anfang des Jahres erneut bei der Münchner Sicherheitskonferenz gehaltene Rede der damals noch als Verteidigungsministerin agierenden Ursula von der Leyen. Fünf Jahre nachdem sie an selber Stelle die deutsche Führungsrolle im Neuen Kalten Krieg ausgerufen hatte, zeigte sie keine Anzeichen der Einsicht über die fatalen Folgen dieser Entscheidung - im Gegenteil:
Als politische Allianz fordert uns das herausstechende Merkmal der neuen Sicherheitslage: Die Wiederkehr der Konkurrenz großer Mächte. [...] Ob wir wollen oder nicht, Deutschland und Europa sind Teil dieses Konkurrenzkampfs. Wir sind nicht neutral. Wir stehen auf der Seite der Freiheit und der Menschenwürde. [...] Dafür steht die NATO seit 70 Jahren!
Ex-Verteidigungsministerin von der Leyen 2018