Deutschland droht den USA

Bild: Harald Hoyer/CC BY-SA-2.0

Nach der Eskalation im Streit um US-Sanktionen gegen Russland will die Bundesregierung Gegenmaßnahmen prüfen. Droht ein Handelskrieg samt Spaltung der EU?

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Die geopolitischen Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik scheinen - mitten in der heißen Wahlkampfphase - zu eskalieren. Die Bundesregierung halte die neuesten Sanktionen, die Washington als Vergeltung für angebliche russische Manipulationen im US-Wahlkampf erlassen habe, "schlicht und ergreifend für völkerrechtswidrig", erklärte Wirtschaftsministerin Zypris am 29. Juli.

Die offene Kritik der deutschen Wirtschaftsministerin an Washingtons Sanktionen kulminierte in der Drohung mit einem Handelskrieg. Amerika könne nicht "deutsche Unternehmen bestrafen, weil die sich in einem anderen Land wirtschaftlich betätigen", so Zypris. Man wolle keinen Handelskrieg und hoffe darauf, dass Washington zur gemeinsamen Linie bei den antirussischen Sanktionen zurückkehre, erklärte die Wirtschaftsministerin. Andernfalls müsse die EU-Kommission "Gegenmaßnahmen" prüfen, die auch kurzfristig "auf anderen Gebieten" greifen dürften.

Zuvor hat Bundesaußenminister Gabriel die Sanktionspolitik der USA scharf angegriffen, die Berlin auf keinen Fall "akzeptieren" werde. Spiegel Online bezeichnete die Sanktionen als "dummen Alleingang" Washingtons.

Die Bundesregierung sprach sich eigentlich noch vor kurzem für schärfere Strafmaßnahmen gegen Moskau aus. Doch das antirussische Gesetzespaket, das nun in Washington verabschiedet wurde, richtet sich nicht nur gegen Moskau, sondern auch implizit gegen Berlin. Das Gesetz sieht "Sanktionen gegen Unternehmen vor, die sich an Instandsetzung, Modernisierung oder dem Ausbau russischer Exportpipelines beteiligen", warnte der Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft in Berlin.

Damit richtet sich der "dumme Alleingang" Washingtons vor allem gegen das Pipelineprojekt Northstream2, bei dem die Kapazität der Ostseepipeline zwischen Russland und Deutschland verdoppelt werden soll. Berlin will zwar den Druck auf Russland erhöhen, doch sollen hiervon die lukrativen und geostrategisch ungemein wichtigen deutsch-russischen Energieprojekte ausgenommen werden.

Von den US-Sanktionen, die nun zu einem offenen deutsch-amerikanischen Schlagabtausch im Wahlkampf führen, wären im nennenswerten Umfang nur deutsche und österreichische Unternehmen betroffen. Deswegen gehen auch nur Deutschland und Österreich auf die Barrikaden, was die deutschen Forderungen nach einem gesamteuropäischen Vorgehen gegen die USA etwas hohl - wie das übliche Pfeifen im Walde - klingen lässt.

Im Klartext: Mitten in der heißen Wahlkampfphase droht ein deutsch-amerikanischer Handelskrieg. Dies ist eindeutig ein Angriff auf deutsche Dominanz in der EU, der keine Rücksichtnahme auf deutsche Innenpolitik mehr nimmt. Und dieser amerikanische Alleingang ist keinesfalls "dumm". Letztendlich wird es sich bei diesem Machtkampf erweisen, wie fest die Eurostaaten hinter der europäischen Führungsmacht stehen, die den Kontinent jahrelang mit Austeritätsprogrammen traktierte und die EU-Institutionen als einen Transmissionsriemen deutscher Interessenpolitik nutzte.

Zudem sind die deutschen Drohungen mit einem Handelskrieg angesichts der Handelsbilanz zwischen beiden Staaten hohl. Ein Handelskrieg mit der BRD käme Washington eventuell sogar zupass, um die extremen deutschen Handelsüberschüsse gegenüber den USA abzusenken, die den Kerngehalt der Auseinandersetzungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik bilden. Bei einem Handelskrieg müssen in der Regel die Länder mit dem größten Handelsüberschuss die stärksten wirtschaftlichen Einbußen verkraften.

Steht Deutschland alleine da?

Darauf ist man in Europa nicht unbedingt vorbereitet. Frankreichs Präsident, der als Juniorpartner der reanimierten Achse Berlin-Paris agieren sollte, ließ seine Stellungnahme weitaus vorsichtiger formulieren als die Bundesregierung: Die US-Sanktionen "scheinen" internationales Recht zu verletzen, man müsse "französische und europäische Gesetze" anpassen, "Diskussionen auf der europäischen Ebene" seien notwendig, um den "potenziellen Einfluss auf europäische Bürger und Firmen" zu eruieren.

Es sieht nicht so aus, als ob Frankreich erpicht darauf wäre, an der Seite des Seniorpartners Deutschland in den antiamerikanischen Handelskrieg zu ziehen. In Rom dürfte hingegen klammheimliche Freude angesichts dieser deutsch-amerikanischen Eskalation herrschen. In den USA wurde die vehemente Opposition Italiens gegen den Ausbau der Ostseepipeline sehr früh bemerkt.

Und es ist auch klar, dass das eigentliche Ziel des italienischen Widerstandes gegen Nordstream2 nicht Russland, sondern Deutschland ist. Es ist eine Art Revanche für das Durchkreuzen der italienischen Energiepläne, die sich auf das aufgegebene Pilotprojekt South Stream konzentrierten:

Germany was at the forefront of a group of EU countries that pushed against the construction of the South Stream pipeline, a Gazprom-led initiative to transport Russian gas from the Black Sea coast to Europe by outflanking Ukraine, which the Kremlin scrapped late in 2014. Italy believes that Germany exploited the EU Third Energy Package to derail South Stream because, at its core, this project was a product of the partnership between the Italian state-owned oil and gas producer ENI and Gazprom. Some Italian observers believe that the realization of South Stream could have turned the Italian Peninsula into a key transit point for Russian natural gas, something that would have collided with Germany’s efforts to become the only energy hub in Europe for gas coming from Russia.

Jamestown Foundation

Berlin hat bei seinem Dominanzstreben alle Europäer aus den lukrativen Energiedeals mit Russland verdrängt. Deswegen sind auch kaum andere als deutsche Firmen nun von den US-Sanktionen betroffen, die sich gegen Unternehmen richten, die am "Ausbau russischer Exportpipelines" partizipieren - und deswegen wird kaum ein anderer europäischer Staat an der Seite Deutschlands in einen Handelskrieg hineingezogen werden wollen. Einfach deswegen, weil niemand außer Deutschland etwas dabei zu verlieren oder zu gewinnen hat.

Die Jamestown Foundation sprach in der obig erwähnten Analyse, die sich auf die Ortung geopolitischer Bruchlinien im deutschen Europa konzentrierte, von einer "einmaligen Koalition in Europa, die sich gegen die deutsch-russischen Pläne zur Verdopplung der Kapazitäten der Ostseepipeline forme". Neben Italien sei es vor allem eine "Gruppe zentraleuropäischer Staaten".

Washington will das deutsche Europa spalten

Diese geopolitische Karte wird nun offensichtlich gespielt. Letztendlich sind die USA einfach bemüht, das deutsche Europa zu spalten, um die Dominanz Berlins im europäischen Währungsraum zu brechen und die Ausbildung einer eurasischen Achse Berlin-Moskau zu verhindern.

Hierzu bedient sich Washington derjenigen mittelosteuropäuschen Staaten, die als Transitländer russischer Energieträger den meisten Einfluss durch die energiepolitischen Deals zwischen Moskau und Berlin zu verlieren haben. Durch die Umgehung Mittelosteuropas durch Nordstream verlieren diese Länder jeglichen energiepolitischen Verhandlungsspielraum, wie er noch 2005 beim ukrainisch-russischen Gasstreit offensichtlich wurde. Den geopolitischen Hebel, mit dem das deutsche Europa ausgehebelt werden soll, setzte Trump bei seiner jüngsten Visite in Warschau an.

Die Visite Trumps in Warschau fand während einer Konferenz der sogenannten Drei-Meere-Initiative statt, bei der zwölf Mittelosteuropäische Länder zwischen Ostsee, Schwarzem Meer und der Adria sich bemühen, einen eigenständigen geopolitischen und wirtschaftspolitischen Block auszubilden. Den Kern dieses sich zwischen Deutschland und Russland ausformenden "Zwischeneuropa" bilden die Visegrad-Staaten Polen, Ungarn, Tschechien und Slowakei, gefolgt von etlichen Südosteuropäischen und Baltischen Staaten. Trump firmierte als "Ehrengast" dieser Konferenz. In Anlehnung an alte geopolitische Konzeptionen der Zwischenkriegszeit will diese semiperihpere Region ihre Stellung als "verlängerte Werkbank" der deutschen Exportindustrie abschütteln, erläuterte Welt Online:

Diese zwölf Länder, die 22 Prozent der EU-Bevölkerung darstellen, wollen ihr Gewicht bündeln, um innerhalb Europas an Einfluss zu gewinnen. Ein neuer östlicher Pol in Europa als Gegengewicht zum deutsch-französischen Duo. Das Ziel sind gemeinsame Positionen in den EU-Institutionen und mehr Nord-Süd-Handel. Bisher verlaufen die Verkehrswege in Europa vor allem von Ost nach West. Die neue Nord-Süd-Achse soll dem Osten Europas wirtschaftlich noch mehr Aufschwung verschaffen.

Welt Online

In "Brüssel und Berlin" sehe man hierin den Versuch "parallele Strukturen" innerhalb der EU zu schaffen, so Welt Online. Die Warschau-Visite Trumps diente dazu, diese Entwicklung zu fördern, die EU solle geschwächt, gespalten werden. Erinnerungen würden wach an den von Deutschland abgelehnten Irakkrieg und die anschließende Spaltung der EU entlang eben dieser Linie, die durch den damaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld auf die Schlagworte vom "neuen" und vom "alten" Europa gebracht wurde.

Es ließe sich sogar argumentieren, dass hier nun die geopolitische Konstellation der Zwischenkriegszeit aufscheint, als Mittelosteuropa als ein Puffer zwischen Deutschland und Sowjetrussland firmierte, der vor den Westmächten unterstützt wurde. Die Ideen, einen eigenständigen geopolitischen Machtblock zwischen Ostsee und Schwarzem Meer aufzubauen, gehen auf das alte Intermarium-Konzept polnischer Geopolitik zurück. Gestützt auf amerikanische Truppen, die in der Region stationiert wurden, flankiert durch Energiedeals mit den USA, wollen die Staaten der Region - allen voran die nationalistischen und zunehmend autoritären Regierungen Polens und Ungarns - ihre Region als einen eigenständigen geopolitischen Akteur mit einer unabhängigen ökonomischen Fundament etablieren.

Energieversorgung und Geopolitik

Denn selbstverständlich wollte Trump bei seiner Visite in Warschau vor allem etwas verkaufen, um das im industriellen Niedergang befindliche Amerika "wieder groß zu machen". Dabei handelte es sich um das Flüssiggas, das in den USA - in Ermangelung konkurrenzfähiger Industrieprodukte - seit dem schon unter Obama forcierten Frackingboom als ein künftiger amerikanischer Exportschlager gehandelt wird. Die geopolitische Konzeption der USA sieht gerade vor, mittels zunehmender Energieexporte die alten Verbündeten in Europa und Asien an sich zu binden.

In Polen rennt Trump damit offene Türen ein. In Reaktion auf Nordstream hat Polen einen Hafen für Flüssiggas in Świnoujście gebaut, das amerikanisches Flüsiggas nach Mittelosteuropa transportieren soll. Im Vorfeld der Trump-Visite in Warschau wurde publik, dass hierbei "langfristige Verträge" über entsprechende Lieferungen ins Auge gefasst wurden.

Energieversorgung und Geopolitik, auf diesen beiden Bereichen fallen die Interessen der USA und vieler mittelosteuropäischer Staaten zusammen. Der Versuch der USA, Nordstream2 zu blockieren, kommt somit auch einer geopolitischen verkaufsfördernden Maßnahme für amerikanisches Flüssiggas gleich. Die Sanktionen Washingtons, die in Warschau für Jubel sogen dürften, richten sich somit gegen Russland und gegen Berlin.

Doch Trump wird es in erster Linie darum gehen, Verbündete gegen eine Vormachtstellung von Deutschland in Europa zu finden. Aber auch gegen Russland richtet sich der Besuch von Trump bei der Intermarium-Konferenz, denn die osteuropäischen Länder suchen Schutz vor Putins Streitkräften.Business Insider

Es ist offensichtlich, dass dies sich ein Donald Trump nicht einfach mal so "ausgedacht" hat. Dies ist eine geopolitische Strategie, wie sie in Washingtons Denkfabriken ausgebrütet werden, die hier von einem dilettantischen US-Präsidenten mehr schlecht als recht implementiert wird. Planungen, den ökologisch desaströsen Fracking-Boom in den USA als geopolitischen Hebel zu benutzen, gab es schon seit Jahren Ähnlich verhält es sich mit der Kritik an den deutschen Handelsüberschüssen, die schon unter Obama - wenngleich in diplomatischer Form - artikuliert wurden.

Und auch die Spaltungsstrategie der USA gegenüber europäischen Mächte ist nun wirklich nicht neu - siehe Rusmfeld. Europa sei "wie üblich" gespalten angesichts der neuen US-Sanktionen, bemerkte süffisant die New York Times, da viele zentraleuropäische Staaten eher bereit seien, die Abhängigkeit des Blocks vom russischen Erdgas zu limitieren. Und diese Konstellation, in der Mittelosteuropa als ein antideutscher Spalthebel benutzt wird, erklärt auch, wieso deutsche Justizminister ein hartes Vorgehen der EU gegenüber Polens autoritärer Regierung anordneten.

Die Tatsache, dass dieses massive Vorgehen Washingtons gegen deutsche Interessen mitten im Wahlkampf stattfindet, kann auch als eine Retourkutsche gedeutet werden für die vielen Provokationen, die sich im Machtrausch befindliche deutsche Politeliten gegenüber der abgetakelten - aber immer noch mächtigen - Hegemonialmacht USA erlaubten.

In ihrer letzten Regierungserklärung griff Merkel Ende Juni Amerikas regierenden Rechtspopulisten - ein dankbares Ziel jeglicher geopolitischen Konkurrenz der USA - scharf an, indem sie eindringlich vor dem Trumpschen Protektionismus und den Folgen des Klimawandels warnte. Wer immer noch denke, "er könne die Probleme der Welt mit Protektionismus lösen", der leide an einer Fehleinschätzung, so Merkel. Der Klimawandel wiederum sei eine "existenzielle Herausforderung", die bewältigt werden müsse, ehe die "letzte Person auf der Welt" von dessen Existenz überzeugt sei, erklärte die Kanzlerin des Autolandes und Exportüberschussweltmeisters Deutschland.

Zuvor gönnte sich die CDU während einer Sitzung ihres Wirtschaftsrats endlich mal den Spaß, einem hochrangigen US-Politiker das Wort abzuschneiden. Als US-Handelsminister Wilbur Ross per Video der Konferenz zugeschaltet wurde und sich erdreistete, die extremen deutschen Handelsüberschüsse zu lange zu kritisieren, hat die CDU einfach die Verbindung gekappt - unter "Applaus und Gelächter" der Anwesenden, wie Welt-Online berichtete. Dieser Vorfall unterstreiche, wie "Deutschlands Geduld gegenüber Attacken auf den Handelsüberschuss des Landes" sich abnutze, stellte Bloomberg fest.

Nun scheint auch Washingtons Geduld erschöpft zu sein. In diesen zunehmenden nationalen Auseinandersetzungen in den USA wie in Europa zeichnet sich letztendlich die drohende Ära der von der europäischen wie amerikanischen Rechten angestrebten nationalistischen Wende ab. Die Rückkehr zum nationalen Mief ("America first", "deutsche Interessen zuerst", etc.) wird selbstverständlich nicht die geopolitischen Spannungen vermindern - die von rechten Querschlägern zumeist auf eine Verschwörung von "Globalisten" zurückgeführt werden -, sondern diese ungemein verstärken.

Interessant in diesem Zusammenhang ist aber auch ein ideologiekritischer Aspekt: Wie werden die deutschen Trump- und Putinfans diese Entwicklung verkraften, bei denen es sich ja im zumeist - sehr vorsichtig formuliert - auch um Deutschlandfans handelt? Das Idol einer ganzen Generation rechter deutscher Internettrolls geht rabiat gegen essentielle deutsche Machtinteressen in der EU vor. Auf die weltanschauliche Verwurstung dieser Realität dürfen wie alle gespannt sein.