Deutschland in der Pandemie-Krise: Wie überwinden wir die geistigen Blockaden?

Wie staatliche Fehlentscheidungen und individuelle Unvernunft ein verheerendes Gespann bilden konnten (Teil 1)

Es kann verwundern, dass Deutschland trotz seiner beträchtlichen Ressourcen eher schlecht als recht durch die Pandemie-Krise kommt. Offenkundig liegt dies an einer Vielzahl von Fehlern – einerseits einer Serie von Fehlentscheidungen und Nicht-Entscheidungen in der Politik und andererseits an mehr oder weniger unvernünftigem Verhalten in weiten Teilen der Bevölkerung.

Um als Gesellschaft die Herausforderungen besser meistern zu können, gilt es, die Fehler, deren Ursachen und mögliche Lösungen sorgfältig analysieren. Hierzu soll dieser Essay einen Beitrag leisten.

Fremdeln mit der Wissenschaft

Trotz der ausgeprägten Stärken im Bereich von Wissenschaft und Technik, auf denen auch ein Großteil des erreichten Wohlstands beruht, gelingt eine konsequente geistige Orientierung am besten verfügbaren Wissen weiten Teilen der Bevölkerung nicht.

Selbst bei etlichen gebildeten Menschen fehlt es offenkundig an Verständnis dafür, dass diverse wichtige Fakten und komplexen Zusammenhänge nur durch eine systematische und sorgfältige Arbeit von dafür speziell geschulten Fachpersonen einigermaßen sicher beurteilt werden können.

Wo völlige Sicherheit nicht erreichbar ist, müssen gerade angesichts notwendiger folgenreicher Entscheidungen solche Einschätzungen gefunden werden, die auf der Basis des momentan besten vorhandenen Wissens am vernünftigsten sind. Dazu gehört beispielsweise, dass sie besser als andere Einschätzungen zu den bekannten Fakten passen und dass sie verbleibende Risiken betreffend möglicher Schadenshöhe und Eintrittswahrscheinlichkeit möglichst realistisch beschreiben und abwägend bewerten.

Diese Arbeit ist in einer komplexen Situation wie einer Pandemie weitaus schwieriger, als sich viele vorstellen. Jede einzelne, noch so wissende und intelligente Person wäre damit völlig überfordert. Jedoch arbeitet eine große Zahl von Wissenschaftlern Hand in Hand an der Untersuchung der Sachlage und an der Ausarbeitung möglichst zuverlässiger Beschreibungsmodelle und praktischer Schlussfolgerungen.

Die Wissenschaft funktioniert zwar in der Praxis keineswegs perfekt, und es kommen nicht alle Wissenschaftler dabei zu den gleichen Einschätzungen. Trotzdem kann und muss davon ausgegangen werden, dass Einschätzungen, von denen am Ende der größte Teil der Fachwelt überzeugt ist, dem mit Wissen und Vernunft bestmöglichen Resultat ziemlich nahekommen – jedenfalls erheblich näher als jede andere Methode.

Der zweite Teil dieses Beitrags ist bei Telepolis unter dem Titel Deutschland in der Pandemie-Krise: Wie können wir alternativen Fakten begegnen? erschienen.

Personen ohne besondere Fachkenntnis sollten sich immerhin eine gewisse Vorstellung davon machen können, wie schwierig die Gewinnung und Auswertung solchen Wissens ist und dass deswegen die Qualität (Aussagekraft, Präzision, Verlässlichkeit etc.) der Resultate der Wissenschaft niemals mit alternativen Methoden erreichbar ist, etwa mit der Auswertung von Einzelfällen und einiger mit Google gefundener Texte durch einen Laien.

Man kann die Resultate umfangreicher wissenschaftlicher Studien nicht vom Tisch wischen mit dem bloßen Hinweis auf sein Bauchgefühl und Pseudo-Widerlegungen auf der Basis weniger Einzelfälle (etwa nach der Art, das Rauchen könne gar nicht schädlich sein, denn schließlich kenne man jemanden, der damit gesund alt geworden sei).

Ebenso sollte klar sein, dass es auch in der Wissenschaft immer abweichende Einzelmeinungen geben wird, denen aber kein übergroßes Gewicht zugeschrieben werden sollte, wenn der Großteil der Fachwelt davon nicht überzeugt werden kann: Das wird wohl Gründe haben. Man kann etwa die Erde nicht mehr als eine Scheibe ansehen, selbst wenn es immer noch ein paar Promovierte gibt, die daran festhalten.

Bedauerlicherweise gilt aber selbst ärgste Ignoranz zu solchen Grundlagen vielerorts nicht als bedenklich und peinlich. Leider überschätzen viele Menschen auch ihre diesbezügliche Bildung völlig; insbesondere übersehen sie völlig die Lücken in ihrem Verständnis von grundsätzlichen Aspekten der Wissenschaft.

Manche fühlen sich sogar geadelt durch ihre "alternative" Weltsicht, die auf vermeintlich höheren Einsichten beruht, und betrachten konventionelles wissenschaftliches Denken (basierend auf Evidenz, Logik und diversen Mechanismen der Überprüfung) als etwas für den geistig beschränkten Mainstream, was für sie nicht maßgeblich sein könne.