Deutschland in der Pandemie-Krise: Wie können wir alternativen Fakten begegnen?

Protest gegen eine Demonstration von Gegnern der Corona-Maßnahmen, Berlin, August 2020. Bild: Leonhard Lenz, CC0

Bildung und Vertrauensbildung sind nur zwei Konzepte, um in fakten- und logikresistente Filterblasen vorzustoßen. Der Spaltung der Gesellschaft kann auch anderweitig begegnet werden (Teil 2 und Schluss)

Der Druck durch die immer schlüssigere Faktenlage zur Pandemie ist ein großes Problem für diejenigen, die ihre "alternativen Fakten", Deutungen und Maßnahmen um jeden Preis aufrechterhalten wollen. So ist beispielsweise längst widerlegt, dass SARS-CoV-2 keine größeren Probleme verursache als eine normale Grippe und dass die Erkrankungen mit diversen obskuren Mitteln etwa zur Stärkung des Immunsystems zuverlässig gut durchzustehen seien.

Jedoch haben etliche Menschen eine so große Resistenz gegen Tatsachen und Logik entwickelt, dass ihre Meinungen völlig unkorrigierbar geworden sind. Was nicht in ihre Vorstellung passt, wird einfach geleugnet.

Der erste Teil dieses Textes ist auf Telepolis unter dem Titel Deutschland in der Pandemie-Krise: Wie überwinden wir die geistigen Blockaden? erschienen

Etwa wird die zunehmende Überlastung vieler Intensivstationen mit diversen schwerwiegenden gesundheitlichen und finanziellen Folgen vom eigenen Sofa aus vermeintlich als Täuschung entlarvt, und die Einflüsse von Maßnahmen auf die Entwicklung der Infektionszahlen geleugnet; im Extremfall wird gar noch die Existenz der Pandemie bestritten.

Verschwörungstheorien sind dann in der Regel der letzte Trumpf bei der Verteidigung irrer Ansichten, und wohl deswegen sind hier die Anforderungen an Evidenz, logische Konsistenz und Plausibilität erstaunlich gering. Man hält sich gar nicht auf mit der Frage, wie denn zigtausende Wissenschaftler und Ärzte weltweit – in verschiedensten Ländern, mit unterschiedlichsten politischen Einstellungen usw. – dermaßen effektiv gleichgeschaltet werden könnten. Gedanken, die die Korrektur der eigenen Meinung erzwingen könnten, sind tabu.

Die Freiheit der schwer Erkrankten: extrem eingeschränkt

Aber auch unter denjenigen, die nicht grundsätzlich Wissenschaft und Vernunft infrage stellen, ist hier und da eine Regression des Denkens zu beobachten. So etwa haben einige das Gefühl, einen ihrer edlen Grundsätze, etwa die Betonung der menschlichen Freiheit, einfach über die Notwendigkeiten in einer Pandemie stellen zu können.

Dies führt zu absurden Konsequenzen, beispielsweise zur Hinnahme eines dramatischen Verlusts von Freiheit von Tausenden von Menschen, die eine Intensivbehandlung inklusive künstlicher Beatmung über sich ergehen lassen müssen; selbst Strafgefangene erleiden wohl kaum je einen solch dramatischen Verlust an Freiheit.

Somit erfordert die Bewahrung von Freiheit (ebenso wie die des Wohlstands) in Wirklichkeit zuallererst eines: die Vermeidung unkontrollierter Infektionswellen, auch wenn hierfür gewisse Einschränkungen der Freiheit wie Maskenpflicht und Kontaktbeschränkungen hinzunehmen sind.

Das Recht auf körperliche Unversehrtheit

Etwas schwerer zu durchschauen sind Denkfehler, wenn nur einzelne Gedanken präsentiert, die daraus abgeleiteten Folgerungen aber nicht explizit dargelegt werden. Beispielsweise werden bestimmte Maßnahmen kategorisch abgelehnt, ohne sorgfältig geprüft zu haben, ob die Konsequenzen der Ablehnung nicht schlimmer sind als das, was man vermeiden möchte.

Wenn beispielsweise mit dem Hinweis auf das Recht auf körperliche Unversehrtheit eine Impfpflicht abgelehnt wird, ohne dass man ein zuverlässiges Mittel gegen die weitaus größere Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit durch massenhafte Infektionen hätte, ist dies kein Zeichen für eine besondere moralische Sensitivität, sondern eher für mangelnde Übersicht.

Ein Handeln, welches für den größten Teil der Bevölkerung zu massiven gesundheitlichen Bedrohungen führt, ist ethisch nicht zu rechtfertigen. Dieses Nicht-zu-Ende-Denken der Konsequenzen kommt aber leider auch bei Ethikern gelegentlich vor.

Mit den Viren leben lernen

Gelegentlich begegnet man dem Pseudo-Argument gegen Maßnahmen, wir müssten ja irgendwie mit den Viren leben lernen, was natürlich völlig richtig ist – aber was konkret soll daraus folgen? Etwa, dass man Infektionswellen unkontrolliert über das Land laufen lässt und die Folgen fatalistisch hinnimmt? Oder nicht viel eher, dass man die Gefahren und die zur Verfügung stehenden Optionen sorgfältig prüft und diejenigen aussucht, die den Schaden wahrscheinlich minimieren?

Offenkundig leidet die deutsche Gesellschaft (ähnlich wie die z. B. der Schweiz, von Österreich oder Großbritannien) erheblich unter einer Epidemie der Irrationalität und Unvernunft. Die Folgen davon sind massenhaft Todesfälle und schwere gesundheitliche Schäden, die mit vernünftigem Handeln vermeidbar gewesen wären.

Die negativen Nebenwirkungen der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie – z.B. soziale und wirtschaftliche – fallen ebenfalls unnötig groß aus, da versäumte effektive Maßnahmen (etwa die Einschränkung nicht notwendiger Kontakte) durch schädlichere Eingriffe anderswo kompensiert werden müssen.

Gleichzeitig ist zu beobachten, dass politische Rattenfänger die Situation mit einigem Erfolg dazu nutzen, die Gesellschaft zu spalten und die Grundlagen unserer Demokratie anzugreifen. Es gibt also mehr als genug Gründe, um diese Problematik genau zu beobachten und möglichst wirksam anzugehen, zumal die Corona-Pandemie wohl kaum die letzte oder auch größte Herausforderung dieser Art bleiben wird.

Wegen der Vielschichtigkeit der Lage – schon wegen der großen Vielfalt von Ursachen für unvernünftiges Verhalten – kann es kein einfaches Patentrezept geben. Vielmehr wird man einen vielfältigen Strauß von Maßnahmen brauchen, die teils kurzfristig helfen könnten, teils aber auch nur langfristig bei beharrlichem Einsatz. Die folgenden Gedanken hierfür mögen als Anregung zur Entwicklung fundierter Konzepte dienen.