Deutschland in der Pandemie-Krise: Wie können wir alternativen Fakten begegnen?
Seite 3: Diskussion heikler Konflikte
Die gesellschaftliche Diskussion macht oft dem Frieden zuliebe einen weiten Bogen um gewisse Probleme, die eigentlich dringend angegangen werden müssten. Insbesondere wäre ein breiterer Konsens nötig, dass Tatsachen und Vernunft unbedingt die Grundlage für öffentliche Entscheidungen sein müssen und nicht etwa hier und da durch andere Dinge wie etwa esoterischen Glauben ersetzt werden können.
Im Bereich der Medizin werden esoterische Ansätze oft toleriert, weil man sie gewöhnlich dem Bereich der privaten Entscheidungen zuordnet; jedoch bleiben in einer Pandemie die Auswirkungen medizinischer Entscheidungen nicht mehr auf diesen Bereich begrenzt.
Man mag bei einer Krebserkrankung eigenverantwortlich entscheiden, die Behandlung durch einen Schamanen einer Chemotherapie vorzuziehen, aber bei Infektionskrankheiten bringt das Verhalten vieler Einzelner dramatische Gefahren für die Allgemeinheit mit sich.
Die Pandemie zwingt uns deswegen, den Primat von sachkundig ermittelten Fakten und Vernunft auch bei medizinischen Entscheidungen durchzusetzen. Der Konflikt mit im weitesten Sinn esoterischen Denkweisen muss hier also ausgetragen werden.
Auch in anderen Bereichen sollten "alternative Fakten", widersprüchliche Denksysteme und offenkundige Voreingenommenheit argumentativ angegriffen werden – und dies nicht erst dann, wenn sie für die Öffentlichkeit bereits massiven Schaden anrichten.
Wenn man nicht will, dass Esoteriker, politische Verführer und religiöse Anführer einen unangemessen großen Einfluss erringen, muss man ihre Denkweisen beizeiten einer rationalen Kritik aussetzen.
Die Furcht vor einer Spaltung der Gesellschaft scheint hier und da zu bewirken, dass Konflikte zögerlich ausgetragen werden. Dabei resultiert die tatsächlich schon eingetretene Spaltung sicherlich nicht auf übertriebener Anwendung guter Sachargumente, sondern vielmehr auf der Einrichtung fakten- und logikresistenter Filterblasen.
Die Lösung kann nicht darin bestehen, einfach die "richtige" Intensität der Austragung zu finden, sondern muss auf eine möglichst effektive Behandlung zielen. Beispielsweise muss eben der Unsinn, der in diversen öffentlichen Äußerungen zum Ausdruck kommt, möglichst effektiv entlarvt werden: klar verständlich und überzeugend, zweifellos auf faire Weise (z. B. ohne unberechtigte Unterstellungen, die die Diskussion wieder von der Sache ablenken können) und mit der Zielrichtung der Zerstörung falscher Vorstellungen und nicht etwa der Zerstörung einer Person. Auch dies will erst einmal gelernt sein.
Ebenfalls gilt es, die Strategie politischer Manipulatoren geschickt zu durchkreuzen, die mit einem Kulturkampf davon abzulenken versuchen, dass ihre Politik die eigentlichen Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung schädigt.
Das gezielte Aufdecken solcher Interessenkonflikte und die Entlarvung der hinterlistigen Täuschungen dürfte mehr bewirken als ein emotionales Engagement auf den von Rattenfängern errichteten Kulturkampf-Bühnen. Der erste Schritt dorthin ist eine klare Analyse der Strategien, Ziele und Urheber von Manipulation.
Gesellschaftlichen Stress abbauen
Wie oben ausgeführt, scheint gesellschaftlicher Stress die Fähigkeit zu vernünftigem Denken wie auch zur konstruktiven Zusammenarbeit zu beeinträchtigen.
Da dieses die Ursachen des Problems oft noch verschlimmert oder jedenfalls nicht reduziert, kann eine Gesellschaft dadurch in einen Teufelskreis geraten, der katastrophal enden kann.
Wenn, wie derzeit, die Entwicklung in diese Richtung zu gehen scheint, sollte, wo immer möglich, Stress reduziert werden. Hierzu kann wiederum eine geeignete politische Kommunikation dienen.
Wenn etwa der Eindruck entsteht, dass die Regierenden die Kernprobleme sachgerecht analysieren und vernünftige Maßnahmen anstreben, also nicht einfach der Verantwortung entfliehen und nur an ihrer eigenen Karriere basteln, dürfte dies deutlich zur Beruhigung beitragen. Eine faire Verteilung von Lasten ist außerdem unabdingbar, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt einigermaßen zu bewahren.