Deutschland setzt sich durch: EU will "reisende Gewalttäter" überwachen und speichern

Seite 2: Unliebsamer Widerstand gegen sinnlose Großprojekte

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Ebenfalls erwähnt wird der Widerstand gegen sinnlose Großprojekte, der sich zusehends grenzüberschreitend koordiniert. Hierzu gehört die "No TAV"-Bewegung in Italien, die seit vielen Jahren gegen den Bau einer Hochgeschwindigkeitstrasse von Turin nach Lyon aktiv ist.

Richtigerweise wird in der Studie der internationale Charakter derartiger Proteste betont, die sich beispielsweise auf Stuttgart 21, eine Goldmine in Griechenland oder Kämpfe gegen eine Hochspannungsleitung in Spanien beziehen. Mit der Kriminalisierung als "Extremismus" wird allerdings die Argumentation der Polizei übernommen, die zuletzt vor drei Wochen Razzien bei mehreren italienischen Aktivisten durchführte und ihnen "Terrorismus" und "Subversion" vorwirft.

Ähnliches gilt für den breiten französischen Widerstand gegen den Bau eines Großflughafens bei Notre Dame des Landes in der Bretagne, der sich an die international agierende Firma Vinci richtet. Der Konzern baut unter anderem eine Autobahn bei Moskau, was seit Jahren Umweltschützer zu Blockaden und Besetzungen verleitet. In der Studie wird orakelt, die Bewegungen in Frankreich und Italien seien gefährlich, da sie "zunehmend netzwerkorientiert" arbeiten.

In der Studie wird als gemeinsame "Herausforderung" die Identifizierung unliebsamer "Störer" definiert, damit Polizeibehörden im betroffenen Land rechtzeitig Maßnahmen ergreifen können. Als entsprechender Rechtsrahmen wird der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV angeführt, der auch die Polizeizusammenarbeit bestimmt. In Artikel 87 heißt es beispielsweise, dass alle zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, darunter Polizei, Zoll sowie andere "auf die Verhütung oder die Aufdeckung von Straftaten" spezialisierter Verfolgungsbehörden kooperieren sollen. Dies betrifft das Einholen, Speichern, Verarbeiten, Analysieren und Austauschen "sachdienlicher Informationen".

Mehrere Mitgliedstaaten kritisieren Unverhältnismäßigkeit

Zur Umsetzung des AEUV haben die Mitgliedstaaten weitere Vereinbarungen festgelegt, die häufig die Handschrift der deutschen und französischen Innenministerien tragen (EU will neue "strategische Richtlinien" für Überwachung und Kontrolle). Im "Stockholmer Programm", dem gegenwärtigen Fünfjahresplan für Justiz und Inneres, hatte Deutschland die Zusammenarbeit gegen "Troublemaker" ebenfalls verankert:

Der Europäische Rat […] ersucht die Kommission, zu prüfen, wie am besten darauf hingewirkt werden kann, dass die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten Informationen über reisende Gewalttäter, u. a. auch solche, die an Sport- oder sonstigen Großveranstaltungen teilnehmen, austauschen können.

Stockholmer Programm (2009)

Mehrere Regierungen hatten allerdings Bedenken angemeldet, da es in ihren Polizeigesetzen an einer Definition für "reisende Gewalttäter" oder "Störer" fehlt. Zwangsmaßnahmen wären folglich unverhältnismäßig. In anderen Ländern existieren wiederum unterschiedliche Gerichtsbarkeiten, wonach "Störer" nicht nach dem Strafrecht, sondern über Verwaltungs- oder Zivilrecht gemaßregelt werden.

Polizeiliche Willkür bei der Kategorisierung wird auch aus der Studie deutlich. Nur von einem EU-Mitgliedstaat wurde als unerwünschtes Verhalten das sogenannte "Anti Social Behaviour" genannt. Es muss sich um Großbritannien handeln, denn der "Verstoß" existiert lediglich dort. Ähnlich verhält es sich mit Pyrotechnik, deren Gebrauch in vielen Ländern sogar bei Demonstrationen von Feuerwehrangehörigen oder Gefängnispersonal üblich ist.

Bisweilen finden sich die inkriminierten Taten auch nur als "Soft law", sind also nur in nicht bindenden Handbücher oder Richtlinien festgelegt. Deutschland hatte daraufhin vorgeschlagen, dass Polizeibehörden jener Länder lediglich bei der Sammlung der unerwünschten Personen helfen. Repressalien würden nur dort vorgenommen, wo die Rechtslage dies erlaube.

EU-Mitgliedstaaten könnten zu Zwangsmaßnahmen verpflichtet werden

Dem folgend regt die Studie die Vereinbarung einer EU-weit anerkannten Definition an. Bislang werden in EU-Dokumenten die Begriffe "Ordnungsstörer" ("troublemaker") oder "Risikofan" ("risk supporter") benutzt, an anderer Stelle heißt es "Hooligan" oder "gewalttätiger Störer" ("violent troublemaker"). Nun ist von "travelling violent offenders" (TVO) die Rede, womit sich der deutsche Terminus des "reisenden Gewalttäters" international durchsetzt.

Die Kategorie soll zunächst in Handbüchern verankert werden, die seit mehreren Jahren die polizeiliche Zusammenarbeit bei grenzüberschreitenden "Großlagen" regeln. Weil diese aber nicht bindend sind, soll die Definition in den Rang einer EU-Richtlinie erhoben werden, die dann in die jeweilige nationale Rechtsprechung überführt werden muss. Damit werden jene Länder unter Druck gesetzt, die laut der Studie zwar nicht vom Phänomen betroffen sind, aber dennoch mehr Initiative bei der Verfolgung von "reisenden Gewalttätern" zeigen sollen. Tatsächlich ist in der Studie davon die Rede, dass Mitgliedstaaten zur Sammlung und Verarbeitung von Daten verpflichtet werden könnten.

Nachdem eine gemeinsame Definition gefunden und verankert ist, sollen auch Repressalien vereinheitlicht werden. Derzeit ist es in 18 Mitgliedstaaten sowie in Kroatien möglich, Ausreisesperren gegen eigene Staatsbürger zu verhängen. In einigen Ländern können Verbotserlasse für bestimmte Gebiete erlassen werden, auch die zeitweise Ingewahrsamnahme gehört zum Repertoire. Die Einführung temporärer Kontrollen der Binnengrenzen ist ohnehin neu geregelt, seitdem Deutschland und Frankreich die EU kürzlich zur Änderung des Schengen-Kodex gezwungen haben (Griechische Faschisten mit Polizisten im "Bürgerkrieg" gegen Migranten).

Offensichtlich hat die Sicherheitszusammenarbeit von Polen und der Ukraine bei der Meisterschaft EURO 2012 für die nun vorliegende Studie Pate gestanden. Viele der aufgezählten Maßnahmen waren dort bereits umgesetzt worden: Gegenseitiger Austausch im Vorfeld, internationale Besuche, Abschluss einer Vereinbarung zur Zusammenarbeit, Einrichtung gemeinsamer Polizeieinheiten, gemeinsames Kommandozentrum, Entsendung von Verbindungsbeamte und "szenekundigen Beamten". Nach "Risikoanalysen" wurde die Überwachung von Transportmitteln angeordnet, Grenzkontrollen eingerichtet, Reisesperren verhängt und Verdächtige durchsucht oder verhaftet.

In der Studie wird die Taktik der deutsch-polnischen "Green EURO corridors" gelobt. Es handelt sich dabei um vorgesehene Anfahrtswege für Fans, in denen die Polizei an strategischen Orten präsent war. Beklagt wird indes, dass manche Zwangsmaßnahmen nicht eingesetzt werden konnten, darunter das Abhören digitaler Kommunikation, präventiver Gewahrsam oder Hausdurchsuchungen.