Deutschland setzt sich durch: EU will "reisende Gewalttäter" überwachen und speichern

Seite 3: Bereits jetzt umfangreiche und undurchsichtige Polizeizusammenarbeit

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Daten zu "reisenden Gewalttätern" werden über digitale Kommunikationskanäle weitergegeben, aber auch per Telefon, Fax und persönliche Treffen. Auf EU-Ebene gibt es bereits eine Reihe rechtlicher Möglichkeiten für den polizeilichen Datentausch. Hierzu gehört die gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen, eine Art multilaterales Kooperationsabkommen, das für alle Mitgliedstaaten bindend ist. Im Schengener Informationssystem SIS II werden Personen und Sachen zur Beobachtung oder Fahndung ausgeschrieben. Die "Schwedische Initiative" schreibt eine schnelle Antwort auf Anfragen vor. Der "Vertrag von Prüm" regelt gemeinsame Polizeieinsätze sowie den Tausch biometrischer Daten und Fahrzeugregistern (Ausleihe prügelnder Polizisten bald "gängige Praxis"?).

Hinzu kommen zahlreiche weitere Kommunikationsformen, darunter über die EU-Polizeiagentur EUROPOL und die internationale Polizeiorganisation Interpol mit jeweils umfangreichen Informationssystemen. Ein undurchsichtiges Netz von Verbindungsbeamten nationaler Polizeibehörden und Agenturen sorgt für weitere, unbürokratische Auskünfte. Für Sportereignisse wird vor allem von den " Nationalen Fußball Kontaktstellen " (NFIP) Gebrauch gemacht. Wie beim NATO-Gipfel 2009 spielen aber auch die Zentren der Polizei- und Zollzusammenarbeit (PCCC) eine immer wichtigere Rolle für gemeinsame Einsatzformen. Nun soll ein "Koordinator" dafür sorgen, dass die verschiedenen Instrumente miteinander verzahnt werden (EU will "Koordinator" für Gipfelproteste und grenzüberschreitende Sportereignisse einrichten).

Daten über grenzüberschreitend vernetzte Aktivisten werden auch über die "Police Working Group on Terrorism" (PWGT) getauscht, die 1979 maßgeblich von Deutschland auf den Weg gebracht wurde. Ihre ursprüngliche Aufgabe galt einer Bekämpfung bewaffneter linker Gruppen. Nach deren weitgehenden Bedeutungslosigkeit in den 90er Jahren wurde das liebgewonnene Netzwerk aber nicht aufgelöst, sondern im Jahr 2000 thematisch umgemünzt. Seitdem fühlt sich die PWGT auch für "politische gewalttätige Aktivitäten" zuständig. Zu ihren Tätigkeiten zählt sie eine "Harmonisierung" der Polizeizusammenarbeit hinsichtlich "gewalttätiger politischer Aktionen".

Inwiefern hierbei grenzüberschreitender politischer Aktivismus gemeint ist, wurde 2010 offenkundig: Damals hatte die belgische PWGT-Kontaktstelle Daten von 380 Demonstranten, die im Rahmen eines antirassistischen Grenzcamps in Brüssel "präventiv" verhaftet wurden, an die Polizeibehörden ihrer Herkunftsländer weitergegeben. Behauptet wurde, die Personen seien im Kontext der Zerstörung von Scheiben einer Polizeistation aktenkundig geworden. Jedoch erfolgte der Angriff einer kleinen Gruppe erst als spätere Reaktion auf die Massenfestnahmen, die Speicherung erfolgte also unter einer falschen Sachverhaltsdarstellung. Dies bemängelte auch der Bundesdatenschutzbeauftragte. Für die Betroffenen bedeutet das Ärger: Über die PWGT weitergegebene Daten können unter anderem im Schengener Informationssystem gespeichert werden.

Rechtslage ist diffus, Datenschutz ist Hindernis

Einige Mitgliedstaaten, darunter Deutschland und Dänemark, führen bereits nationale "Störer"-Datenbanken. Für Gipfeltreffen oder Fußballspiele werden diese an ausländische Polizeibehörden mit einer meist mehrmonatigen Löschfrist ausgeliehen. Problematisch bei einer Weitergabe ist allerdings, dass Dateiformate variieren. Weil die Daten für einen manchmal anderen Zweck erhoben wurden, dürfen sie auch für andere polizeiliche Bedürfnisse nicht genutzt werden. Zugangsberechtigungen regeln, dass Informationen bisweilen nur von Justizbehörden verarbeitet werden dürfen, während sie andernorts auch Geheimdiensten offen stehen.

Unterschiedliche juristische Standards in Bezug auf Auskunftsrecht oder Löschfristen erschweren den Datentausch offensichtlich erheblich: Laut der Studie hätten 46% aller Befragten angegeben, dass der Datenschutz ein Hindernis darstellt. Aufgewogen wird dies mit dem zweifelhaften Hinweis, dass sich durch die Verfolgung inkriminierter Personen "positive soziale Effekte" einstellen würden.

Offen ist bei der geplanten EU-weiten "Störer"-Datei auch, ob eine Speicherung vertraulicher oder geheimdienstlich klassifizierter Daten gewünscht ist. Dies beträfe etwa Informationen zu sexuellen Vorlieben oder politischer Gesinnung, wie sie bei EUROPOL gesammelt werden, aber strikteren Regeln unterliegen. Würden Mitgliedstaaten weiterhin nationale Dateien führen und diese untereinander tauschen, stünde die jeweils unterschiedliche Handhabung vertraulicher Daten im Weg.

Möglich wäre, stattdessen das vorhandene SIS II zu nutzen oder dort sogar eine eigene Kategorie einzurichten. Letzteres würde aber eine Änderung der Errichtungsanordnung nötig machen. Sollte sich der Vorschlag nicht durchsetzen, könnte auch EUROPOL angehalten werden eine entsprechende Datei zu führen. Die Verfasser der Studie problematisieren allerdings, dass der Datenschutz dabei auf der Strecke bliebe: Denn im Falle einer Ausschreibung über ein EU-System müssten die Betroffenen auch bei anderen Grenzübertritten mit Schwierigkeiten rechnen.

Herzenswunsch von Schäuble

Als Ergebnis heißt es, dass alle bestehenden polizeilichen Zusammenarbeitsformen miteinander verbunden werden müssten. Ein Netzwerk nationaler Kontaktstellen könnte errichtet werden, bestehende Strukturen aus dem Bereich Fußball versprächen Synergieeffekte. "Neue Funktionalitäten" des Schengener Informationssystem sollen genutzt werden, womit vermutlich die Sammlung biometrischer Daten gemeint ist. Auch die existierenden Systeme bei EUROPOL und Interpol sollen verwendet werden, das Gleiche gilt für die geplante EU-Datensammlung zu Flugreisen ("Passenger Name records") sowie das "Europäische Strafregister" (ECRIS).

Sind die neuen Kontrollmaßnahmen erst einmal in Gang gekommen, soll schließlich die Einführung einer "europäischen Reisesperre" folgen. Damit hätte sich ein Herzenswunsch des damaligen Innenministers Schäuble erfüllt, für den er kurz nach dem G8-Gipfel in Heiligendamm sogar eilig einen Beschluss des Bundesrates herbeiführen konnte.