Diagnostische Werkzeuge für das neue Jahrtausend

Nie wieder einsam

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Zwei Installationen im Netz und im Künstlerhaus Bethanien

Wir befinden uns in der Zukunft. Das dritte Jahrtausend ist angebrochen. Politik und Wirtschaft haben uns diesmal viel Arbeit erspart und die Revolution gleich selbst angezettelt. Sie haben für uns die Informationsgesellschaft erfunden und vernetzen einfach alles. Wir stehen staunend daneben und wissen nicht, ob wir uns freuen sollen über so viel Informationsfluß, oder ob uns bange sein sollte, in Anbetracht der völligen Umstrukturierung unserer Gesellschaft.

Wir haben unendlich viel Freizeit in der neuen Welt und damit wir uns nicht langweilen, gibt es die Datenautobahn. Sie bringt uns nicht nur "interaktives" Fernsehen (Video on Demand) und Radio (Radio on Demand) ins Haus, sondern endlich auch die Möglichkeit, unbegrenzt zu lernen (Telelearning), einzukaufen (Teleshopping) und online von Krankheit geheilt zu werden (Telemedizin).

Neben diesen, bereits sehr erfreulichen Möglichkeiten, besitzen wir zusätzlich das optimale Hilfsmittel, um nie wieder einsam zu sein. Online Dating heißt das Schlüsselwort und vermittelt den optimalen Partner für alle Gelegenheiten...

Logo von "Diagnostic Tools"

Mit solch einem Szenario beschäftigen sich die australischen Künsler Josephine Starrs und Leon Cmielewski. Sie gehen davon aus, daß das Leben im neuen Jahrtausend dem Menschen vollkommen neue Fähigkeiten abverlangen wird:

Freiheit wird es nur für die geben, die ein komplexes und genaues Instrumentarium besitzen.

Starrs/Cmielewski:"Diagnostic Tools for the New Millenium", Berlin 1997

Nach dem Ende der post-humanen, post-optimistischen und post-ideologischen 90er Jahre wird die menschliche Psyche neue Orientierung und neuen Halt brauchen. Der Alltag des Menschen ist geprägt vom Umgang mit neuen Technologien, seine Erfahrungen sind mediatisiert und manipuliert. An dieser Schnittstelle zwischen menschlicher Psyche und Technologie setzt ihre künstlerische Arbeit an. Sie spielt mit dem Begehren, mit Verführung, Rollenspiel aber auch mit Einsamkeit, Entkörperlichung, Paranoia und blindem Vertrauen in Technik.

Erste Ergebnisse ihrer Forschungen waren im Dezember im Künstlerhaus Bethanien in Berlin zu erleben. Neben der mehrteiligen Multimedia-Installation im Galerieraum gibt es auch eine Website.

Navigationsgrafik von "Diagnostic Tools"

Die liebevoll gestaltete Grafik der Website beruft sich in der Wahl der Metaphern auf mechanisches Werkzeug. Schraubenschlüssel, Hammer, Zange und Bohrer dienen als Symbole, hinter denen sich das Instrumentarium der Zukunft verbirgt. Fuzzy Love Diagnostics zeigt vier Quicktime-Collagen, die Gegenstände des täglichen Gebrauchs und technische Kommunikations- und Überwachungstools als Diagramme spielerisch in Beziehung setzen. Der Paranoid Poetry Generator gibt dem Betrachter die Gelegenheit selbst aktiv zu werden und seine persönliche Paranoia in Form von kurzen Sätzen beizusteuern. Bevor die persönlichen Daten abgeschickt werden, kommt die paranoiaverstärkende, obligatorische Warnung, daß das Formular per e-mail versendet wird, was dem Empfänger die Adresse des Absenders offenbart. Ferner wird darauf hingewiesen, daß alle Daten unverschlüsselt übermittelt werden und der Absender deshalb Abstand davon nehmen sollte, heikle oder vertrauliche Information auf diesem Weg zu versenden.

Navigationsgrafik von "Diagnostic Tools"

Den umfangreichsten Teil der Website bildet Fuzzy Love, die Möglichkeit, sich für eine Partnervermittlung anzumelden. Die Arbeit suggeriert, daß Netzaffairen das bevorzugte Vehikel für die Liebe der Zukunft sein werden. Die Künstler haben einen umfangreichen Fragenkatalog zusammengestellt, mit dem sich der Aspirant vorstellt. Neben unverfänglichen Fragen, wie zum Beispiel: "Was erhoffen Sie sich von einer Netzliaison?" gibt es auch wesentlich verfänglichere über sexuelle Vorlieben und bevorzugte Körperflüssigkeiten. Bemerkenswert an diesem Formular ist, daß der Befragte weder aufgefordert wird, seinen Namen zu nennen, lediglich einen Spitznamen, und außerdem keine Gelegenheit bekommt, sein Geschlecht anzugeben. Ein dezenter Hinweis auf die Körperlosigkeit erotischer Netzbeziehungen? Wie befreiend werden diese Masken wirken, hinter denen wir erotisches Rollenspiel betreiben, und die unsere wahre Identität verbergen? Vor dem Versenden dieser vertraulichen Information ebenfalls wieder die paranoiaverstärkende Warnung.

Information Fetishism

Enttäuschend an der Website ist, was aber durchaus zum Konzept gehört, daß die Partnervermittlung nicht online stattfindet, d.h. der Nutzer kann lediglich seine eigenen Daten eingeben, aber nichts abfragen. Dazu muß er sich die Mühe machen, und die Installation in der Galerie aufsuchen. Bevor er jedoch hier endlich Informationen abfragen und sich einen geeigneten Partner aussuchen kann, muß er, nein, nicht bezahlen, wie üblichweise bei einem Dating Service, sondern hat nur Zugriff, wenn er vorher seine eigenen Daten eingegeben hat. Ein glatter Handel, Information gegen Information.

Der räumlichen Umsetzung der beiden interaktiven Installation liegen unterschiedliche Konzepte zugrunde. Der Fuzzy Love Dating Service wird regelmäßig mit neuen Daten von der Website und aus der Installation aktualisiert und läuft auf einem gewöhnlichen Rechner, der auf einem Tisch präsentiert wird, sowie einem Drucker, der die gewünschte Information ausdruckt. Bei diesem Konzept wird die private Interaktion zwischen Mensch und Maschine in einen öffentlichen Raum transferiert. Keine wohlige Geborgenheit mehr, anonym vor dem Monitor, sondern öffentliche Vorführung, die unsere Antworten und unser gewohnheitsmäßiges Verhalten verzerrt. Derjenige mit der Maus in der Hand mutiert zwangsläufig zum Performer und agiert stellvertretend für alle Besucher. Als dieser Performer ist der Nutzer nicht nur dafür zuständig, das Publikum zu unterhalten, sondern auch dem Künstler und der Arbeit gegenüber verpflichtet, vorzuführen, was in der Arbeit steckt. Ist er ungeschickt dabei oder unsicher, wird der User leicht zum Looser. Ferner muss er die Angaben über seine privatesten Wünsche in aller Öffentlichkeit machen und wird dabei verleitet, sich anders zu repräsentieren, als er es womöglich alleine, vor seinem Rechner zu Hause tun würde.

Dahingegen bietet die Installation Paranoia von vorne herein nur Platz für einen Betrachter. Eine Metallskulptur, an die der Nutzer ganz nahe herantreten muß, um etwas zu sehen und zu hören, verbirgt die technischen Eingeweide fast völlig. Durch einen Augenschlitz zu sehen ist nur der Monitor. Gesteuert wird mit einem vorne befestigten Trackingball. Diese abgeschirmte und scheinbar ganz private Form der Interaktion verführt dazu, verschiedenartigste Erschienungsbilder von Paranoia auf den Monitor zu holen. Texte aus dem Paranoia-Generator und erschreckende Filmsequenzen lassen dem Betrachter auch so lange das Gefühl unbeteiligter Beobachter zu sein, bis er als letztes Bild plötzlich sich selbst auf dem Bildschirm sieht, von einer versteckten Kamera gefilmt.

Bei dem diagnostischen Instrumentarium handelt es sich also nur um eine Fälschung. Die Künstler erregen Aufmerksamkeit durch die Verwendung von Schlagworten und populärer High-Tech-Ästhetik. Ihr Verhältnis dazu scheint aber in der Ambivalenz zwischen Faszination und Kritik steckenzubleiben. Jedenfalls halten die Tools nicht, was sie uns versprechen. Aber sie verweisen unübersehbar auf unseren Wunsch nach brauchbaren Hilfsmitteln, einem Wunsch, der nicht in Erfüllung gehen kann - und das schärft unsere Aufmerksamkeit.